Apotheke als Gesundheitszentrum

Erst Spritze, dann Sprechstunde: Impfapotheker wollen Vorreiter sein Patrick Hollstein, 28.10.2024 14:33 Uhr

Nadine Tröbitscher mit Thomas Preis, Cosima Bauer, Dirk Heidenblut und Ramin Heydarpour (von links). Foto: APOTHEKE ADHOC
Bochum - 

Engpässe, Personalmangel, Zukunftssorgen: Die Apotheken stehen unter Druck, da erscheint das Impfen von Kundinnen und Kunden geradezu illusorisch. Doch Kolleginnen und Kollegen, die sich darauf eingelassen haben, sind begeistert: Die Nachfrage sei in der zweiten vollen Saison explodiert, die Resonanz sei durchweg positiv. Und mit der Routine und der geplanten Ausweitung auf Impfstoffe lasse sich das Angebot nicht nur wirtschaftlich darstellen, sondern irgendwann vielleicht auch in ein Gesamtpaket einbinden.

Nordrhein-Westfalen ist Vorreiter, was das Impfen in der Apotheke angeht: Jeder fünfte Betrieb im Kammerbezirk Nordrhein ist bereits dabei; sollte die geplante Ausweitung auf alle Totimpfstoffe tatsächlich kommen, würde laut einer Umfrage des Apothekerverbands (AVNR) sogar jede zweite einsteigen. Im Nachbarbezirk Westfalen-Lippe sind zwar nur 200 Apotheken bislang so richtig aktiv, aber auch hier sind die Fortbildungsveranstaltungen der Kammer regelmäßig ausgebucht.

In der Alten Apotheke in Bochum hat Inhaberin Dr. Inka Krude alleine am vergangenen Samstag 80 Kundinnen und Kunden geimpft, sie braucht mittlerweile nur noch sechs Minuten pro Impfung. Das ganze Team stehe hinter dem Angebot und helfe mit, einschließlich einer Apothekerin unter Aufsicht, die sich um die Abrechnung kümmere. Der Service habe sich längst herumgesprochen: „Eigentlich ist die Apotheke immer voll“, berichtete Krude bei einer Diskussionsrunde auf der APOTHEKENTOUR.

„Das wird wahnsinnig gut wahrgenommen“

Ähnlich gut läuft es bei Jan Harbecke von der Jahreszeiten-Apotheke in Münster. 1000 Impfungen hätten er und sein Team in den vergangenen Wochen bereits durchgeführt, „das ist Faktor 5 in der zweiten vollen Saison“. Geimpft würden Stammkunden, die man aktiv anspreche, genauso wie Menschen, die von dem Angebot erfahren hätten und aus benachbarten Bezirken kämen. „Das wird wahnsinnig gut wahrgenommen, und wir sehen einen echten Change in dieser Saison.“ Er geht davon aus, dass immer mehr Kolleginnen und Kollegen hinzu kommen werden.

In der Kalker Apotheke in Köln wird immer mittwoch- und freitagnachmittags ohne Termin geimpft, auch hier ist die Resonanz durchweg positiv: „Mittlerweile empfehlen unsere Hausärzte den Menschen sogar, zur Impfung zu uns in die Apotheke zu kommen“, so Apothekerin Hayriye Polat, die die Apotheke gemeinsam mit ihrem Mann betreibt.

Auch Dr. Jan Olgemöller von der Schwanenbusch-Apotheke in Essen ist überzeugt, dass das Thema Impfen in den Apotheken ganz groß werden kann. Gemeinsam mit seiner Frau hat er Videos für Social Media produziert, um das neue Angebot zu bewerben. Denn der Erfolg hänge von der richtigen Ansprache der Kundinnen und Kunden ab: „Patienten gehen vier Mal im Jahr in die Praxis und werden mitunter trotzdem nicht geimpft – schlichtweg weil sie nicht angesprochen werden.“ Daher sei es wichtig, das ganze Team für das Thema fit zu machen.

Investitionen nicht zu unterschätzen

Allerdings räumten alle vier Kolleginnen und Kollegen ein, dass die Investitionen nicht zu unterschätzen sind: 1500 Euro müssten für die Fortbildung pro Approbiertem eingeplant werden, auch PTA müssten geschult werden, so Harbecke. Hinzu kämen die Kosten für Räumlichkeiten, EDV und Dokumentation. „Aktuell ist es nicht wirtschaftlich, wenn man es nicht eng skaliert.“

Für den AVNR-Vorsitzenden Thomas Preis könnte mit der Aufnahme neuer Impfstoffe der Durchbruch erreicht werden: „Wenn man nur saisonal gegen Grippe und Corona impfen darf, rechnet sich das nicht.“ Anders sehe es aus, wenn die Räumlichkeiten und das zusätzliche Personal nicht nur für zwei bis drei Monate, sondern das ganze Jahr über eingesetzt werden könnten.

Das Potenzial ist aus seiner Sicht gewaltig: „Wir Apothekerinnen und Apotheker sehen viele Impflücken, die wir direkt auffüllen könnten.“ Auch zu Hause oder in Heimen könne man aktiv werden. Ein weiteres Beispiel seien Reiseimpfungen, das man bis hin zur Abgabe von Malariaprophylaxe zu einem Komplettangebot ausdehnen könnte. Dennoch bräuchte es aus seiner Sicht eine Anschubfinanzierung, so wie es sie bei den Corona-Tests gegeben habe. Dann wären auch noch mehr Kolleginnen und Kollegen bereit, diese Aufgabe zu übernehmen.

Heidenblut: Kein Geld für Anschubfinanzierung

Diesbezüglich konnte der SPD-Abgeordnete Dirk Heidenblut ihm zwar keine allzu großen Hoffnungen machen: „Es ist ja bekanntlich im Moment gar kein Geld da.“ Auch zur Forderung, die Kontrolle der Impfpässe als pharmazeutische Dienstleistung (pDL) aufzunehmen, blieb er eine Zusage schuldig.

Generell sei er aber dafür, die Apotheken zu Servicecentern weiterzuentwickeln, so Heidenblut. Vor diesem Hintergrund halte er auch nichts von Apotheken ohne Approbierte. „Dennoch brauchen wir eine Apothekenreform. Wir müssen beispielsweise darüber sprechen, wie wir die PTA im Team stärker einbinden können.“ Zustimmung von Preis: Wenn sich das System einspielt habe, könne er sich vorstellen, dass auch PTA unter Aufsicht impfen dürften.

Cosima Bauer von der Unternehmensberatung May und Bauer schätzt, dass alleine die Aufnahme der Totimpfstoffe ins Portfolio im Durchschnitt rund 600 weitere Impfungen pro Apotheke und Jahr ermöglicht. Bei einem Honorar von 11,40 Euro seien so rund 8000 Euro zusätzlich drin. Allerdings sieht auch sie die Impfungen zuvorderst als Einstieg in gänzlich neue Aufgabenfelder für die Apotheken. Als Beispiele nannte sie die Triagierung, also die Steuerung von Patientinnen und Patienten, die dann nicht ohne Not die Wartezimmer der Praxen verstopfen müssten. Ein entsprechendes Modellprojekt unter Nutzung der Telemedizin habe man beim Innovationsfonds eingereicht.

Laut Preis erbringen die Apotheken diese Aufgabe bereits heute, allerdings komplett in Eigeninitiative und ohne jegliche Vergütung. „Die Apotheken müssen strukturiert eingebunden werden.“ Harbecke beschrieb ein Szenario, in dem die Apotheken ihre Kundinnen und Kunden testen, impfen und nach Rücksprache mit der Praxis oder per zugeschaltetem Online-Arzt auch noch rezeptpflichtige Medikamente abgeben.

Ramin Heydarpour, als Apotheker bei Pfizer für das Thema Impfungen in der Offizin zuständig, hat mit RSV-, Pneumokokken- und FSME-Impfstoffen schon die nächsten Kandidaten ausgemacht. Er brachte es in der Diskussion auf den Punkt: „Impfungen werden die Apotheke nicht retten. Aber sie sind elementar zur strategischen Positionierung der Apotheke – und eine Möglichkeit, Kunden aus dem Versandhandel zurückzugewinnen.“