Endlich ein 72-Stunden-Dienst! Silvia Meixner, 18.05.2018 12:00 Uhr
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Apothekerin Stefanie Wirtz aus Friedersdorf freut sich auf ihren 72-Stunden-Dienst: „Die Festivalbesucher sind lustig drauf und erzählen, wie sie gefeiert haben, wo sie noch hingehen. Sie kommen aus ganz Deutschland, feiern und zelten über das Pfingstwochenende hier.“ Foto: Bernstein-Apotheke Friedersdorf
Jedes Jahr zu Pfingsten steigt in Friedersdorf in Sachsen-Anhalt der „Sputnik Spring Break“ des MDR. Zu dem Musikfestival auf der Halbinsel Pouch kommen rund 27.000 Besucher. Junge Leute, die vier Tage lang feiern wollen. Da bekommt manch einer Blasen an den Füßen oder Sonnenbrand. Die Kollegen können aufatmen – Apothekerin Stefanie Wirtz übernimmt freiwillig das ganze Pfingstwochenende den 72-Stunden-Notdienst.
Auch im vergangenen Jahr hat sie sich gemeldet. Weil es Spaß macht. „Ich bin die am nächsten zum Festivalgelände liegende Apotheke, deshalb übernehme ich gern den Dienst.“ Rund vier Kilometer ist sie entfernt, die ersten Besucher sind gestern angereist, heute geht‘s offiziell los. Auf der Bühne stehen viele bekannte Künstler wie Paul Kalkbrenner, Cro, Mike Singer und Gestört aber Geil.
Auf dem Gelände in der Nähe von Bitterfeld sind die hauptsächlich jugendlichen Besucher bestens versorgt: „Das DRK bietet erste Hilfe an“, sagt die Apothekerin. Aber für die kleinen Wehwehchen darf es dann gern die „Bernstein-Apotheke“ sein. „Die Festivalbesucher kommen hauptsächlich, weil sie Sonnenbrand oder eine Blasenentzündung haben. Auch Allergiemedikamente werden oft nachgefragt. Und Blasenpflaster“, erzählt Wirtz. Kopfschmerztabletten hingegen nicht: „Ich staune oft, wie gut die jungen Leute ausgerüstet sind, Kopfschmerztabletten und Desinfektionsmittel haben die meisten mit. “ Auch Kondome werden an diesem Wochenende verstärkt gekauft.
Das Schöne an den Festivalkunden beschreibt sie so: „Sie haben alle gute Laune, was natürlich daran liegt, dass sie nicht extrem leidgeplagt sind, sie sind alle um die 20.“ Aufs Festival kann Wirtz zwar nicht, aber sie erfährt von den Kunden, was passiert ist. „Sie sind lustig drauf und erzählen, wie sie gefeiert haben, wo sie noch hingehen. Sie kommen aus ganz Deutschland, feiern und zelten über das Pfingstwochenende hier.“
Die Friedersdorfer Apothekerin freut sich auf ihren 72-Stunden-Dienst. Denn das Festival bringt Leben ins Dorf. „Sonst passiert hier bei Notdiensten meist gar nichts, nach 23 Uhr kommt nie jemand.“ Wenn Zeit bleibt, will sie sich um liegen gebliebene Arbeit der vergangenen Wochen kümmern.
Ihre Apotheke hat sie im Oktober 2010 eröffnet. „Es war Eigeninitiative, wir haben viel selbst umgebaut.“ In Friedersdorf und Umgebung gab es damals keine Apotheke. „Mein Mann ist PTA. Wir haben die Unternehmensgründung nie bereut, sind von der Bevölkerung gut aufgenommen worden.“
Ein kleiner Heimvorteil half, die „Bernstein-Apotheke“ zu etablieren: „Ich bin im Nachbardorf aufgewachsen, schon meine Großeltern lebten hier. Mein Großvater war hier Lehrer. Die Kunden waren deshalb neugierig, als die Apotheke eröffnete. Anhand der Einwohnerzahlen war es ein kalkulierbares Risiko.“ Die nächstgelegenen Apotheken sind vier bis sieben Kilometer entfernt.
Das Apothekensterben trifft kleine Orte oft mit voller Wucht. Erst schließt der Bäcker, dann geht vielleicht der Arzt in den Ruhestand und findet keinen Nachfolger – und schließlich trifft es dann die Apotheke. In Friedersdorf haben sich die Dinge in den vergangenen Jahren anders entwickelt. Im Nebendorf eröffnete eine Ärztin ihre Praxis, Friedersdorf wächst. „Die Umgebung ist schön, neue Wohngebiete werden erschlossen. Es wird viel gebaut, neue Häuser und Wohnungen entstehen. Früher hatten wir unter 2000 Einwohner, jetzt steigen die Zahlen, unser Dorf befindet sich im Wachstum.“
Die Zahl der neuen Einwohner schätzt die 31-Jährige auf rund 150. Es gibt in der Gegend gute Arbeitsplätze, viele Unternehmen suchen Mitarbeiter. „Wir haben einen Bäcker, Maler, Elektriker, Metallbauer, alles ist da“, erzählt die Apothekerin. Ein Dorf, das funktioniert. Ein Lichtblick auf der Landkarte der Dorf-Apotheken.
Jeder neue Friedersdorfer ist auch ein potenzieller Kunde für die Apotheke. Jammern würde Wirtz nie. „Ich habe zwei Kinder im Alter von vier und acht Jahren. Apothekerin ist ein familienfreundlicher Beruf.“ Die Kinder wachsen im Grünen auf, von der Kita bis zur Schule ist alles leicht erreichbar. „Wir sind nur mit dem Fahrrad unterwegs.“ Auch mit der Geschäftsentwicklung ihrer Bernstein-Apotheke mit zwei Mitarbeitern ist sie zufrieden, wobei sie ihre Erwartungen realistisch einschätzt. „Ich habe die berühmten goldenen Zeiten der Apotheken nicht erlebt.“ Deshalb habe sie auch keine überzogenen Erwartungen.