Das Geld ist weg – und wenn es schlecht läuft, kommt es auch nicht wieder. Die Apotheken, die durch die AvP-Pleite in finanzielle Schieflage geraten sind, müssen nicht nur das Insolvenzverfahren abwarten, sondern dürften auch besonders gespannt auf ein mögliches Betrugsverfahren schauen. Der Kreditversicherer Euler Hermes hat wegen des Falles nun Apotheken als Kunden entdeckt und seinen Versicherungsschutz bei der Vertrauensschadenversicherung (VSV) um Apothekenrechenzentren erweitert. Apotheken sollen sich so gegen einen Fall wie die AvP-Pleite versichern können. Versicherungsexperte Michael Jeinsen empfiehlt jedoch, sich solche Angebote ganz genau anzusehen.
Rund 600 Millionen Euro sollen bei AvP laut Gläubigerangaben noch offen sein – ob durch Betrug seitens der Geschäftsführung oder eklatantes Missmanagement, wird wohl ein strafrechtliches Verfahren klären müssen. Der Verdacht steht jedenfalls im Raum. Im Schnitt sollen betroffene Apotheken auf einem Fehlbetrag von 120.000 Euro sitzen – wie viel von dem Geld sie je wiedersehen, steht derzeit noch in den Sternen.
Hier will Euler Hermes nun – nach eigenen Angaben als erster Versicherer – in die Bresche springen. „Wir bieten mit diesem Baustein Apotheken erstmals die Möglichkeit, sich gegen die finanziellen Ausfälle durch Betrug, Veruntreuung oder Unterschlagung bei Abrechnungszentren zu schützen“, sagt Rüdiger Kirsch, Betrugsexperte bei Euler Hermes. „Am aktuellen Beispiel haben wir gesehen, dass ein solcher Betrug viele Apotheken sogar in ihrer Existenz bedroht. Um das künftig zu verhindern, haben wir unseren Versicherungsschutz erweitert.“
Dazu hat Euler Hermes die VSV nun explizit um Betrug durch Apothekenrechenzentren erweitert. Normalerweise soll eine VSV Unternehmen gegen die finanziellen Schäden durch Betrug von eigenen Mitarbeitern und externen Dritten schützen. „Externe Dritte sind neben Hackern auch die Putzfrau oder der IT-Dienstleister, der die digitale Infrastruktur bereitstellt oder wartet“, sagt Kirsch. „Nun haben wir diesen Schutz auf externe Abrechnungsdienstleister von Apotheken erweitert sowie deren Angestellte, die im Auftrag der Apotheken berufsübliche Dienstleistungen erbringen – auch dann, wenn die Tätigkeit für das versicherte Unternehmen nicht in den Räumen oder auf dem Betriebsgelände des versicherten Unternehmens ausgeübt wird.“
Bisher habe es eine solche Versicherung noch nicht gegeben. Die Kosten werden individuell berechnet, laut Kirsch fangen sie bei 1500 Euro im Jahr an. Schaue man sich die Außenstände im aktuellen Betrugsfall an, sei das vermutlich sehr gut investiertes Geld. „Es hilft zwar im aktuellen Fall nicht mehr – aber damit können sich Apotheken in Zukunft genau gegen solche Betrugsfälle schützen.“
Daran meldet der Apotheken-Versicherungsexperte Michael Jeinsen – sein entsprechendes Fachbuch „Apotheken versichern“ erscheint in Kürze – Zweifel an. „Diese Art der Versicherung ist für den Tatbestand der Insolvenz eines Abrechnungszentrums ungünstig, weil die Auszahlung voraussichtlich erst nach einem amtlichen Urteil erfolgt“, sagt er. „Damit die Versicherung sofort greift, müsste der Betrug unmittelbar festzustellen sein; es sei denn, der Versicherer würde einen zukünftigen Verlust vorfinanzieren. Von daher sind solche Versicherungen ohne Vorfinanzierung im Bau- oder Reisegewerbe sowie bei Großprojekten sinnvoll und werden eher dort nachgefragt. In Bezug auf ein Abrechnungszentrum hingegen macht es wohl deutlich weniger Sinn.“
Das Problem im Falle eines Abrechnungszentrums sei, dass sich die Entschädigungssumme an einem betrügerischen Bankrott festmacht. Würde Hermes mögliche Abtretungen vorfinanzieren, dann wäre das laut Jeinsen ein Vorteil. „Es gibt aber meines Wissens nach im Moment keine Versicherung, die Überbrückungszahlungen für nicht ausgezahlte Verpflichtungen übernimmt“, sagt er. „Bevor es üblicherweise bei einer solchen Versicherung zu einer Auszahlung kommen kann, müsste der Betrug erst einmal gerichtlich festgestellt sein. Das passiert jedoch meist erst nach dem Insolvenzverfahren. Damit würden die Apotheker jedoch dieselbe Durststrecke zu durchlaufen haben, wie es jetzt für viele bereits der Fall ist. Und damit wäre das Problem nicht gelöst.“
Hermes bestätigt das auf Anfrage zumindest teilweise: „Eine Entschädigungsleistung setzt voraus, dass das versicherte Unternehmen den Grund und die Höhe der ihm gegenüber bestehenden Schadenersatzpflicht der Vertrauensperson nachweist“, so eine Unternehmenssprecherin. „Dies kann durch einen Titel erfolgen, aber auch über andere geeignete Wege, zum Beispiel ein Strafverfahren.“
Dabei bestehe „unter bestimmten Voraussetzungen“ allerdings auch die Möglichkeit einer vorläufigen Entschädigung – ob es so ist, hängt jedoch von einer individuellen Einzelfallprüfung ab. Von Vornherein sicher sein, dass sie das Geld im Fall der Fälle pünktlich kriegen, können sich Apotheker also nicht.
Momentan ringen viele Apotheken um Geld zur Überbrückung, bei der Auszahlung der Hilfskredite der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) gibt es dem Vernehmen nach erhebliche Schwierigkeiten. Und normale Kredite anderer Banken sind an die üblichen Konditionen gebunden. Einzelne Organisationen, wie die Medical Network Stiftung, haben günstige und unbürokratische Überbrückungskredit-Konditionen mit ihren Bankpartnern vereinbart und wieder andere wie Noventi engagieren sich mit eigenem Kapital.
Nun wäre auch die Aussicht, im Falle des Nachweises eines Betrugs durch ein Gerichtsurteil das Geld zur Not auch Jahre später wiederzubekommen, durchaus verlockend. „Der Vorteil ist allerdings in Insolvenzverfahren meist nicht vorab quantifizierbar“, sagt Jeinsen. „Dafür ist die Versicherung in Ordnung, aber das entbindet den Apotheker nicht davon, selbst zur Bank zu gehen und eventuell zu überhöhten Zinsen einen Kredit aufzunehmen und/oder denselben mit privaten Werten zu besichern.“ Dadurch helfe diese Art von VSV nur den Apotheken, denen es vorher schon wirtschaftlich gut ging und deshalb einen solchen Kredit bekommen – die also auch ohne das Geld nicht schließen müssten – und nicht denen, die in ernsthafte Schwierigkeiten geraten sind.
Jeinsen hebt dabei auf den Unterschied zwischen Versicherung und Absicherung ab: „Man schließt dann also keine Versicherung ab, um seine Apotheke zu schützen, sondern einen Vertrag, um ein Anrecht zu erhalten, verlorenes Geld zurückzubekommen. Damit ist es eine persönliche Entscheidung jedes Inhabers, aber keine, die die Existenz der Apotheke im Schadensfall sichert.“
Außerdem, so wendet er ein, sei die Wahrscheinlichkeit, dass so etwas wie die AvP-Pleite nochmal vorkommt, sehr gering – „allein schon, weil Politik und Behörden voraussichtlich von nun an Auflagen verschärfen und noch genauer hinschauen werden. Wenn das der Fall ist, kaufen die Apotheker eine recht namhafte Police für ein voraussichtlich extrem kleines Risiko.“ Da wären die viel größeren Cyber-Risiken viel eher zu versichern, sagt Jeinsen. Die hätten im Schnitt eine Schadenssummezwischen 60 und 100.000 Euro und kämen viel häufiger vor.
Für Jeinsen geht das Angebot deshalb an den wirklichen Bedürfnissen der Branche vorbei. „Die Lösung liegt nicht darin, dem Apotheker etwas aufzuerlegen, was er voraussichtlich nie brauchen wird. Die Apotheker müssen hier wieder als schwächstes Glied in der Kette für die Unzulänglichkeiten anderer herhalten.“ Die eigentliche Lösung wäre demnach viel einfacher: Jede Apotheke sollte bei möglichst vielen Abrechnungsstellen einreichen dürfen, um ihr Risiko zu streuen – was die Krankenkassen jedoch bis dato nicht zuließen. „Bildlich gesprochen sind die Apotheken dadurch gezwungen, auf ein Pferd zu setzen. Eines dieser Pferde ist jetzt aber gestürzt“, so Jeinsen. „Eigentlich ist nun der Gesetzgeber gefragt, die Verpflichtung, nur eine Rezeptabrechnungsstelle zu beauftragen, aufzuweichen. Beim Großhandel käme auch kein Apotheker auf die Idee, nur auf das sprichwörtliche eine Pferd zu setzen. Hier wird das Risiko seit Jahren gestreut.“
Doch nicht nur den Gesetzgeber sieht er in der Pflicht, Lehren aus der aktuellen Lage zu ziehen, sondern auch die Versicherer: „Meiner Meinung nach muss es nach der Coronakrise und nach AvP auch eine Veränderung im Versicherungsmarkt geben – und zwar dahingehend, dass damit zusammenhängende neue Risiken automatisch mit versichert sein können.“ Es stehe zu erwarten, dass die Versicherungswirtschaft für diesen Fall eine Lösung anbietet. So könne man sich zwar mit einer Betriebskostenversicherung gegen Schließung im Pandemiefall versichern.
„Die allermeisten Apotheken schließen aber nicht, sondern haben wegen der Pandemie einerseits mit erhöhten Kosten wegen der Schutzmaßnahmen, andererseits mit Umsatzeibußen zu kämpfen. Und gegen die versichert sie bis dato niemand. Alle anderen, wie zum Beispiel Arzt- und Zahnarztpraxen, schließen und kriegen deshalb Geld von der Versicherung. Nur Apotheken halten mit maximalem Einsatz und unter erhöhten Kosten um jeden Preis auf, haben dafür aber keinen Versicherungsschutz“, so Jeinsen. Umsatzeinbußen und Kostenerhöhungen durch Pandemiebekämpfungsmaßnahmen müssten deshalb zukünftig abdeckbar sein. „Eigentlich bräuchte es nun politischen Druck aus der Apothekerschaft, aber dazu hört man bisher zu selten etwas.“
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