Das Modellprojekt ARMIN in Sachsen und Thüringen hat es gezeigt: Apotheker und Ärzte können viele Ideen haben – wenn die Software nicht mitspielt, geht gar nichts. Allerdings haben Pharmazeuten und Mediziner, deren Standesorganisationen und die EDV-Anbieter ganz unterschiedliche Vorstellungen, wie die Systeme aussehen sollen. Aus diesem Grund wird immer wieder über eine Pflicht zur Zertifizierung diskutiert – für die Softwareanbieter ist das ein rotes Tuch.
Die ABDA hatte bereits 2012 im Vorfeld der AMG-Novelle vorgeschlagen, dass Apotheken künftig nur noch mit zertifizierter Software arbeiten sollten. Damit sollte sichergestellt werden, dass Warenwirtschaftssysteme die gesetzlichen und vertraglichen Vorgaben der Arzneimittelversorgung einhalten. Über die Zertifizierung sollte garantiert werden, dass in der Software ausschließlich offizielle Vorgaben angezeigt werden und keine sachfremden Funktionalitäten einfließen.
Der Vorschlag ging damals nicht durch. In diesem Jahr wurde beim Apothekertag in München ein entsprechender Antrag von Kammer und Verband aus Sachsen abgelehnt. Der Berliner Verbandschef Dr. Rainer Bienfait hatte die Forderung als nicht praktikabel kritisiert: Das Ziel, essentielle Informationen zu Arznei- und Hilfsmitteln einheitlich und rechtssicher darzustellen, lasse sich mit einer Zertifizierung nicht erreichen.
Aus Sicht von Lars Polap, dem Vorsitzenden des Bundesverbands Deutscher Apothekensoftwarehäuser (ADAS), war die Ablehnung die richtige Entscheidung: „Die Zertifizierung kostet Zeit und Geld, führt zu mehr Bürokratie, verringert die Handlungsmöglichkeiten und bedeutet einen zusätzlichen Aufwand.“ Es sei auch nicht geklärt, wer die Kosten dafür übernehmen würde.
Polap sieht in einer Zertifizierung keinerlei Vorteil gegenüber dem bisherigen System, bei dem die Softwareunternehmen frühzeitig eingebunden werden und die nötigen Systeme mitentwickeln. Das zeige auch das Beispiel ARMIN: „Die Apotheken waren termingerecht fertig, auch ohne eine Zertifizierung.“
Anders sah es bei den Ärzten aus: Bis heute sind viele Praxissysteme nicht auf ARMIN vorbereitet. Aus Sicht der Software-Anbieter ist das Interesse bei den Ärzten an dem Modellprojekt gering. Auch in Westfalen-Lippe hat die Kassenärztliche Vereinigung (KV) mit der „Verweigerungshaltung“ der Softwareanbieter zu kämpfen.
Damit Ärzte und KVen untereinander sicher kommunizieren können, gibt es bereits seit 2008 das KV Safenet, ein sicheres Netzwerk, das ursprünglich zur Abrechnung entwickelt wurde. In Bochum und Umgebung testet die KV Westfalen-Lippe derzeit unter anderem den elektronischen Arztbrief, der ebenfalls über das KV Safenet verschickt wird. Das Problem: Die Dokumente können über das System zwar verschickt, aber nicht in die jeweilige Praxissoftware integriert werden. Derzeit müssen die Arztbriefe also ausgedruckt oder gesondert abgespeichert werden.
Eine Lösung für das Problem kann KV Connect sein. Die Schnittstelle soll es ermöglichen, Daten direkt in der Praxissoftware zu verschlüsseln. Die KVen wollen dieses System zum Standard machen. Allerdings sind sie dabei von den Softwareanbietern abhängig, die die Schnittstelle in die jeweiligen Programme integrieren müssen.
Ein Verfechter des Systems ist KV-Vorstandsmitglied Dr. Thomas Kriedel. Er ist Sprecher der KVen, die an den Telematik-Testregionen Nordwest und Südost beteiligt sind. Bei dem Modellprojekt in Bochum musste er die Erfahrung machen, dass nicht alle Softwareanbieter mitziehen – und dass sich Daten selbst zwischen den einzelnen Programmen eines Anbieters nicht mühelos austauschen lassen.
Die Erfahrungen in Bochum waren für Kriedel der Anlass, an den Gesetzgeber heranzutreten. Er fordert, dass Ärzte, Kliniken oder Apotheker Schnittstellen festlegen können, die die Anbieter umsetzen müssen. Als Vorbild dient ihm der Abrechnungsprozess: Anders als bei der Apothekensoftware kann die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) bestimmte Normen festlegen, die die Abrechnungsprogramme erfüllen müssen.
Das ist aus Kriedels Sicht nicht mehr ausreichend: Inzwischen gebe es viele Selektivverträge und Projekte, in denen Ärzte Daten austauschen müssten. Dafür bräuchten die Praxissysteme eine Schnittstelle. Aber: „Daran hapert es“, kritisiert Kriedel. Bislang sei man dabei auf das Wohlwollen der Softwareanbieter angewiesen. Die einheitlichen Standards sind aus seiner Sicht notwendig, um eine sinnvolle Telematik-Infrastruktur zu schaffen.
Die Anbieter von Praxissoftware sehen die Zertifizierung kritisch. Sie befürchten einen hohen Zusatzaufwand: „Derzeit nehmen wir verstärkt wahr, dass verschiedene Interessengruppen an uns herantreten und die Umsetzung von Funktionen erwarten, die zur Durchsetzung ihrer Ziele bei unseren Kunden hilfreich sein können“, sagt Jens Naumann, Geschäftsführer des Softwareanbieters Medatixx. „Wir stellen aber fest, dass diese Funktionen nicht immer auch die Interessen unserer Anwender widerspiegeln.“
Gespräche mit Kunden zeigten, dass sich die Ärzte immer mehr durch politische, körperschaftliche oder durch privatwirtschaftliche Interessen induzierte Vorgaben belästigt fühlten. Nur in wenigen Fällen würden die IT-Funktionen tatsächlich genutzt. „Unsere Prämisse lautet deshalb: Wir setzen genau jene Funktionen in unserer Praxissoftware um, die von unseren Anwendern tatsächlich nachgefragt werden oder zu deren Verwendung sie vertragsgemäß verpflichtet sind.“
Dabei begrüßt Naumann KV Connect ausdrücklich: Wenn es dem KV-System damit tatsächlich erstmalig gelinge, die Schnittstelle als Grundprinzip für alle Kommunikationsprozesse zu etablieren und den föderalen Flickenteppich verschiedenster Lösungen zu beseitigen, werde dies zu einer Vereinfachung für den Arzt und weniger Entwicklungsaufwand führen. Er befürchtet allerdings, dass die Schnittstelle nur ein weiteres Projekt sein könnte, dass kommt und wieder verschwindet.
Kriedel hält dagegen: „Genau das wollen wir nicht mehr“, sagt er mit Blick auf die derzeit unterschiedlichen Verfahren. Ziel sei, bundesweit für alle Hersteller eine Schnittstelle einzuführen, die Bestand habe. Als positives Signal dafür sollten die Hersteller es sehen, dass die Vertreter der Selbstverwaltung nach dem Gesetzgeber rufen. Um die Kleinstaaterei zu beenden, brauche es jemanden, der die Norm vorgebe. „Dafür brauchen wir eine gesetzliche Regelung“, so Kriedel.
Zumindest bei KV Connect ist die Sachlage inzwischen geklärt: Laut KBV sind die Hersteller verpflichtet, die Schnittstelle in ihre Produkte zu integrieren. „Nur dann erhalten sie eine Zulassung.“ Über den verschlüsselten Kanal sollen künftig nicht nur Arztbriefe verschickt, sondern auch Labordaten ausgetauscht und Leistungen abgerechnet werden. Mitte des kommenden Jahres sollen alle Online-Anwendungen auf das neue sichere Netz der KVen (SNK) umgestellt werden – bis dahin brauchen alle Praxen einen Anschluss an dieses Netz.
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