Tamim Al-Marie und die Immunkarte

Durchstarter des Jahres: Vom Jung-Apotheker zum Start-up-Chef

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Berlin -

Tamim Al-Marie hat das Jahr seines Lebens hinter sich: Im Januar war er noch ein frisch approbierter Jung-Apotheker, im Dezember ist er der Chef von 30 Mitarbeitern und mit seinem Unternehmen in jeder zweiten Apotheke präsent. In Ruhe das Geschehene reflektieren konnte er noch nicht. „Zu 100 Prozent kann ich noch nicht realisieren, was dieses Jahr alles passiert ist“, sagt er – hat aber schon Pläne für das kommende Jahr.

„So etwas wie den Kick-off der Immunkarte dieses Jahr erlebt man nur einmal im Leben“, sagt 27-Jährige. In welche Richtung er will, wusste er schon lange: Bereits im Studium hatte er ein Jahr ausgesetzt, um sich im Start-up-Bereich umzusehen und den Zukunftsfragen der Branche zu widmen. Er zog es durch und ist heute selbst ein Gründer. „Viele Start-up-Gründer wollen ja das Alltagsleben der Menschen erleichtern und wir haben das bei drei Millionen Menschen geschafft“, sagt er. „Trotzdem rechnet man als junger Mensch nicht damit, dass man dann in der Tagesschau und allen anderen großen Medien landet. Das macht schon etwas mit einem.“

Neben der guten Idee und ihrer konsequenten Umsetzung gab es vor allem einen Grund für den Erfolg: Er war zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Noch bevor das offizielle Impfzertifikat verfügbar war, gründete er sein Start-up, holte zwei Studienfreunde an Bord und erhielt dabei fachliche und finanzielle Unterstützung vom Leipziger Start-up-Inkubator 2b Ahead Ventures. Im Mai begann er mit dem Verkauf der blauen Plastikarten, mit denen man im Alltag möglichst bequem seinen Immunisierungsstatus ausweisen kann, und legte gleich einen guten Start hin und verkaufte die gesamten Bestände. Schon nach einer Woche mussten 10.000 Karten nachbestellt werden. Seitdem lief es kontinuierlich gut. Doch das war gar nichts mit Blick auf das, was noch kommen sollte.

Vierte Welle als Turbo

„Wir dachten schon im Sommer, dass das durch die Decke gegangen ist, aber das war gar nichts im Vergleich zu jetzt“, sagt er. Denn die Mischung aus wachsender Bekanntheit und verschärften Zugangsregeln ab dem Herbst gab der Immunkarte einen ungeahnten Schub. „Ursprünglich war die Annahme mal, dass das Modell gegen Ende des Jahres ausläuft, weil die Coronapandemie ja auch irgendwann vorübergeht. Aber es kam bekanntlich ganz anders. Ende November und Anfang Dezember hat sich unsere tägliche Kundenzahl innerhalb von zwei Wochen verfünffacht und lag plötzlich bei 100.000“, erzählt er. „Das ist für ein kleines Unternehmen wie unseres kaum zu stemmen. Wir haben es zwar hingekriegt, aber es hat uns wirklich an unsere Grenzen gebracht.“ Denn mit der Masse wachsen auch die Probleme.

„Unsere Software ist zum Glück gut gebaut, wir hatten nie Serverprobleme. Aber physisch war es schon wahnsinnig schwer“, sagt er. Allein, dass die bisherigen Druckereikapazitäten nicht mehr ausreichten, habe eine riesige Menge Arbeit verursacht und führte bei Apothekenkunden mitunter zu Wartezeiten. Neue Dienstleister musste gefunden werden, mittlerweile sind sieben Druckereien an der Herstellung der Karten beteiligt. Die müssen die notwendigen Daten erhalten, in Vorproduktion gehen und alle gleichzeitig koordiniert werden. Hinzu kommt der Versand der Karten. „Eine Fehlerquote von 0,1 Prozent klingt niedrig, aber wenn man täglich 100.000 Karten versendet, sind das schon 100 am Tag.“

An der Belastungsgrenze

Und um die muss man sich kümmern, was wiederum die Kapazitäten des Customer Support komplett auslastet. „Es wirkt aus Kundensicht bestimmt meist trivial, etwas an einer Karte zu ändern, und dann wundern sich viele, wenn es länger dauert. Aber wir waren bei über 3000 Anrufen und Mails am Tag, die erst einmal alle beantwortet werden mussten. Und plötzlich ist das einfache Verkaufen von blauen Plastikkarten sehr viel komplexer als am Anfang gedacht.“ Also musste auch der Customer Support ausgebaut werden. Mittlerweile sind 15 externe Mitarbeiter damit betraut, hinzu kommt das Kernteam von Immunkarte, das noch einmal 15 Mitarbeiter umfasst.

Natürlich sind da kleine Fehler, die man macht, wenn man als Unternehmensgründer das laufen lernt. „Wir haben uns zum Beispiel im Nachhinein wirklich geärgert, dass wir bei der Anmeldung der Apotheken keine Faxnummer mit abgefragt haben – das war ein typischer Anfängerfehler“, sagt er. „Außerdem wäre es natürlich gut gewesen, vorher schon mehr Druckereien zu haben, aber wir konnten ja auch nicht wissen, dass es nochmal so durch die Decke geht. Es ist natürlich schwer, im Zusammenhang mit Corona irgendetwas zu planen. Das kriegt ja nicht mal die Bundesregierung hin und die hat garantiert noch bessere Berater als wir!“

All das hinterlässt seine Spuren. „Natürlich war das extrem viel Arbeit, man muss Nachtschichten einlegen, immer erreichbar sein und schnell reagieren“, sagt er. „Da waren auch einige schlaflose Nächte dabei. Aber mit einem guten Team kann man all das machen.“

Aus den vergangenen Wochen zieht der Apotheker wichtige Erfahrungen, beispielsweise die Erkenntnis, wie zentral ein gutes B2B-Netzwerk sei, sagt er. „Erfahrene und im Markt vernetzte Partner sind ein Segen für junge Start-ups. Wir haben ja ein komplett neues Produkt eingeführt, das es so vorher noch nicht gab.“

Apotheken drucken selbst

Trotz des enormen Arbeitsaufwands entwickelte er das Konzept stets weiter, nächster Schritt war es, Apotheken zu ermöglichen, die Karten selbst vor Ort zu drucken. 400 bis 500 Apotheken können das bereits. „Wir haben hunderte Drucker gekauft und sie den Apotheken geschickt, manche haben sich auch selbst welche besorgt.“ Auch hier sei er schnell an Kapazitätsgrenzen gestoßen. „Es war anspruchsvoll, die aufzutreiben, weil normalerweise nicht in so kurzer Zeit so viele Kartendrucker bestellt werden.“ Rund 300 Drucker habe er bereits ausliefern lassen.

Und damit soll längst nicht Schluss sein, er habe noch viele Ideen für das kommende Jahr und wolle das Konzept noch weiterentwickeln. „Ich denke, dass die Corona-Impfungen in Apotheken für uns bald eine große Rolle spielen wird. Wir haben große Freude an der Zusammenarbeit mit den Apotheken und wollen das auf jeden Fall fortsetzen. Ich bin besonders stolz darauf, dass mit 9500 Apotheken jede zweite in Deutschland zu unseren Partnern gehört. Mit so viel Vertrauen hatte ich gar nicht gerechnet.“

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