Showdown zu Rx-Boni

„Diese Schlussanträge sind brandgefährlich“

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Berlin -

Rx-Boni sind keine Werbung für Arzneimittel, findet Maciej Szpunar, Generalanwalt am Europäischen Gerichtshof (EuGH). Denn schließlich werde nicht für Medikamente, sondern „nur“ für eine Apotheke geworben. Warum diese Einschätzung nicht nur falsch, sondern auch brandgefährlich ist, erklärt Professor Dr. Elmar Mand, Experte für Apothekenrecht an der Philipps-Universität Marburg.

In seinen Schlussanträgen hatte der Generalanwalt nicht viel Federlesen gemacht: Die Rabatt- und Gutscheinaktionen von DocMorris seien nicht als unzulässige Werbung für verschreibungspflichtige Medikamente gemäß EU-Richtlinie 2001/83/EG einzustufen. Denn im Grunde gehe es nicht darum, den Patienten „in der Entscheidung für ein bestimmtes Arzneimittel zu beeinflussen, sondern nur in der – nachgelagerten – Entscheidung für die Apotheke, bei der er das Arzneimittel kauft“.

Aus seiner Sicht sind die Boni schon dem Grunde nach nicht geeignet, einen unzweckmäßigen Einsatz von Arzneimitteln zu fördern, da „der Erwerb eines Arzneimittels eine ärztliche Verschreibung unter der Aufsicht der zur Verschreibung der betreffenden Arzneimittel berechtigten Personen voraussetzt“. Die Entscheidung über das konkrete Präparat, die Wirkstärke und die Einnahmemodalitäten werde also von einer „Fachkraft“ getroffen, die dazu befugt sei. Dem Patienten bleibe nur noch die Wahl der Apotheke, bei der er das Arzneimittel beziehen wolle.

Allmächtige Ärzte

Auch wenn diese Herleitung auf den ersten Blick schlüssig klingen mag: Laut Mand sind die Schlussanträge geprägt von einer „beachtlichen Knappheit“, die mit ihrer einseitigen Sichtweise der Komplexität der Problematik überhaupt nicht gerecht würden. „Hier wurden verschiedene Aspekte übersehen, die im Verfahren eigentlich umfassend vorgetragen wurden.“

Insbesondere der Verweis auf den verordnenden Arzt greife viel zu kurz: „Wenn der Arzt jeden Missbrauch verhindern könnte, dann wäre es gänzlich unplausibel, die Publikumswerbung für verschreibungspflichtige Medikamente überhaupt zu verbieten. Dann dürfte es auch keinen Unterschied machen, ob Hersteller oder Apotheken den Absatz durch Werbemaßnahmen gegenüber dem Publikum zu fördern versuchen – weil nach dieser Theorie ja alles ohnehin zuverlässig vom Arzt kontrolliert und jeder Fehlgebrauch oder gar Missbrauch verhindert wird.“

Professor Dr. Elmar Mand findet, dass die Schlussanträge einseitig und gefährlich sind. Foto: Uni Marburg

Den Arzt als ausreichenden „Gatekeeper“ zu betrachten, greift laut Mand indes viel zu kurz. Denn einerseits sei es auch gewissenhaften Ärzten schlechterdings nicht möglich, medizinisch nicht indizierte Wunsch- und Doppelverordnungen zu verhindern, etwa wenn Patienten mehrere Ärzte mit denselben Beschwerden aufsuchen oder eine Fortdauer der Erkrankung oder einen Verlust der verordneten Arzneimittelpackung vorspiegeln, um über eine weitere Verordnung in den Genuss der Gutscheine und Boni der Versandapotheken von teils bis zu 20 Euro zu gelangen.

Andererseits ergäben sich seiner Meinung nach auch zahlreiche Abgrenzungsprobleme: Mand verweist auf integrierte, vielfach plattformgestützte Versorgungskonzepte, auf denen nur bestimmte Präparate oder Indikationen angeboten werden. „Wenn man hier Bezugsanreize über Wertreklame setzt, wirbt man nach der gefestigten Rechtsprechung des EuGH automatisch auch für die jeweiligen (verschreibungspflichtigen) Medikamente.“

Werbeverbot trotz Rezept

Aus gutem Grund differenziere das EU-Recht insoweit nicht – im Gegenteil: „Gerade bei verschreibungspflichtigen Medikamenten ist ja EU-weit ein striktes Werbeverbot vorgesehen. Und obendrein ist es den Mitgliedstaaten überlassen, die Werbung für erstattungsfähige Medikamente generell zu untersagen. Dies soll nicht zuletzt werbeinduzierte Kostensteigerungen für die sozialen Sicherungssysteme verhindern.“

Über eine einschränkende Auslegung des „Werbebegriffs“ dann doch wieder einzelne Werbeformen zuzulassen, auch wenn jene durchaus den Absatz verschreibungspflichtiger Arzneimittel fördern könnten und sollten, widerspricht laut Mand diesem umfassenden Ansatz. „Aufgrund der Finanzierung der Arzneimittel durch Krankenversicherungen ermögliche die Gewährung von Gutscheinen durch (Versand)Apotheken den Patienten ja sogar ein Geldverdienen auf Rezept. “

So gesehen könnte der Bundesgerichtshof (BGH), der den Fall beim EuGH vorgelegt hat, laut Mand immer noch zu dem Ergebnis kommen, dass das Werbeverbot nach § 7 Heilmittelwerbegesetz (HWG) auch über die Vorschrift nach EU-Richtlinie hinaus Bestand hat. Ob diese deutsche Vorschrift dann auch bei grenzüberschreitenden Zusammenhängen angewendet werden könne, müsste unter dem Gesichtspunkt der Warenverkehrsfreiheit im Binnenmarkt geprüft werden.

Der EuGH hatte zuletzt in drei anderen Verfahren – DocMorris, Shop Apotheke und Euroaptieka – entsprechende nationale Werbeverbote selbst sortimentsweiter Werbung für zulässig erklärt, auch wenn er sie in zwei Fällen ebenfalls nicht als Arzneimittelwerbung im Sinnne der Richtlinie 2001/83/EG qualifiziert hatte. Erst im dritten Verfahren hatte er diese Position korrigiert.

Rx vs. OTC

Allerdings weist Mand darauf hin, dass es in diesen Verfahren durchweg um nicht verschreibungspflichtige Produkte gegangen sei. „Wenn man der Argumentation des Generalanwalts folgt, dass im rezeptpflichtigen Bereich der Arzt in jedem Fall eine zweckmäßige und bedarfsgerechte Arzneimittelversorgung gewährleiste, so dass auch nationale Verbote nicht aus Gründen des Gesundheitsschutzes gerechtfertigt werden können, wären ausgerechnet bei den besonders gefährlichen Arzneimitteln auch bedenkliche, potenziell unsachlich beeinflussende Werbeformen erlaubt, die bei OTC-Arzneimitteln verboten sind. Das ist wirklich schräg.“

Insofern sieht Mand in den „prosaischen Ausführungen“ des Generalanwalts auch eine Gefahr für die deutsche Preisbindung. Wenn die Werbung mittels Rx-Boni werberechtlich erlaubt sei, müsste erneut die Frage gestellt werden, ob ihr Verbot über das nunmehr im Sozialgesetzbuch (SGB V) normierte Preisrecht überhaupt Bestand haben könne. Laut Generalanwalt wäre dies nicht zu rechtfertigen – gut möglich, dass es Szpunar auch darum ging, sein Votum zur Nichtanwendbarkeit der Rx-Preisbindung im Fall des grenzüberschreitenden Versandhandels aus dem Jahr 2016 zu verteidigen.

Dass der BGH diese Frage in seiner Vorlage nicht breiter thematisiert habe, sondern schlicht von einer feststehenden Unvereinbarkeit eines einheitlichen Apothekenverkaufspreises mit dem Unionsrecht ausgegangen sei, war laut Mand bedauerlich. Demgegenüber habe das Oberlandesgericht München (OLG) zuletzt sehr dezidiert dazu Stellung genommen.

Generalanwalt Maciej Szpunar findet, dass alleine der Arzt entscheidet.Foto: EuGH

Szpunar hingegen erwecke in seinen Schlussanträgen den Eindruck, als ob das acht Jahre alte EuGH-Urteil zur Rx-Preisbindung für ausländische Versender unumstritten sei. Mit seiner Frage, ob man zwischen Barrabatten und Gutschriften unterscheiden müsse, habe der BGH immerhin noch versucht, dem EuGH eine differenzierte Betrachtung schmackhaft zu machen. Aber auch diese Frage habe den Generalanwalt kalt gelassen. „Ich habe daher ein bisschen die Sorge, dass der EuGH in Unkenntnis der breiten Debatte entscheiden könnte.“

Besser sei es da noch, wenn der EuGH „schmal“ entscheide, also alleine auf Grundlage der konkreten Vorlagefragen zum Werbebegriff der Richtlinie 2001/83/EG. Dann wäre nur die vom BGH gestellte Frage geklärt, ob die von den Versendern gewährten Boni als Rx-Werbung einzufstufen und damit gemäß EU-Richtlinie unionsweit unzulässig sind.

Ohne „Segelanweisung“, ob die Mitgliedstaaten Rx-Boni von Versandapotheken bei Nichtanwendung der Richtlinie ihrerseits auch bei grenzüberschreitenden Sachverhalten verbieten können, bräuchte es dann ein gänzlich neues Vorabentscheidungsverfahren, für das sich insbesondere der Rechtsstreit vor dem OLG München eigne.

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