Ein „Buden-Apotheker“ zieht Bilanz APOTHEKE ADHOC, 16.12.2019 10:25 Uhr
Seit 30 Jahren steht Apotheker Heinz-Jürgen Waterkamp in seiner Rats-Apotheke in Velbert. Das ist eine dieser „kleinen Buden“, die zum Sterben zu groß, zum Überleben aber vielleicht zu klein sind. Waterkamp ist 63 Jahre alt, würde eigentlich gerne seinen Ruhestand planen und versorgt tagtäglich 150 Kunden. Jetzt hat er sich seinen Frust von der Seele geschrieben und dafür im Internet viel Zuspruch erhalten: Knapp 100 Likes gab es und mehr als 20 Kommentare. „Die Politik muss sich überlegen, wie sie diese große Gruppe der kleinen Buden mit in die Zukunft nehmen kann“, wünscht sich Waterkamp. Sonst werde es eng mit der Arzneimittelversorgung.
„Ihr lieben Beraterinnen und Berater, jungen und/oder kraftvollen und/oder wohlhabenden Kolleginnen und Kollegen,ihr wundert euch, warum ein großer Teil der Kollegenschaft auf alle tollen und wohlmeinenden Ratschläge, auf alle Aufrufe zum Aufstand und alle Warnungen zum Beispiel vor dem E-Rezept nicht reagiert“, leitet Waterkamp seinen Frust-Brief ein. Er gehöre zu dem großen Teil – „wie ich jetzt gelesen habe immerhin 30 Prozent“ – derjenigen, die mit Anfang 60 Jahren in ihrer „unverkäuflichen kleinen Bude“ stünden und einfach das Gefühl hätten: „Wir haben die Schnauze voll, können aber nicht mehr die Energie aufbringen, eine Revolution zu entfachen.“
Er wisse nicht, ob er für alle Inhaber von kleinen Buden sprechen könne, aber er fühle sich durch die despektierliche Aussage über „unverkäufliche kleine Buden“ beleidigt, auch wenn diese vielleicht wahr sei: „Ich habe in meinem Berufsleben wohl über eine Million Menschen pharmazeutisch nach bestem Wissen betreut und mehr oder weniger glücklich gemacht. Ich habe als Selbstständiger viel zum Bruttosozialprodukt beigetragen, für den Unterhalt der Familien meiner Mitarbeiterinnen gesorgt und nicht nur viele Steuern gezahlt, sondern auch Vermieter, Computeranbieter, usw. usw. mit vielen Beiträgen unterstützt.“
Gezahlt hat Waterkamp rund fünf Millionen Euro Gehälter an seine Mitarbeiter, circa 500.000 Euro Gewerbesteuer an seine Kommune und rund eine Million Euro Einkommensteuer. Er habe leider nie das Geld in Schubkarren aus seiner Bude gefahren, da er immer nur ein einfacher Apotheker vor Ort gewesen sei. Aber so Waterkamp: „Ich liebe die pharmazeutische Seite meines Berufes sehr und freue mich über die positiven Resonanzen meiner Stammkunden.“
Aber er habe die „Schnauze voll“ von diesen überbordenden, nie enden wollenden bürokratischen Hindernissen wie Präqualifizierungen und Audits. Alle fünf Jahre müsse er neue Anträge stellen und werde dazwischen zweimal per Audit geprüft: „Jetzt muss ich per Foto nachweisen, dass ich im Beratungszimmer einen Spiegel hängen habe“, fühlt sich Waterkamp gegängelt.
Dazu die ausufernden Bestimmungen zu Datenschutz oder Securpharm, „welche zu einem großen Teil einer ständigen Missachtung und unbegründeten Neides gegen unseren Berufsstand entspringen, aber auch von denjenigen, die im Kapital ihren Hals nicht vollkriegen“. Waterkamp: „Ich könnte kotzen, wenn ich tagtäglich bei Presse, Politik und vor allem Krankenkassen auf Misstrauen stoße. Ich fühle meine Arbeit und die meines Teams absolut nicht mehr wertgeschätzt.“
Er arbeite, wie viele in dieser unteren Umsatzklasse, ohne oder mit wenig approbierter Unterstützung. Selbstausbeutung nenne man das wohl. „Da ich zu allen Öffnungszeiten also in der kleinen Bude anwesend bin, ist es mir zeitlich und kraftmäßig nicht möglich, neben meiner ausfüllenden Arbeit, dem Führen meines Teams, dem Beachten aller bürokratischen Vorschriften, dem Erfüllen der Rabattverträge, dem Bearbeiten der Lieferengpässe, auch noch Apothekertage oder Seminare tagsüber zu besuchen und ‚meine‘ Ärzte auf das E-Rezept vorzubereiten. Auch kann ich nicht, wie viele andere auch, mal eben den Schlüssel von meiner ‚kleinen Bude‘ umdrehen und aufhören, weil mir das finanzielle Belastungen verbieten“, schildert Waterkamp seine Situation.
Also dürfe man sich nicht wundern, wenn er einfach nicht mehr jeden Aktivitätsvorschlag bejubele, scheinbar alles Negative nur abnicke. Das sei nicht der Fall. Waterkamp: „Aber ich habe über viele Jahre nicht die Erfahrung machen dürfen, dass Standesführung, Berater, Politik, Presse oder Krankenkassen irgendetwas zu unseren Gunsten oder Ansehen getan hätten. Also mache ich weiter, solange wie nötig und möglich, unsere Kundinnen und Kunden in unserer ‚Apotheke vor Ort‘ gut zu versorgen.“
Viele Kommentare hat Waterkamp zu seinem Beitrag erhalten, die meisten zustimmend: „Da kann ich nur zustimmen. Gott sei Dank habe ich den Absprung geschafft“ oder „Ich denke Sie sprechen einer großen Anzahl von Kollegen aus der Seele“ oder „Irgendwann fehlt da einfach die Kraft weiter zu kämpfen. Kann ich gut nachvollziehen“ oder „Danke für diese aus meiner Seele gesprochenen Worte“ oder „Alles selbst aufgebaut und finanziert, irgendwann kann man einfach nicht mehr, Depressionen kommen nicht ohne Grund“ und „Super Abriss eines irren Daseins“.