Erkältungsmittel: Der große Engpass-Report Patrick Hollstein, 29.07.2022 10:05 Uhr
Apotheken in ganz Deutschland kämpfen mit massiven Lieferengpässen. Laut einer Befragung von aposcope sehen neun von zehn Apotheker:innen und PTA eine große Beeinträchtigung bei der Versorgung ihrer Kundschaft. Die Umfrage mit mehr 500 Teilnehmer:innen aus den Apotheken zeigt, wo es die größten Probleme gibt und welche Lösungen gesucht werden.
92 Prozent der Teilnehmer:innen sehen in den Engpässen eine große Beeinträchtigung bei der Versorgung ihrer Kundschaft:
- sehr große Beeinträchtigung: 17 Prozent
- große Beeinträchtigung: 42 Prozent
- eher große Beeinträchtigung: 33 Prozent
Bei den Erkältungsmitteln liegt der Wert mit 62 Prozent etwas niedriger, allerdings hat die Erkältungssaison auch noch gar nicht begonnen. 94 Prozent gehen entsprechend davon aus, dass sich die Engpässe bei Paracetamol und Ibuprofen mit Beginn der Erkältungssaison noch verstärken werden.
Hamsterkäufe bei Fiebersaft
84 Prozent verzeichnen aktuell eine gestiegene Nachfrage bei pädiatrischen Darreichungsformen mit Paracetamol- und Ibuprofen – drei Viertel davon überwiegend in der Selbstmedikation. Rund zwei Drittel würden sogar von Hamsterkäufen bei Paracetamol (62 Prozent) und Ibuprofen (67 Prozent) sprechen.
In Gesprächen mit der Kundschaft wurden mehrere Gründe gespiegelt:
- vermehrte Verwendung durch Corona-Infektionen bei Kindern: 50 Prozent
- Auffüllen der Hausapotheke: 48 Prozent
- Kinder sind grundsätzlich häufiger krank als vor Corona: 46 Prozent
- Hamsterkäufe: 39 Prozent
- Spenden etwa für die Ukraine: 32 Prozent
- gestiegene Verordnungen: 22 Prozent
Rezeptur: Pro und contra
Eine Möglichkeit, den Engpass zu überbrücken, könnten Rezepturen sein. Allerdings glauben nur 40 Prozent, dass sich damit die Versorgung mit Ibuprofen und Paracetamol für Kinder zum größten Teil sichern lassen wird, 54 Prozent teilen diese Ansicht nicht. Nur 8 Prozent stellen bereits Rezepturen her, 47 Prozent denken darüber nach.
Für 44 Prozent ist das aus verschiedenen Grünen kein Thema:
- kein Personal: 58 Prozent
- fehlende Wirtschaftlichkeit: 47 Prozent
- zu zweitaufwendig: 44 Prozent
- Rohstoffe fehlen: 39 Prozent
- Retaxrisiko: 17 Prozent
- Aufwand für ein neues Rezept zu groß: 14 Prozent
Dass ausreichend Ware vorhanden ist und deswegen keine Rezeptur hergestellt wird, gaben nur 6 Prozent an.
Eine große Mehrheit von 86 Prozent aller Teilnehmer:innen ist dennoch der Ansicht, dass schnellstmöglich ein Versorgungsengpass für Paracetamol und Ibuprofen als Saft und Zäpfchen erklärt werden muss, um retaxsicher per Rezeptur/Defektur versorgen zu können.
Suche nach Ware kostet Zeit
Der Aufwand ist für die Apotheken bereits jetzt groß, laut Umfrage sind im Durchschnitt (Median) fünf Mitarbeiter:innen damit beschäftigt, die Engpässe zu managen. Geschätzter Aufwand pro Woche: fünf Stunden, davon derzeit alleine drei Stunden für Paracetamol und Ibuprofen.
Bei den Erkältungsmitteln für Kinder ist nach Angaben der Teilnehmer:innen derzeit so gut wie nicht zu bekommen, genauso oft wie der Ibuprofen-Saft von Ratiopharm wird etwa Nurofen genannt.
Ibuprofen-Saft:
- Nurofen und Ratioharm: je 88 Prozent
- Ibuflam: 82 Prozent
- Dolormin: 78 Prozent
- Aliud und Stada: je 76 Prozent
- AbZ: 74 Prozent
Paracetamol-Saft:
- Ratiopharm: 95 Prozent
- Bene: 72 Prozent
Paracetamol-Zäpfchen:
- Ratiopharm: 67 Prozent
- 1A Pharma: 53 Prozent
- Stada: 48 Prozent
- Aliud und Bene: je 47 Prozent
- AbZ: 46 Prozent
- Berlin-Chemie: 45 Prozent
Paracetamol-Brausetabletten:
- Ratiopharm: 54 Prozent
- Fizamol: 30 Prozent
Besser sieht es bei den Nasensprays für Kinder aus, hier sieht in der Spitze nur jede:r vierte Teilnehmer:in einen Engpass. Allerdings hat mit Ratiopharm der Platzhirsch das Produkt gerade aus seiner Winterbevorratung gestrichen – der Engpass könnte also erst noch kommen.
Abgesagte Winterbevorratung
62 Prozent der Teilnehmer:innen gaben an, dass sie bei Ratiopharm an der Winterbevorratung teilgenommen haben, Bionorica folgt mit 37 Prozent und Bayer mit 28 Prozent vor Hexal und Pohl-Boskamp mit je 27 Prozent.
85 Prozent der Befragten, deren Apotheke an einer solchen Aktion teilgenommen hat, rechnen mit Versorgungsengpässen, 74 Prozent mit Mehraufwand und 48 Prozent mit schlechteren Konditionen durch gestiegene Preise beziehungsweise 43 Prozent durch wegfallende Mengenrabatte. 41 Prozent fürchten Lücken in der Sichtwahl und 30 Prozent Umsatzeinbrüche. 27 Prozent fürchten eine Abwanderung der Kundschaft.
Lager voll, Preise rauf
Und wie reagieren die betroffenen Kolleginnen und Kollegen?
- Anlegen von Vorräten (bestellen, was man kriegen kann): 76 Prozent
- Ausweichen auf andere Darreichungsformen: 67 Prozent
- Festlegung von Höchstmengen bei der Abgabe betroffener Artikel: 35 Prozent
- Suche nach dauerhaft neuen Lieferanten für die Winterbevorratung: 26 Prozent
- Priorisierung bei der Abgabe (Rezept vor Selbstzahler:innen): 20 Prozent
- Umstellung auf Rezeptur/Defektur: 20 Prozent
- Preiserhöhungen: 15 Prozent
An der Befragung nahmen am 25. und 26. Juli insgesamt 505 verifizierte Apotheker:innen und PTA teil. Der vollständige Report mit allen Details kann kostenpflichtig bei aposcope bestellt werden.