In Gelsenkirchen-Ückendorf, mitten im Ruhrpott, gibt es nur noch wenige Apotheken. Eine davon ist die Schwan Apotheke. Seit 1992 ist sie im Besitz der vietnamesischen Flüchtlingsfamilie Phan. Jetzt gibt Thi Tuyet Maria Phan die Schwan Apotheke an ihren Sohn weiter, der baut um und hat dabei eine Mission im Fokus: „Die Schwan Apotheke an sich ist nichts Großes, nichts Besonderes. Keine Revolution auf dem Apothekenmarkt. Vielleicht aber ein Hoffnungsschimmer, eine Orientierungsmöglichkeit für den einen oder anderen Inhaber kleinerer Apotheken, der in Zukunft für seinen Betrieb nur Düsternis sieht und nach einem positiven Ausweg sucht“, so Hung Chinh Daniel Phan.
Der Umbau hat bereits begonnen und findet im laufenden Betrieb statt. In den letzten Jahren hat die Schwan Apotheke besonders harte Zeiten hinter sich: „Die Dauerbaustelle am Ückendorfer Platz hat uns von 2015 bis Mitte 2019 immensen wirtschaftlichen Schaden zugefügt. Der Umsatz erreichte 2016 einen absoluten Tiefpunkt“, so Daniel Phan. In den Folgejahren sei jedoch nicht nur deswegen das beklemmende Gefühl gewachsen, diese Apotheke aufgeben zu müssen. Verfahrenstechnische Änderungen wie Securpharm, der wachsende Anteil bürokratischer Arbeit wie mit der Datenschutzverordnung, sowie der anhaltende Fachkräftemangel erschwerten die Arbeit. Mehr noch: „Die Revision im letzten Jahr erinnerte uns schmerzlich daran, dass die Apotheke so nicht weiterexistieren konnte. Denn der Bestandsschutz würde mit meiner Mutter ebenfalls enden. Dann kam auch noch Corona.“
Stichwort Barrierefreiheit: Die Offizin konnte nur über den Haupteingang erreicht werden. Die vier Stufen konnte man mit einer Rampe nicht ausgleichen. Hinzu kam, dass die zweite Doppeltür am oberen Ende der Treppe nicht motorisiert werden konnte. Für eine normgerechte Rampe wären bei 60 cm Höhenunterschied 10 m nötig gewesen. Dazu hätten noch die „Plateus“ für Rollstuhlfahrer oder Patienten mit Kinderwagen montiert werden müssen. Die Installation einer Hebebühne stand kostentechnisch außer Frage. Also entschloss sich Familie Phan nach langen Überlegungen für einen kompletten Neustart in Form eines Umbaus: Durch die Erweiterung der Offizin soll jetzt ein barrierefreier Zugang zur Apotheke entstehen. Nicht nur das: Installiert wird eine Klimaanlage. Daniel Phan: „Ziel des Umbaus ist es, die alte Offizin zu behalten, und diese zeitgemäß durch kleine, aber signifikante Änderungen zu ergänzen. Dabei sollte die alte Offizin weiterhin als kleiner Eyecatcher fungieren.“
Mit der Offizinerweiterung blieb aber die Frage offen, was mit dem Warenlager passieren sollte. „Bisher verwendeten wir noch Schubschränke“, so Daniel Phan: „Durch die Automatisierung des Warenlagers erhoffen wir uns mit der Zeit sowohl in der Offizin als auch im Back Office vor allem eine Minimierung der Arbeitswege, da das neue Warenlager mitsamt dem Backoffice für konventionelle Methoden wie Schubschränke alles andere als optimal platziert worden wäre.“ Probleme gab es in der Schwan Apotheke auch immer wieder mit der Belieferung durch den Großhandel. „Vor allem die erste Anlieferung am Morgen war wegen der häufigen Staus auf der A 40 unzuverlässig“, so der Apothekersohn. Durch die Verlegung des Backoffice wurde jetzt eine Lieferung über Nacht möglich.
„Für das Labor entschieden wir uns zur Anschaffung eines IR-Gerätes, um den Aufwand zur Identifikation von Rezeptursubstanzen für uns und unsere Mitarbeiter im Vergleich zu den bisherigen Methoden zu verringern. Auch sollte gerade bei gesundheitsschädlichen Substanzen eine mögliche Exposition gegenüber diesen reduziert werden.“ Im Zuge der Umbauten wurden auch alle Kassensysteme, Back Office PCs sowie der Server ersetzt. Bis zur Einführung des E-Rezeptes sollten die neuen Rezeptscanner mit dem Kommissionierer gute Dienste leisten und so nochmals Zeit gegenüber den bisher verwendeten Verfahren einsparen.
„Um die Kosten gering zu halten und da keine spezielle Hardware von Seiten des Warenwirtschaftssystemanbieters nötig war, wurden zwei Back Office Rechner „Marke Eigenbau“ in das bestehende Netzwerk integriert. Dazu wurden auch QR-Code-Scanner und Rezeptdrucker der alten Kassensysteme wiederverwendet“, erzählt Daniel Phan, der schon weitere Pläne hat: „Die Wiederbelebung eines fast in Vergessenheit geratenen Traums.“ Aus dem der Familie Phan gehörenden Haus soll ein Ärztehaus werden. Seit März 2020 hat eine Ärztin bereits ihre Praxis über der Schwan Apotheke eröffnet. „Wir hoffen, dass weitere folgen werden, falls der Bürokratiemarathon um die Nutzungsänderungen durch ist.“
Außerdem steht die betriebliche Übernahme bevor: Mutter Thi Tuyet Maria Phan, die die Apotheke von 1992 zunächst mit ihrem verstorbenen Mann Hung Nghia Phan geleitet hat, bereitet sich auf ihren Ruhestand vor und wird die Apotheke demnächst an ihren Sohn Daniel weitergeben. Damit schließt sich für Apothekerfamilie Phan der Kreis von Vietnam nach Gelsenkirchen.
In Saigon begann Mutter Phan in den Wirren des Vietnamkrieges 1973 das Pharmazie Studium. 1975 musste sie ihr Studium unterbrechen, da das damalige Südvietnam durch den kommunistischen Norden erobert wurde. 1976 bis 1978 gab es „Wiederaufbauprogramme“, zu denen unter anderem alle Studenten ihres Jahrgangs eingezogen wurden. Zwei Jahre lang musste sie in der Landwirtschaft arbeiten. Zusätzlich wurde einmal im Jahr eine militärische Grundausbildung zu je sechs Wochen vollzogen. 1979 erfolgte ihre Flucht aus Vietnam als eine von Tausenden „Vietnamese Boat People“. Mit einem Fischerboot floh sie nach Thailand. Von dort aus kam sie 1980 nach Deutschland und wurde in Stuttgart von einer Pflegemutter aufgenommen.
1981 immatrikulierte sie sich bereits an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster im Fach Pharmazie. Sie fing im ersten Semester an. Ende 1981 wurden jedoch Teile ihres Pharmaziestudiums aus Vietnam anerkannt und sie durfte bereits 1982 mit dem Hauptstudium beginnen. Dort lernte sie ihren späteren Ehemann Hung Nghia Phan kennen, der bereits vor dem Kriegsende nach Deutschland gekommen war.
„Während mein Vater im Anschluss an das Pharmaziestudium Medizin studierte und in der Uni Klinik Münster als Arzt arbeitete, war für meine Mutter die öffentliche Apotheke die erste Anlaufstelle, um berufliche Erfahrungen zu sammeln“, berichtet Sohn Daniel. 1992 wurde Apothekerin Phan auf die Schwan Apotheke aufmerksam. Sie „verliebte“ sich sofort. Wenig später kaufte das Ehepaar Phan das Haus, in dem sich die Apotheke befand. Es folgte die Idee von Vater Phan, in der Immobilie ein Ärztehaus aufzubauen. Doch eine schwere Krankheit und infolgedessen sein früher Tod verhinderten die Realisierung. Jetzt will sich Daniel Phan auf den Weg machen, diese Idee zu vollenden.
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