Auf Euphorie ist Ernüchterung gefolgt, auch das eGK-Rezept ist bislang nicht der ganz große Durchbruch. Auf die E-Rezept-Enthusiasten folgen daher jetzt die E-Rezept-Engel. Die „Helfer aus Leidenschaft“ kommen zum Einsatz, wenn es mal wieder Ausfälle gibt.
Eigentlich sollte der 1. Juli für das E-Rezept zum Befreiungsschlag werden. Nachdem weder die Gematik-App noch der Papierausdruck eine breite Anhängerschaft unter den Leistungserbringern oder gar in der Bevölkerung finden konnten, sollte die Einlösung per elektronischer Gesundheitskarte (eGK) endlich alle Dämme brechen lassen und das Land mit digitalen Verordnungen fluten.
Keine PIN, kein NFC oder andere Hürden – mit dem neuen Verfahren werde das E-Rezept „praxistauglich und Standard“, so die Parlole von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach. Nun werde das System schnell bundesweit ausgerollt, schließlich seien Ärzte und Apotheker doch „Pioniere der Digitalisierung“.
Doch allen markigen Sprüchen zum Trotz passierte am vergangenen Wochenende nicht nur nichts, sondern das Gegenteil. Stundenlang war einen Tag nach dem offiziellen Starttermin erst einmal die gesamte Telematikinfrastruktur (TI) down. Wegen einer Panne beim IT-Dienstleister Arvato konnten weder E-Rezept noch ePa, KIM oder auch nur das Versichertenstammdatenmanagement genutzt werden.
Glück im Unglück für die Gematik und ihre Anhängerschaft: Der Totalausfall fiel auf einen Sonntag. Nicht auszudenken, wie es in Praxen, Kliniken und Apotheken ausgesehen hätte, wenn der TI-Blackout an einem ganz normalen Wochentag aufgetreten wäre.
Was dann allerdings wirklich Pech war: Zeitgleich wurde offenbar, dass es zu einer weiteren Megapanne gekommen war. Weil im zentralen Verzeichnisdienst eine ID doppelt vergeben worden war, gingen hunderttausende elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen (eAU) nicht an die AOK Niedersachsen, sondern an eine Arztpraxis. Dort fiel die Flut an Nachrichten erst nach Monaten auf. Die Gematik stellte umgehend das betroffene Softwarehaus in den Senkel – Prüfpflicht und so.
Und um solche Worst-Case-Szenarien in Zukunft zu verhindern (und um an dieser Stelle in die Welt der Halbwahrheiten hinüberzugleiten), beschloss die Gesellschafterversammlung der Gematik mehrheitlich mit der Stimme des Bundesgesundheitsministeriums (BMG), ab sofort eine „E-Rezept-Wacht“ einzurichten. Dank einer Kooperation mit dem ADAC können Praxen und Apotheken bei Problemen und Ausfällen ab sofort schnelle und professionelle Hilfe anfordern.
Wörtlich heißt es dazu unter minimaler Anpassung der bestehenden Mission:
Im wirklichen Leben ist es dagegen so, dass das E-Rezept mit Zuckerbrot und Peitsche durchgedrückt wird. Die komplette TI-Pauschale bekommen Apotheken nur, wenn sie alle Leistungen und Geräte nachweisen können. Fehlt etwas, gibt es die Hälfte. Fehlen zwei Sachen, gibt es gar nichts mehr. Und die Kassen dürfen natürlich stichprobenartig und nachträglich prüfen. So sieht es der Schiedsspruch aus dem BMG vor.
Den Versendern geht die Sache mit dem E-Rezept nach wie vor nicht schnell genug. Vor allem weil die Scan-Lösung als Alternative in der Arztpraxis noch immer auf sich warten lässt (und es auch dann alles andere als gewiss ist, dass irgendjemand sein Handy zückt und sein Rezept nach Holland schickt), hat DocMorris jetzt wieder in Brüssel gepetzt. Entweder E-Rezept oder Rx-Bonus, am besten beides. Sonst: Vertragsverletzungsverfahren. Klingt irgendwie hilflos und ziemlich nervös. Etwas entspannter ist Redcare (fka Shop Apotheke) – vor allem dank guter Geschäftszahlen: Nach dem Deal in der Schweiz kann man Rx-Wachstum vorweisen.
Während die Digitalgesetze also über die Sommerpause noch reifen, genauso übrigens wie die Klinikreform, hat Lauterbach das ALBVVG durch den Bundesrat gebracht. Bisschen mehr Geld, bisschen Retaxschutz, bisschen Austausch und bisschen weniger Präqualifizierung, sind die relevanten Stichworte. Bis auf das Foto vom Milchpumpenkoffer verzichtet werden darf, kann es aber noch neun Monate dauern. Und bereits ausgesprochene Retaxationen für Fiebersäfte werden auch nicht zurückgenommen, wie Kathrin Vogler (Linke) in Erfahrung gebracht hat. Gilt ja nicht rückwirkend, so ein Gesetz.
Sultanol fehlt trotzdem bis ins kommende Jahr hinein, und Hexal musste Azithromycin aus Kasachstan auch erst einmal wieder streichen. Typhim Vi (Sanofi) fehlt zwar nur kurz, um den akuten Bedarf zu decken, wird der Reiseimpfstoff gegen Typhus aber vorübergehend in fremdsprachiger Kennzeichnung zur Verfügung stehen.
Ach ja, auch das erste Cannabisgesetz ist da. Gras für die Clubs, rosa Rezepte statt BtM für die Apotheken. Womit allerdings immer noch 14 Gesetzesvorhaben auf seinem Tisch liegen, wie Lauterbach abermals zu Protokoll gab. Fleißbienchen. Schönes Wochenende!
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