Was fehlt, wie reagiert wird

Engpass-Umfrage: So sieht es wirklich in Apotheken aus

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Berlin -

Mangelverwaltung und Arbeiten am Limit: Die Lieferengpässe verlangen den Teams in den Apotheken alles ab. Da frustriert es besonders, wenn sie auch noch regelmäßig mit dem Vorwurf konfrontiert werden, sie würden die dringend benötigten Arzneimittel horten. Eine aktuelle aposcope-Befragung unter 300 Apotheker:innen und PTA zeigt, wie dramatisch die Lage wirklich ist und wen die Teams für die Misere verantwortlich machen.

Vor allem bei den Fiebersäften für Kinder ist die Lage ernst: 57 Prozent der Teilnehmer:innen gaben an, dass die Mittel derzeit überhaupt nicht vorhanden sind, weitere 36 Prozent haben kaum Ware. Nur 4 Prozent haben ausreichend oder gar zu viel Ware da. Auch bei Antibiotika, Lipidsenkern und Elektrolyten ist die Lage ernst: Nur jede fünfte Apotheke hat ausreichend Antibiotika an Lager, für Rosuvastatin sowie Elotrans & Co. gilt dasselbe. Bei Hustenmitteln und Omeprazol definitiv angespannt. Lediglich bei Blutdruckmitteln und Schilddrüsenpräraten gibt es vielfach ausreichend Bestände.

Welche Medikamente fehlen?

Fiebersäfte/-zäpfchen

  • Nicht oder kaum vorhanden: 93 Prozent
  • Beeinträchtigung (eher groß/groß/sehr groß): 98 Prozent
    • sehr große Beeinträchtigung: 87 Prozent
  • Schlechte Verfügbarkeit: 92 Prozent

Antibiotika

  • Nicht oder kaum vorhanden: 75 Prozent
  • Beeinträchtigung (eher groß/groß/sehr groß): 95 Prozent
    • sehr große Beeinträchtigung: 50 Prozent
  • Schlechte Verfügbarkeit: 85 Prozent

Blutdruckmittel

  • Nicht oder kaum vorhanden: 34 Prozent
  • Beeinträchtigung (eher groß/groß/sehr groß): 75 Prozent
    • sehr große Beeinträchtigung: 9,3 Prozent
  • Schlechte Verfügbarkeit: 58 Prozent

Hustenmittel

  • Nicht oder kaum vorhanden: 52 Prozent
  • Beeinträchtigung (eher groß/groß/sehr groß): 81 Prozent
    • sehr große Beeinträchtigung: 52 Prozent
  • Schlechte Verfügbarkeit: 71 Prozent

Omeprazol

  • Nicht oder kaum vorhanden: 47 Prozent
  • Beeinträchtigung (eher groß/groß/sehr groß): 59 Prozent
    • sehr große Beeinträchtigung: 9,7 Prozent
  • Schlechte Verfügbarkeit: 55 Prozent

Rosuvastatin/Lipidsenker

  • Nicht oder kaum vorhanden: 76 Prozent
  • Beeinträchtigung (eher groß/groß/sehr groß): 85 Prozent
    • sehr große Beeinträchtigung: 31 Prozent
  • Schlechte Verfügbarkeit: 79 Prozent

Schilddrüsenpräparate

  • Nicht oder kaum vorhanden: 16 Prozent
  • Beeinträchtigung (eher groß/groß/sehr groß): 32 Prozent
    • sehr große Beeinträchtigung: 4 Prozent
  • Schlechte Verfügbarkeit: 30 Prozent

Elektrolyte

  • Nicht oder kaum vorhanden: 82 Prozent
  • Beeinträchtigung (eher groß/groß/sehr groß): 90 Prozent
    • sehr große Beeinträchtigung: 52 Prozent
  • Schlechte Verfügbarkeit: 87 Prozent

Jeder zweite Kunde betroffen

Und wie oft kommen Engpässe nun vor? Bei Fiebersäften und -zäpfchen sind laut Befragung jedes zweite Rezept beziehungsweise Nachfrage in der Selbstmedikation betroffen. Bei Antibiotika gibt es Probleme bei jedem dritten bis vierten Rezept. Niedriger sind die Werte bei Blutdruckmitteln, Hustensäften, Omeprazol, Lipidsenkern, Schilddrüsenpräparaten und Elektrolyten.

Das spiegelt sich auch in der Anzahl an Patienten wider, die weggeschickt werden müssen beziehungsweise nicht oder nicht angemessen versorgt werden können: Bei Fiebermitteln ist es laut Einschätzung jeder zweite Kunde, bei Antibiotika jeder fünfte. Auch bei Elektrolyten sind den Apothekenteams oft die Hände gebunden, während in den anderen Kategorien in den allermeisten Fällen eine Lösung gefunden werden kann.

Verzweifelte Menschen klappern Apotheken ab

94 Prozent der Approbierten und PTA berichten, dass sie täglich von verzweifelten Menschen kontaktiert werden, die auf der Suche nach ihren Arzneimitteln diverse Apotheken aufsuchen. Und 98 Prozent der Befragten fühlen sich mit dem Problem weitgehend alleingelassen.

Die Teams in den Apotheken stemmen sich mit allen möglichen Maßnahmen gegen die Engpässe: Zum Standard gehört – wo dies noch möglich ist – der Austausch gegen ein anderes wirkstoffgleiches Präparat: 91 Prozent wählen „immer“ oder „oft“ diesen Weg, auch wenn der Umstieg für die Apotheken mit zusätzlichem (Dokumentations-)Aufwand verbunden ist. Das gilt umso mehr, wenn gegen ein anderes Fertigarzneimittel mit einem anderen Wirkstoff abgegeben wird, was aber dennoch in 45 Prozent der Fälle häufig und in 34 Prozent gelegentlich geschieht.

Wenn kein Austausch möglich oder vom Patienten erwünscht ist, kann die Apotheke auch aktiv informieren, sobald wieder Ware verfügbar ist. Neun von zehn Apotheken bieten diesen Service regelmäßig an. Und die Apotheken stehen zusammen: Kund:innen werden an die Konkurrenz verwiesen, wenn etwas nicht verfügbar ist. Bei den flächendeckenden Lieferengpässen hilft das aber vermutlich oft auch nicht weiter. Und so müssen 6 Prozent der Befragten einräumen, dass Patient:innen oft ohne Lösungsvorschlag weggeschickt werden.

Rücksprache mit Praxen ist schwierig

Falls Fertigarzneimittel fehlen, aber noch Wirkstoff erhältlich ist, können Apotheken mit der Rezeptur aushelfen. Das gehört in der Mehrheit der Apotheken auch zum Standardrepertoire als Lösung. Auch der Botendienst ist als Service für wieder verfügbare Medikamente viel gefragt, wie die Umfrage zeigt.

Besonders aufwändig für die Apotheken im Alltag sind die Rücksprache mit den Praxen (95 Prozent), die Recherche nach Alternativpräparaten (93 Prozent) und die Suche nach Bezugsquellen (92 Prozent), auch Diskussionen über Mehrkosten gibt es häufig (81 Prozent).

Das Thema Lieferengpässe bei Arzneimitteln ist nun endlich auch in den großen Medien angekommen. Dennoch sind viele Patienten nach Eisschätzung der Apothekenteams noch nicht ausreichend über die Situation informiert, was den Beratungsbedarf erhöht. Und jede/r fünfte Kundin oder Kunde reagiert laut Umfrage aggressiv auf die Engpässe, rund ein Drittel allerdings auch verständnisvoll. Doch während 13 Prozent gelassen bleiben, nehmen die Teams am HV-Tisch bei jedem Dritten auch Panik wahr.

Politik und Kassen sind schuld

Die Hauptverantwortung für die aktuelle Situation trägt aus Sicht der Hälfte der Befragten die Politik, 30 Prozent sehen die Krankenkassen mit ihren Rabattverträgen an erster Stelle, nur 12 Prozent dagegen die Pharmaindustrie.

Die Apothekenteams machen sich keine Illusionen: 91 Prozent der Befragten glauben nicht, dass die Politik das Problem zeitnah in den Griff bekommt. Entsprechend befürchten sogar 95 Prozent, was aktuell kaum denkbar scheint: Die Lieferengpässe werden im kommenden Jahr noch zunehmen. Dazu muss gesagt werden, dass die Befragung am 19. und 20. Dezember stattfand, also unmittelbar bevor Gesundheitsminister Karl Lauterbach seine ersten Maßnahmen vorgestellt hatte. 300 verifizierte Apotheker:innen und PTA haben an der aposcope-Befragung teilgenommen.

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