„Ich lasse mich nicht unter Druck setzen“

Fälschungsverdacht bei Impfpass: Apotheker warnt vor Bloßstellung Carolin Ciulli, 22.09.2021 13:15 Uhr

Mehr gefälschte Impfpässe: In der Neumarkt Apotheke in Osnabrück schauen die Angestellten genau hin, bevor die digitalen Nachweise einer Covid-19-Impfung erstellt werden. Foto: Neumarkt Apotheke
Berlin - 

Die Zahl der in Apotheken vorgelegten gefälschten Impfpässe steigt. Immer wieder entdecken Angestellte bei der Covid-19-Impfung Auffälligkeiten im gelben Heft. Auch Apotheker Carl Henrik Leue aus Osnabrück stellt eine zunehmende Zahl an Fälschungen fest. Der Inhaber der Neumarkt Apotheke warnt jedoch davor, vorschnell die Polizei zu rufen, und kritisiert, dass jedermann Blanko-Impfpässe bestellen könne.

Wieder ist in der Neumarkt Apotheke von Leue eine Fälschung entdeckt worden. „Seit drei bis vier Wochen nimmt das zu“, sagt Leue. „Anfangs ist der Druck auf Nicht-Geimpfte nicht so groß gewesen.“ Insgesamt knapp zehn gefälschte Ausweise hätten er und seine Angestellten „herausgefischt“ – von den rund 10.000 ausgestellten digitalen Impfzertifikaten in seinen drei Betrieben. Der Inhaber und sein Team haben mittlerweile eine Liste mit Fälschungsbeispielen angefertigt, um Plagiate schneller erkennen zu können.

Die Apotheken sind angehalten, die gelben Hefte vor der Ausstellung der digitalen Nachweise auf Echtheit zu prüfen. Dafür sollen sie sich den Personalausweis der Kund:in vorlegen lassen. Doch immer mehr Apotheker:innen kritisieren, dass die Einträge in den Impfpässen viel zu leicht zu fälschen seien. Auch das Bundeskriminalamt (BKA) wies unlängst darauf hin, dass sie keine Sicherheitsmerkmale aufwiesen. „Es ist auch ein Unding, dass jeder die Hefte bekommen kann“, sagt Leue. Für ihn ist die Einschätzung, ob es sich um eine Fälschung handelt, nahezu unmöglich.

Leue und sein Team versuchen jedoch, ihrer Prüfpflicht möglichst genau nachzukommen. Allen Angestellten sei es wichtig, Fälschungen zu entdecken und den Personen in diesem Fall keinen QR-Code auszuhändigen. Denn wenn dieser erst einmal abgegeben sei, sei es zu spät. „Wir sind uns unserer Verantwortung bewusst.“ Der Apotheker weist darauf hin, dass für einen sicheren Abgleich eigentlich immer Rücksprache mit dem Arzt nötig sei. Doch die Praxen oder Impfzentren seien nicht immer erreichbar. „Wir bräuchten eine Datenbank zum Abgleich.“

Bei Unsicherheiten greifen Leue und seine Angestellten zum Telefon und fragen nach, ob die Covid-19-Impfung tatsächlich stattgefunden habe. Was jedoch tun, wenn die Ärzt:innen oder Impfzentren nicht erreichbar sind? Auch diese Fälle kennt Leue: „Ich hatte hier an einem Freitagabend gegen 20 Uhr zwei Frauen.“ Die beiden legten ihre Impfpässe vor und wollten einen digitalen Nachweis. „Ich war mir sicher, dass die Einträge gefälscht waren“, so Leue. „Deshalb habe ich ihnen nichts ausgestellt.“ Die konkreten Auffälligkeiten bei Stempel und Unterschrift will er nicht öffentlich benennen, um es Fälscher:innen nicht leichter zu machen.

 

Als die beiden Kund:innen im Anschluss mit männlicher Begleitung zurückkamen, hielt Leue dem Druck stand. „Er war schon stinkig und hat gefragt, was das soll.“ Der Apotheker ließ sich aber nicht aus der Ruhe bringen. „Ich lasse mich nicht unter Druck setzen“. Immerhin schränke er die Kund:innen nicht ein, da sie mit den gelben Heften überall Eintritt fänden. Er habe die Situation „ruhig und sachlich erklärt“ und auf Montag verwiesen. Bevor er sich nicht sicher sei, dass es sich um gefälschte Einträge handele, rufe er aber nicht die Polizei. „Da bin ich vorsichtig.“ Sicherheitshalber fertige er eine Kopie der Dokumente an und habe bestenfalls eine Zeug:in aus dem Team. Im Falle der beiden Frauen sei es tatsächlich so gewesen, dass die Einträge korrekt gewesen seien und sie am Montag ihre QR-Codes erhalten haben.

Mit der ersten Einschätzung, es handele sich um Fälschungen, lag Leue laut eigenem Bekunden auch bei anderen Fällen bereits falsch: Gerade bei Kund:innen mit Migrationshintergrund sei es bereits vorgekommen, dass die Namen in der Datenbank der Impfenden falsch geschrieben gewesen seien. Wegen eines Buchstabendrehers habe es bei der Prüfung geheißen, es liege keine Impfung vor. Erst nach weiterer Kontrolle sei aufgefallen, dass die Einträge im Heft korrekt gewesen seien.

Generell reagierten die Kund:innen „einsichtig“ auf Zweifel und eine Prüfung, sagt Leue. Einmal sei die Polizei wegen eines Fälschungsverdachts in die Apotheke gekommen und habe die Kundin „von der Ansprache her heftig angegangen“, so Leue. Dieses Verhalten kritisiert der Apotheker, da bis dahin noch nichts bewiesen gewesen sei. „Wir wollen niemanden bloßstellen.“ Später habe sich auch in diesem Fall tatsächlich herausgestellt, dass der Eintrag korrekt gewesen sei. „Die Kundin hat uns dafür gelobt, dass wir genau hinsehen und prüfen.“ Das Verhalten der Beamten sei jedoch nicht in Ordnung gewesen.

Auch in einer Apotheke in Iserlohn wurde am Montag eine Frau nach Rücksprache mit dem Impfhersteller mit einem gefälschten Eintrag erwischt. Einer Angestellten sei aufgefallen, dass mit dem Chargenaufkleber etwas nicht stimmte, so die Polizei. Sie fand heraus, dass diese Chargennummer nicht vergeben worden sei. „Als sie ihren digitalen Impfnachweis abholen wollte, wurde sie durch die eingesetzten Beamten auf die Fälschung angesprochen. Sie gab zu, nicht geimpft zu sein und einen gefälschten Impfausweis vorgelegt zu haben.“ Auch bei Leue in der Neumarkt Apotheke gaben Kund:innen bereits zu, gefälschte Impfpässe im Darknet eingekauft zu haben.