Apothekerin Kerstin Boragk hatte in den vergangenen Tage so einige Hiobsbotschaften zu ertragen: Aufgrund eines Wasserschadens musste ihre Löwen-Apotheke in Großenhain evakuiert werden, das historische Deckengewölbe ist akut einsturzgefährdet. Aus dem Stegreif musste sie ein neues Quartier für ihre Betrieb organisieren und retten, was zu retten ist. Unterdessen hat sich die Situation im Gebäude weiter verschlechtert. Seit gestern ist klar: Sie wird länger im Notquartier bleiben müssen als erwartet.
27 Quadratmeter, ein halbes Generalalphabet, zwei Stühle, ein Computer: Die Löwen-Apotheke arbeitet im Krisenmodus. Vergangene Woche musste Boragk ihre Apotheke Hals über Kopf verlassen, weil die Decke über der Offizin einzustürzen droht. Seitdem ist sie in einem 50 Meter entfernten Notquartier, das sie zu ihrem Glück spontan anmieten konnte. Mit Möbeln aus dem Baumarkt improvisierten sie und ihr Team HV und Sichtwahl, das halbe Generalalphabet konnten sie mit tatkräftiger Hilfe des örtlichen Karnevalsvereins herausholen, der am Samstag im Einsatz war. Innerhalb von vier Stunden hatten die Helfer das Medikamentenlager in die neuen Räumlichkeiten verfrachtet.
Eigentlich sollte das Behelfsquartier nur eine Notlösung für ein paar Wochen sein, seit Dienstag aber ist klar: Es dauert länger. An dem Tag gab es ein Treffen aller beteiligten Verantwortungsträger, von Boragk über die Architekten und Statiker bis zum Denkmalschutz. Es brachte schlechte Nachrichten: „Statt der sechs Wochen, mit denen der Statiker anfangs gerechnet hatte, wird es wohl eher ein Vierteljahr dauern“, sagt sie. „Es gab erstaunte Gesichter von allen, dass es doch so dramatisch ist.“
Denn die Situation hat sich ein weiteres Mal verschlechtert. Am Wochenende wurden weitere Risse im Gewölbe entdeckt, diesmal sogar um den Schlussstein herum. „Die Statiker meinten, dass immer noch zu viel Last auf der Decke ist“, sagt sie. Unterdessen baggert die Baufirma immer noch in Boragks Büro über der Offizin und muss besonders vorsichtig vorgehen: Der Boden zwischen Parkett und Gewölbe muss so gleichmäßig wie möglich abgetragen werden, um das Gewölbe nicht noch weiter zu destabilisieren. Ob sie ihr Büro je weider beziehen kann, weiß sie noch nicht. Die Decke unterdessen von unten zu stützen, wie Boragk hoffte, ist dabei keine Option. „Das würde einzelne Steine herausdrücken“, erklärt sie.
Die Offizin bleibt also vorerst komplett gesperrt. „Da herrscht Lebensgefahr, das haben die Statiker gestern nochmal bestätigt.“ Doch nicht nur Menschen wären in Gefahr, wenn sie sich in der Offizin aufhalten. Boragk sorgt sich um die historische Einrichtung, vor allem die jahrhundertealte Holzvertäfelung an der Wand, die sie erst 2010 hat nachschnitzen lassen. Sie wollte sie retten, durfte aber nicht: Mittlerweile drückt die Decke auf die Möbel und auch auf die Vertäfelung, die das Gewölbe somit notdürftig stützt. Eine Entfernung würde die Decke weiter destabilisieren.
Boragk und ihre Mitarbeiter müssen sich also erst einmal in der neuen Situation einrichten. „Das ist natürlich eine krasse Umstellung“, sagt sie. Statt historischen Interieurs arbeitet sie nun zwischen Sperrholzschränken, die sie ad hoc im Baumarkt geholt hat. Das Telefon konnte sie umleiten lassen, mit dem Internet dauert es noch und ein Mitarbeiter ist ständig damit beschäftigt, zwischen Apotheke und Notquartier hin- und herzupendeln. Denn Labor und Rezeptur sind dort und noch begehbar. Glück im Unglück ist auch, dass Boragk im nahegelegenen Gröditz eine Filiale betreibt, dort kann sie Medikamente einlagern, die nicht dringend benötigt werden.
An Nacht- und Notdienste ist in er Situation erst einmal nicht zu denken. Boragk hat deshalb einen Antrag auf Befreiung gestellt – weiß aber noch nicht, ob der angenommen wird. „Eigentlich hätten wir Freitag schon Notdienst gehabt“, erzählt sie. „Aber dankenswerter Weise hat den die Mohren-Apotheke spontan für uns übernommen.“ Auch von den Kunden erhalte sie statt Beschwerden ermutigende Worte. „Die Patienten sind da tiefenentspannt“, sagt sie. Besondere Anerkennung zeigt sie für ihr Team. „Hochachtung, dass wir das gepackt haben!“ Und selbst dieser stressigen Lage kann sie etwas positives abgewinnen: „Zumindest konnte ich so schon meinen Vorsatz für das neue Jahr verwirklichen: Ich wollte abnehmen. Sechs Kilo habe ich schon runter.“
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