„Unerträgliche Allmacht der Krankenkassen“

Engpässe: Lauterbach soll mit Eltern diskutieren

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Berlin -

Die Praxen sind voll, die Apotheken am Anschlag, doch es gibt nur ein bestimmendes Thema: Lieferengpässe. Dr. Christian Gerninghaus, Inhaber der Sonnen-Apotheke in Schlitz bei Fulda, hat jetzt Bundesgesundheitsminister Professor Dr. Karl Lauterbach sowie seine Staatssekretäre Sabine Dittmar und Dr. Edgar Franke (alle SPD) in seine Apotheke eingeladen, sich vor Ort ein Bild über das Chaos zu machen – und selbst Gespräche mit den Eltern zu führen.

Den Fiebersaft gibt es bei Gerninghaus derzeit nur auf dem Display seiner digitalen Sichtwahl, dem Produkt selbst läuft er genauso hinterher wie seine Kolleg:innen in ganz Deutschland. Und damit nicht genug: Antibiotika, Pantoprazol, Bisoprolol, Atorvastatin, Metamizol – die Liste an Medikamenten, die derzeit nur schwer zu bekommen sind, wird auch in seinen drei Apotheken immer länger. Dabei handelt es sich fast durchweg um „Pfennigartikel“, wie er sagt. Und genau das ist aus seiner Sicht auch das Problem: Während zehn Zäpfchen Paracetamol in der Schweiz 8,50 Euro kosteten, seien es hierzulande nur 1,32 Euro. „Man kann den Herstellern nicht verübeln, dass sie ihre Ware lieber dort verkaufen, wo sie mehr Geld bekommen.“

Ware kommt nur selten

Aus seiner Sicht läuft derzeit so ziemlich alles verkehrt in den Apotheken. Erst neulich habe er wieder frohlockt, als er bei Pharma Mall einen Auftrag für Ibuflam aufgeben konnte – nur um danach festzustellen, dass es wieder einmal Bestandsfehler waren und der Hersteller nicht liefern kann. Gestern habe er dann bei AEP sechs Flaschen Nurofen ergattert – und über Teamviewer in einer Filiale noch einmal dieselbe Menge ordern können. „Hier wird Ware kontingentiert, sodass sie nur in geringen Mengen in die Apotheken tröpfelt.“

Tiefbesorgter Apotheker

In einem Brief an Lauterbach, Dittmar und Franke bezeichnet er sich selbst als „tiefbesorgter Apotheker“. „Ich leite drei Apotheken in Osthessen und kann die aktuelle Lage nur als katastrophal bezeichnen. Seit geraumer Zeit kämpfen Apotheken in Deutschland mit Beschaffungsproblemen. Wir bekommen dringend benötigte Arzneimittel weder auf dem üblichen Weg über den pharmazeutischen Großhandel, noch über die Industrie. Wie kann es sein, dass in einem der reichsten Länder der Welt, die Grundversorgung derart zusammenbricht? Pfennigartikel wie Paracetamol 125 mg und 250 mg sind nicht lieferbar. Fiebersäfte und Antibiotika nicht zu bekommen.“

Gerninghaus verweist auf die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen, nach der jeder Mensch das Recht auf einen Lebensstandard hat, der Gesundheit und Wohlergehen gewährleistet. „Gesundheit ist in der aktuellen Mangellage in Deutschland nicht mehr gewährleistet!“

Expertise wird nicht gewürdigt

Täglich kämpften er und seine Mitarbeiter, so wie alle Apotheken in Deutschland, mit Versorgungsengpässen und versuchten mit aller Kraft, unserem gesetzlichen Auftrag gerecht zu werden. „Wie kann ich diesem Auftrag gerecht werden, wenn es an der dazu dringend benötigten Grundausstattung fehlt?“ Noch könne man durch Improvisation und mit erheblichem Zeitaufwand die meisten Patienten versorgen. „Das geht dank unserer pharmazeutische Expertise, die Ihnen und Ihrem Ministerium aber offenbar nicht viel wert ist, denn statt der längst überfälligen Anpassung unserer Bezüge – wir haben seit 2004 keine nennenswerte Honoraranpassung erhalten und laufen der allgemeinen Preisentwicklung weit hinterher – erhöhen Sie unseren Zwangsabschlag an die Krankenkassen. Damit nehmen Sie einem ganzen Berufsstand die Luft zum Atmen.“

In einer Phase, in der die Kliniken überlastet seien, versage nun auch die ambulante Versorgung in der Fläche, weil dringend benötigte Arzneimittel nicht verfügbar seien, so sieht Gerninghaus die Versorgungsrealität in Deutschland. „Und da gibt es kein regionales Gefälle, keine Apotheke bevorratet sich auf Kosten anderer. Es ist ein allgemeiner Mangel.“

Unerträgliche Allmacht der Kassen

Eine Ursache sei sicher die aktuelle Lage der Lieferketten, die durch Corona und den Krieg in der Ukraine massiv beschädigt seien, räumt Gerninghaus ein. „Eine weiter wesentliche Ursache ist aber auch, dass die unerträgliche Allmacht der Krankenkassen in Deutschland in den letzten Jahren das Preisniveau für Arzneimittel kaputtgespart hat. Dadurch hat Deutschland heute eher den Status eines von fernöstlicher Produktion abhängigen Entwicklungslandes, statt wie einst die Apotheke der Welt zu sein.“

Und weil es ihm ernst ist, würde der Apotheker die Ministeriumsspitze gerne in seiner Apotheke begrüßen – zumindest Franke ist mit seinem Wahlkreis auch gar nicht so weit entfernt. „Ich lade Sie herzlich ein, der nächsten Mutter, dem nächsten Vater, der mit einem Rezept über ein dringend benötigtes Antibiotikum für sein Kleinkind vor mir steht, persönlich zu erklären, dass es dieses im Moment in Deutschland, einer der führenden Industrienationen der Welt, nicht gibt. Und das kurz vor Weihnachten, ohne Aussicht auf einen Platz in einer Kinderklinik.“

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