Engpässe wegen Corona

EMA empfiehlt Apothekenkontrolle und Versandbeschränkung Patrick Hollstein, 09.04.2020 10:25 Uhr

Maßnahmen gegen die Krise: Die EMA empfiehlt strenge Auflagen gegen Lieferengpässe. Foto: EMA
Berlin - 

Die Europäische Arzneimittelagentur (EMA) hat Empfehlungen herausgegeben, wie Lieferengpässe während der Corona-Krise vermieden werden sollen. Das Dokument mit dem Titel „Guidelines on the optimal and rational supply of medicines to avoid shortages during the Covid-19 outbreak“ sieht unter anderem eine Kontingentierung wichtiger Medikamente vor. So sollten die Mitgliedstaaten aktiv kontrollieren, dass Großhändler und Apotheken keine wichtigen Medikamente horten. Und für die Apotheken vor Ort sollten Erleichterung geschaffen werden.

Der unvorhersehbare Ausbruch der Corona-Pandemie fordere von den Mitgliedstaaten außergewöhnliche Maßnahmen, um die Gesundheit der Bürger zu schützen. Gleichzeitig gehe es darum, die gleichmäßige Verteilung von Medikamenten im gemeinsamen Binnenmarkt zu schützen; letztendlich seien alle Länder auf einen verantwortungsvollen und solidarischen Umgang seitens der Pharmaindustrie angewiesen. Laut EMA drohen aus verschiedenen Gründen Engpässe, die es durch eine optimale und rationale Lieferung und Verteilung abzufedern gelte.

Steigende Nachfrage

Durch die Corona-Pandemie sei die Nachfrage nach bestimmten Medikamenten signifikant gestiegen, so die EMA. 30 Prozent der Infizierten müssten im Krankenhaus behandelt werden; wer über Sauerstoff hinaus eine Intubation benötige, brauche auch Anästhetika, Antibiotika, Muskelrelaxantie, Antidiuretika und Medikamente zur Wiederbelebung. Bei diesen Gruppen sei der Bedarf deutlich gestiegen. Doch auch Atemwegs- und Herzmedikamente, Analgetika, Gerinnungshemmer sowie Ernährungs- und Transfusionslösungen würden für die Behandlung von Covid-19-Patienten gebraucht. Schließlich bevorrateten sich Verbraucher mit rezeptfreien Schmerzmitteln; in einigen Fällen sei wegen des gestiegenen Bedarfs an bestimmten Medikamenten zum Einsatz gegen Sars-CoV-2 auch die Versorgung von Chronikern in Gefahr. EMA und EU-Kommission sammelten Informationen zur Entwicklung und zu drohenden Engpässen

Produktion/Lieferkette

Die Kommission beobachte die Entwicklung seit Beginn der Krise; wöchentlich gebe es Treffen mit den Pharmaverbänden. Man habe an die Industrie appelliert, maximale Transparenz herzustellen und die Produktion bestimmter Medikamente hochzufahren. Es zeichne sich aber ab, dass protektionistische Maßnahmen außerhalb der EU die Lieferketten empfindlich stören könnten. Zu Störungen bei der Lieferung von Wirkstoffen kämen niedrigere Produktionskapazitäten, logistische Probleme und Transportbeschränkungen, die die Verfügbarkeit von Medikamenten beschränken könnten.

Eine Bevorratung auf regionaler Ebene könne zu weiteren Hamsterkäufen führen und die Engpässe zusätzliche befeuern; daher spricht sich die EMA für eine europäische Bevorratung aus; auf nationaler Ebene sollten nur moderate Vorräte angelegt werden. Die Behörde gibt zu bedenken, dass kein Land alleine über ausreichend Kapazitäten verfüge, um die Versorgung zu gewährleisten.

Keine Beschlagnahmung

Innerhalb von Europa sollten laut EMA aus Gründen der Solidarität ungerechtfertigte Exportverbote aufgehoben werden – selbst wenn sie juristisch nicht zu beanstanden wären. Die Beschlagnahmung von Medikamenten, Wirkstoffen oder Produktionskapazitäten sollte nicht als Option in Betracht gezogen werden.

Apothekeneinkauf kontrollieren

Medikamente müssten dort verfügbar sein, wo sie am dringendsten benötigt würden. Eine Bevorratung in den Mitgliedstaaten gefährde die Versorgung in ganz Europa – je lokaler Vorräte angelegt würden, desto gravierender der Mangel. Insbesondere müssten die Mitgliedstaaten engmaschig überwachen, dass Großhändler und Apotheken keine Bestände aufbauten: Alles, was über den normalen Bedarf hinausgehe, müsse dezidiert begründet werden. Kliniken sollten sogar zentral beliefert werden.

Panikkäufe vermeiden

Um Panikkäufe seitens der Verbraucher, aber auch Großhändler und Apotheken zu vermeiden, seien die Behörden angehalten, verlässliche Informationen zur Verfügung zu stellen. Dies betreffe insbesondere die Akteure in der Lieferkette, die zur optimalen Lagerhaltung genaue Informationen über die epidemiologische Entwicklung bräuchten.

Produktion und Lieferung abstimmen

Herstellung und Auslieferung müssten in der Corona-Krise reorganisiert werden, um eine möglichst schnelle Auslieferung zu gewährleisten. Daher sollten die Firmen sich vorübergehend auch abstimmen können, die Mitgliedstaaten sollten dies fördern und unterstützen. Um Produktion und Auslieferung auf höchstem Niveau zu gewährleisten, sollten Hersteller und Großhändler mit Schutzkleidung für die Mitarbeiter und allen erforderlichen Genehmigungen ausgestattet werden; finanzielle Hilfen für die Industrie sollten in Erwägung gezogen werden. Auch regulatorische Erleichterungen sollten umgesetzt werden, etwa was Zulassungen, Importe und BtM-Verkehr angeht. Schließlich sollten Transportbeschränkungen und Grenzkontrollen hier auf ein Minimum reduziert werden.

Austausch bei Klinikapotheken

Die Belieferung von Klinikapotheken sollte zentral koordiniert werden; ein Austausch zwischen verschiedenen Einrichtungen sollte ermöglicht werden. Außerdem sollten die Krankenhäuser Informationen zur Behandlung der Patienten miteinander teilen, auch um im Fall von Engpässen schneller alternative Behandlungsmöglichkeiten zu erschließen.

Rezepturen und Tierarzneimittel

Auch Rezepturen, Tierarzneimittel und Medikamente mit anderen Indikationen sollten bei Engpässen zum Einsatz kommen, genauso wie bereits abgelaufene Medikamente, für die ausreichend Stabilitätsdaten vorliegen.

Botendienst und Versandbeschränkung

Die EMA sieht das Risiko, dass Patienten sich Vorräte an Medikamenten anlegen, um Wege zur Apotheke einzusparen. Daher sollten die Apotheken verstärkt Botendienst anbieten, um Patienten diese zusätzlichen Wege zu ersparen. Bei bestimmten Präparaten sollten die Mitgliedstaaten Höchstmengen für die Abgabe festlegen. Auch der Versandhandel solle beschränkt werden; zusätzlich sollten die Länder hier darauf achten, dass illegale Versender leichter zu erkennen seien, etwa durch strengere Vorgaben für das offizielle Siegel.