Auf stolze 51 Jahre als Apotheker bringt es Bernd Nürmberger. Der Herr über die Adler-Apotheke hat im heimischen Erlangen auch als Hobbyhistoriker und Kunstmäzen von sich reden gemacht. Der heute 76-Jährige scheut sich nicht, seinen Kollegen und Standesvertretern klare Worte ins Stammbuch zu schreiben.
Die Erlanger Adler-Apotheke eröffnete schon 1762 ihre Pforten. Eine Kräuterkammer zur Mischung von eigenen Rezepturen wurde 1870 angebaut. Nürmbergers Großvater mütterlicherseits übernahm die Apotheke 1919, seit dieser Zeit ist sie im Familienbesitz geblieben.
Nürmberger kam 1940 zur Welt. Sein Vater fiel in Russland, als er gerade ein Jahr alt war. Seine Mutter heiratete 1946 noch einmal neu. Auch ihr neuer Gatte war Apotheker. Weil ihre Wohnung mit Flüchtlingen aus den Ostgebieten belegt wurde, zog die Familie ins Haus der Großeltern. So wuchsen die beiden Nürmberger-Geschwister praktisch in der Apotheke auf. „Früher hat es eine strenge Trennung zwischen den Geschäfts- und den Privaträumen so nicht gegeben“, erzählt Nürmberger. Das Flurzimmer sei das Bindeglied zwischen beiden Bereichen gewesen. „Mein Bruder und ich haben hier viel gespielt, oder auf dem Dachboden, wo die uralten Laborgeräte standen.“
Den älteren Bruder zog es in die Juristerei. So setzte Nürmberger ganz selbstverständlich die familiäre Tradition fort. Im Jahr 1959 betreute er in der Adler-Apotheke die Kräuter- und Pflanzensammlung für die selbst hergestellten Rezepturen. Ein Jahr später wechselte er zum Praktikum in eine Krankenhausapotheke nach Nürnberg.
Ab 1961 studierte Nürmberger Pharmazie wieder im heimischen Erlangen und wagte nach dem Staatsexamen den großen geographischen Sprung nach Lübeck: „Ich wollte einfach mal etwas anderes sehen“, erinnert er sich. „Lübeck ist eine wunderschöne Stadt. Ich hab mich hier sehr wohlgefühlt.“ Nur kurz blieb eine Episode als Pächter einer Apotheke in der Oberpfalz. Doch glücklich sei er nicht an einem Ort geworden, an dem schon früh am Abend die Bürgersteige hochgeklappt worden seien. „Ich war froh, dass ich schnell aus den Vertrag herauskam.“
Seit 1966 steht Nürmberger ununterbrochen am HV-Tisch der Adler-Apotheke, zunächst als Angestellter, dann ab 1977 nach Ausscheiden seines Stiefvaters als Pächter. Nach dessen Tod 1985 übernahm er die Apotheke ganz. Nur zweimal sei hier nach dem Krieg umgebaut und jeweils auch die Fläche erweitert worden, 1959 und 1979. „Mehr vergrößern können wir uns nicht, das geht unter anderem wegen des historischen Treppenhauses nicht.“
Lange Jahre habe ihm seine Tätigkeit viel Freude gemacht. Dann kam Ulla Schmidt. Die SPD-Politikerin amtierte von 2001 bis 2009 als Bundesgesundheitsministerin und setzte umfangreiche Reformen durch – nicht unbedingt zur Freude der Apotheker. Nürmberger sah seinen Arbeitsaufwand steigen und die Verdienste schrumpfen. „Es ist schwieriger geworden. Wir müssen jetzt unzählige Protokolle und Dokumentationen führen, das ist sehr zeitaufwändig. Pro Rezept erhalten wir eine Bearbeitungspauschale von 12 Euro, haben aber einen zeitlichen Aufwand von etwa einer halben Stunde.“ Ein guter Handwerker verdiene in der Stunde 50 Euro.
„Inkontinenzmaterialien müssen wir jetzt zum Beispiel immer genehmigen lassen. Der Patient bekommt nicht mehr das Mittel, das er möchte, sondern nur noch das, was seine Kasse zulässt.“ Zwei seiner PTA hätten in den vergangenen Jahren bereits das Handtuch geschmissen: „Sie sagten mir, dass sie einfach keine Lust mehr hätten, sich mit den Leuten herumzustreiten.“
An seiner Standesvertretung lässt er kein gutes Haar: „Die ABDA hätte gleich protestieren müssen. Die Kassen sparen viel Geld, aber wir Apotheker müssen das Geld für die Kassen eintreiben. Die ABDA hat sich vom Wohl ihrer Mitglieder verabschiedet.“ Und überhaupt: „Die ABDA kriegt ja einen Preis fürs absolute Nichtstun. Die sind völlig unfähig, das ist eine einzige Katastrophe.“ Wer sich zuerst rühre, habe verloren. „Von den Ärzten, nicht von der ABDA kam die Initiative, dass künftig auch Dosierhinweise auf den Rezepten vermerkt werden sollten“, betont Nürmberger. „Der Arzt stellt das Rezept aus. Aber ich muss meinen Patienten erklären, wie er sein Medikament einnehmen soll. Mitunter brauche ich 30 Minuten für einen Rückruf beim behandelnden Arzt. Das kann keine Versandapotheke leisten.“
Auch die zunehmende Konkurrenz aus dem Internet mache ihm zu schaffen: „Die Kunden kommen manchmal zu uns zur Beratung und bestellen sich die guten OTC-Produkte dann im Internet, weil es da billiger ist“, hat er erfahren. „Wir dagegen versorgen die Patienten, wir verramschen nichts. Wir stellen noch gute Rezepturen selbst her, an denen es freilich nichts mehr zu verdienen gibt.“ Gerne kämen die Kunden dafür auch aus bis zu zehn Kilometer entfernten Ortschaften.
Im Notfall springe die Adler-Apotheke oft genug in die Bresche: „In Erlangen findet man freitags ab 13 Uhr keinen Arzt mehr. Obwohl es in der Umgebung 20 Kliniken gibt, laufen die Notfälle dann bei uns auf. Sie können sich gar nicht vorstellen, was wir dann erleben!“ Da müsse zum Beispiel noch dringend Insulin fürs Wochenende beschafft werden. Auch andere lebensnotwendigen Medikamente gingen dann gerne zuneige. Hier gelte es, kreative Lösungen zu finden.
Eigentlich müssten die Kollegen vor Ort in solch schwierigen Zeiten zusammenstehen, doch gerade daran hapere es: „Der Apotheker ist des Apothekers Feind“, bekräftigt Nürmberger. „Vor einigen Jahren fragte ein Kunde bei mir nach einem bestimmten Hustenblocker, der bei ihm immer gut wirke. Er wollte das Mittel unbedingt, und ich habe es ihm auch gegeben. Hinterher stellte sich heraus, dass das ein Testkauf war. Die Apothekerkammer monierte, dass ich den Kunden nicht beraten hatte. Dabei weiß ich aus meiner langjährigen Erfahrung, dass ein Patient schneller wieder gesund wird, wenn er an ein Medikament glaubt. Ich muss sicherstellen, dass er zufrieden ist.“
Und dafür arbeitet er noch mit fast 77 Jahren jeden Tag in seiner Offizin. Mittlerweile lässt er es etwas ruhiger angehen. „Früher habe ich bis 60 bis 70 Stunden in der Woche gearbeitet. Da rief frühmorgens schon mal die erste Sprechstundenhilfe an und in der Mittagspause ein Arzt, ob wir einem Patienten ein Medikament vorbei bringen können. Abends nach acht Uhr wurden wir gefragt, ob schnell noch ein Patient vorbeikommen könne. So ging das jeden Tag von früh bis spät.“ Mittlerweile lasse er es etwas ruhiger angehen und komme so nur noch auf 40 Wochenstunden.
Bei allem alltäglichen Ärger lasse ihm seine Tätigkeit genug Raum zur Selbstverwirklichung. „Das ist der Vorteil, wen man selbstständig ist, als Angestellter hätte ich diese Freiheit nicht.“ Nürmberger zeigt Flagge für Erlangen, setzt sich für die Kulturszene ein und hält ein Bewusstsein für die Historie seiner Stadt wach. Er amtiert als erster Vorsitzender des von ihm initiierten Stadtmuseums, das vor allem Künstler aus Franken und Nordbayern ins Scheinwerferlicht stellt. „Das Haus gehört mir, das Museum hat eine Ausstellungsfläche von 460 Quadratmetern und genießt einen guten Ruf.“
Seinem hartnäckigen Einsatz sei es mit zu verdanken gewesen, dass die Altstadt vor 30 Jahren vor der Vernichtung gerettet worden sei. „Die Politiker wollten damals bis auf wenige Gebäude alles abreißen und neu bauen lassen. Heute sagt mir der damalige Oberbürgermeister, dass ich recht hatte.“ An einem Tag in der Woche zieht er sich aus der Apotheke in die Archive von Bamberg oder Nürnberg zurück, um sich in Ruhe seinen Forschungen zu widmen.
Vor Kurzem hat er seinem Erlangen eine neue Sehenswürdigkeit spendiert. In der Nürnberger Straße steht jetzt ein neues barrierefreies Stadtmodell. „Das Denkmal ist in 3D gehalten und enthält Inschriften in Braille“, erläutert er. „So können auch Blinde die historische Innenstadt erkunden.“ Bereits vor zwölf Jahren hat der Franke seiner Kommune die Martius-Säule gestiftet. Die farbenfrohe Emaille wurde von Herbert Martius entworfen. Das Bundesverdienstkreuz am Bande, die Denkmalschutzmedaille des Freistaats Bayern und die Bürgermedaille der Stadt Erlangen sind sichtbares Zeichen für das Ansehen, das sein Engagement findet.
Sein Team hält ihm dafür den Rücken frei. Auf die Mitarbeiterinnen könne er sich verlassen. „Viele sind schon seit über 20 Jahren dabei. Wir haben das mal zusammengerechnet, da kamen insgesamt 270 Jahre Betriebszugehörigkeit zusammen.“ Der Zusammenhalt sei groß: „Wir machen alles im gegenseitigen Einvernehmen. Ich bin weniger der Chef, sondern mehr der Erste unter Gleichen“, betont Nürmberger.
Seine Entscheidung habe er nie bereut: „Apotheker zu sein, ist für mich nach wie vor ein ansprechender Beruf. Ich komme gerne mit Menschen zusammen, das hat mir immer gefallen. Aber man muss viel arbeiten, man hat Erfolg oder auch nicht. Dafür habe ich aber auch die Freiheit zur Entscheidung.“
Die Suche nach einem Nachfolger werde nicht nur durch die Konkurrenz aus dem Versandhandel erschwert: „Seit zwei Jahren wird an der Eisenbahn gebaut, die Altstadt ist praktisch von der Umgebung abgeschnitten. Die Einzelhandelsgeschäfte hier laufen nicht mehr sehr gut. Das wirkt sich natürlich auch bei mir auf Umsatz und Rentabilität aus.“ Auch die nächste Generation steht nicht wie früher bereit: „Mein Sohn ist nach Berlin gegangen und leitet da eine große Filialapotheke, er ist glücklich da.“ Doch ans Aufgeben denkt Nürmberger noch nicht: „So lange der Herrgott es zulässt, so lange mache ich weiter.“
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