„Ungefragt Homöopathie untergeschoben“

Euphrasia: Kammer leitet Berufsverfahren ein Patrick Hollstein, 22.08.2024 10:09 Uhr

Die Kammer in Hessen hat ein Verfahren gegen eine Apothekerin eingeleitet, die angeblich ohne Kommentar ein Homöopathikum abgab. Foto: APOTHEKE ADHOC
Berlin - 

Eine Apothekerin aus Hessen war plötzlich mit einem berufsrechtlichen Verfahren konfrontiert, das der Vorstand der Landesapothekerkammer (LAK) gegen sie eingeleitet hatte. Auslöser war die Beschwerde einer Kundin, der eine Mitarbeiterin Euphrasia-Augentropfen verkauft hatte – angeblich ohne sie darüber in Kenntnis zu setzen, dass es sich um ein anthroposophisches Präparat handelt.

An einem Morgen im März wurde kurz vor Öffnung der Apotheke eine Kundin vorstellig, die es nach eigenem Bekunden sehr eilig hatte und ein Arzneimittel gegen Bindehautentzündung für ein Kind verlangte. Die angestellte Apothekerin wollte sie direkt an den Arzt verweisen, aber dafür hatte die Kundin angeblich keine Zeit. So erklärte die Mitarbeiterin, dass es als Alternative für die Selbstmedikation Euphrasia-Augentropfen gebe, ein anthroposophisches Arzneimittel mit sehr gutem Heilerfolg. Von Bepanthen-Augentropfen, nach denen die Kundin fragte, riet sie ab.

Nur wenige Minuten nach Verlassen der Apotheke kehrte die Kundin zurück, erbost verlangte sie ihr Geld zurück, weil sie gerade „das verräterische D2“ entdeckt habe. Diesmal wurde sie von einer PTA bedient, die später berichtete, dass keine sachliche Diskussion möglich gewesen sei und sie deshalb ohne weitere Anstalten das Geld zurückgezahlt habe.

Beschwerde bei der Abda

Aber damit war der Fall keineswegs erledigt. Stattdessen schrieb die Kundin eine wütende Mail, und zwar an das Postfach der Abda in Berlin: Schon zum wiederholten Mal habe man ihr in einer Apotheke ein homöopathisches Mittel verkauft, ohne sie konkret darauf hinzuweisen. „Daher fordere ich Sie auf, den Apothekern eine Leitlinie zu geben, dass homöopathische ‚Medikamente‘ nur mit dem Beisatz angeboten werden dürfen, dass es sich um homöopathische Präparate handelt und am besten auch, dass die Wirkung solcher Medikamente nicht nachgewiesen werden kann.“

Abgesehen davon, dass Homöopathie in einer „seriösen Apotheke“ grundsätzlich nichts zu suchen habe, sei der Verkauf ohne dezidierten Hinweis darauf, dass die Augentropfen im Grunde nichts anderes als Salzlösung enthielten, im Grunde als Betrug zu werten. „Es geht nicht an, dass man etwas angedreht kriegt, was nachweislich keine Wirkung hat (über den Placebo-Effekt hinaus) und nicht einmal darüber informiert wird.“

Und zum Schluss kam noch der folgende Hinweis: „Ich hoffe, Sie nehmen Ihren Auftrag als gesundheitliche Berater ernst, anstatt nur daran zu denken, wie man einen lukrativen Nebenverdienst mit Zuckerkügelchen machen kann. Sonst wäre es wohl durchaus berechtigt, wenn Sie von Online Apotheken aus dem Markt gedrängt zu werden.“

„Rechtswidrige Zustände einzelner Mitglieder“

Nun nahm die Sache ihren Lauf. Die Abda hakte nach, in welchem Bundesland sich der konkrete Vorfall ereignet habe, „wir würden Ihre Beschwerde gerne an die zuständige Apothekerkammer weiterleiten“. Und auch dort reagierte man außerordentlich beflissen: „Mitteilungen wie die Ihre sind die Grundlage dafür, dass die Landesapothekerkammer Hessen Ihre Berufsaufsicht wahrnehmen kann“, teilte der Geschäftsbereich Recht der Kundin mit. „Seien Sie versichert, dass wir alle Möglichkeiten und Maßnahmen ergreifen werden, um rechtswidrige Zustände einzelner Kammermitglieder abzustellen.“

Aufgrund der Mitteilung habe man bereits ein Verfahren eingeleitet, so die Kammer weiter, allerdings hätten sich noch Fragen ergeben: „Um welche Apotheke handelt es sich? An welchem Datum und zu welcher Uhrzeit fand der Vorfall statt? Um welches konkretes Arzneimittel/ Präparat handelt es sich? Was genau wurde bestellt?“ Und später wurde noch nachgefragt, ob wirklich kein anderes Präparat zur Auswahl gestellt wurde und ob es einen Hinweis gegeben habe, bei anhaltenden Beschwerden einen Arzt aufzusuchen.

Verstoß gegen Beratungspflicht?

Obwohl die Kundin auf die Fragen zum Hergang nur ausweichend antwortete, leitete der Vorstand der Kammer Anfang Mai ein berufsrechtliches Verfahren gegen die Inhaberin ein: Sollte sich der Sachverhalt wie geschildert zugetragen haben, könnte hier ein Verstoß gegen die Informations- und Beratungspflicht nach Berufsordnung sowie Apothekenbetriebsordnung (ApBetrO) vorliegen, so die Kammer. „Eine erhöhte Informations- und Beratungspflicht herrscht bei Patienten, die Arzneimittel im Rahmen der Selbstmedikation erwerben wollen. Bei der Informations- und Beratungspflicht handelt es sich um eine sogenannte ‚Bringschuld‘, bei der der Apotheker von sich aus beraten und informieren muss.“

Als Inhaber hafte man auch für etwaige Verstöße von Angestellten: Schließlich dürfe das Apothekenpersonal nur entsprechend seiner Ausbildung und seinen Kenntnissen eingesetzt werden und sei über die bei den jeweiligen Tätigkeiten gebotene Sorgfalt regelmäßig zu unterweisen. „Damit tragen Sie die Verantwortung dafür, ordnungsgemäßes Personal einzusetzen und auch die Verantwortung dafür, dass das eingesetzte Personal ordentlich unterwiesen und wenn nötig, beaufsichtigt wird.“

Die Apothekerin nahm zu den Vorwürfen Stellung und schilderte, belegt durch Stellungnahmen ihrer beiden Mitarbeiterinnen, den kompletten Vorgang. Wenige Wochen später wurde das Verfahren daraufhin eingestellt.

Im Zweifel gegen die Mitglieder?

Für die Inhaberin war die Sache aber keineswegs erledigt, immerhin hatte die Sachen sie reichlich Zeit und Nerven gekostet. Sie hatte schon direkt nach Einleitung des Verfahrens Akteneinsicht beantragt und sich daraufhin bei der Kammer und bei der Abda beschwert, warum diese auf die aus ihrer Sicht haltlose Beschwerde überhaupt so willfährig reagiert hätten: Wie unschwer zu erkennen sei, habe man es mit einer Homöopathiegegnerin zu tun, die sich generell gegen den Verkauf von Homöopathika in der Apotheke ausgesprochen und die Abda diesbezüglich um Stellungnahme auffordert.

„Warum wurde der Dame nicht entsprechend geantwortet, dass es sich bei Euphrasia-Augentropfen mitnichten um ein homöopathisches Mittel, sondern um ein anthroposophisches Heilmittel mit der von ihr gewünschten Indikation ‚Bindehautentzündung‘ handelt, inklusive Beipackzettel und Arztverweis?“

Und noch viel schlimmer: Warum habe man sie so ins offene Messer laufen lassen? „Es kann absolut nicht angehen, dass sich die Standesorganisation im Fall unsachlicher Vorwürfe nicht schützend vor ihre Mitglieder stellt und die Argumentation der Kundin durch gezielte Nachfrage entkräftet – stattdessen wird der Kundin suggeriert, ‚im Recht zu sein‘, und die Kammer mit Verfolgung des ‚Strafbestands der fehlenden Erklärung zur Homöopathie‘ aufgefordert.“

Sie schickte gleich noch einen Fragenkatalog mit: Ob die Abda wirklich der Meinung sei, dass es sich bei Euphrasia-Augentropfen um wirkungslose Placebos handele, die einen „lukrativen Nebenverdienst“ sicherten und in seriösen Apotheken nicht verkauft werden dürfen? Ob der „verärgerten Anschuldigung einer Homöopathiegegnerin“ mehr zu glauben sei, dass keine Beratung stattgefunden habe, als den Mitgliedern? Und ob die sofortige Einleitung ein berufsrechtlichen Verfahrens der richtige Weg sei, um einem Laien zu seinem vermeintlichen Recht zu verhelfen?

Keine „Vorverurteilung“

Die Antwort aus Berlin fiel erwartungsgemäß dünn aus: „Wir weisen darauf hin, dass mit der Weiterleitung von Beschwerden beziehungsweise der Verweisung von Beschwerdeführern an die zuständige Landesapothekerkammer keine inhaltliche Bewertung durch die Abda verbunden ist“, so die Rechtsabteilung. „Insbesondere ist damit nicht keine Beurteilung verbunden, ob das konkrete Kammermitglied sich eine entsprechende Berufsrechtsverletzung zu Schulden hat kommen lassen. Die Beurteilung, ob ein bestimmter Sachverhalt möglicherweise berufsrechtliche Pflichten verletzt und mit nachweisbar, und insofern ein berufsrechtliches Verfahren einzuleiten ist, obliegt der jeweils zuständigen Landesapothekerkammer.“

Zu betonen sei, dass mit der Einleitung eines Berufsrechtsverfahrens noch keine „Vorverurteilung“ verbunden sei, „sondern dieses vielmehr auch der Sachverhaltsermittlung und Rechtsfindung dient, weswegen dem beschuldigten Kammermitglied die Möglichkeit gewährt wird, sich zu dem vorgeworfenen Sachverhalt zu äußern“.

„Diese Vorgehensweise, die rechtsstaatlichen Vorgaben entspricht, ist nach unserer Wahrnehmung auch in dem gegen Sie gerichteten Beschwerdeverfahren beachtet worden. Nach Abschluss des berufsrechtlichen Verfahrens wird Ihnen die Landesapothekerkammer Hessen das Ergebnis mitteilen, gegen das Sie gegebenenfalls Rechtsschutz in Anspruch nehmen können.“