Apotheken schließen sich zusammen

Die Notdienst-Revolte

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Berlin -

Immer weniger Apotheken bedeuten immer mehr Notdienste für die verbliebenen Betriebe. Weil diese wachsende Belastung wiederum dem Verkauf einer Apotheke im Weg stehen kann, haben sich Apothekeninhaber:innen in Hessen zu einer Art Selbsthilfegruppe zusammengeschlossen. Sie fordern eine Notdienstreform von ihrer Apothekerkammer. Dort scheint man den Schuss zumindest gehört zu haben.

Ende 2022 gab es in Hessen noch 1385 Apotheken. Den 37 Schließungen im vergangenen Jahr standen nur zehn Neueröffnungen gegenüber. Deutlicher wird der Trend im längeren zeitlichen Verlauf: Seit 2012 ist die Zahl der Apotheken in Hessen um 11,7 Prozent zurückgegangen, mehr als jeder zehnte Betrieb hat aufgegeben.

In der aktuellen Notdienstregelung nach Kreisen wird dem Apothekensterben nur damit begegnet, dass der Turnus verkürzt wird – jede Apotheke also öfter dran ist. Gerade Apotheken in den ländlichen Regionen sind aber jetzt schon an der Belastungsgrenze: 36-Stunden-Schichten seien bei Diensten die Normalität, schreibt eine Apothekerin in der Gruppe „Revolution Notdienst“.

Hier haben sich rund 30 Apothekerinnen und Apotheker aus Hessen zusammengefunden, die nicht nur ihre aktuellen Probleme beim Tausch von Diensten besprechen, sondern gemeinsam auch Forderungen erarbeiten: „Wir fordern eine flächendeckende Umstellung des Notdienstsystems und der Legalisierung der Rufbereitschaft“, heißt es zum Beispiel.

Vorbild AKWL

Als Vorbild gilt der angrenzende Kammerbezirk Westfalen-Lippe (AKWL), wo schon 2012 die Verteilung der Notdienste neu organisiert wurde. Statt starrer Kreisgrenzen wird je nach Besiedlungsdichte mit unterschiedlichen Maximalentfernungen gearbeitet. Die Umstellung hat Wirkung gezeigt: Nach Angaben der Kammer konnte Zahl der Notdienste von 42.000 im Jahr 2011 auf zuletzt 27.000 gesenkt werden.

Dieses Modell wollen die Kolleg:innen in Hessen übernehmen, die „Umstellung von Notdienstkreisen auf automatische Notdienstverteilung nach Entfernung“ nach dem Vorbild der AKWL zählt zu den kurzfristigen Forderungen. Ein zweiter Punkt betrifft die Rufbereitschaft. Es geht um Genehmigung, die Notdienste bei Bedarf in angemessener Entfernung zu verrichten. APOTHEKE ADHOC hat unlängst über einen solchen Fall in Hessen berichtet, bei dem eine Apothekerin wenige hundert Meter von der Apotheke entfernt übernachten wollte – aber nicht durfte. Das Recht auf allgemeinen Schließungen an Samstagen steht ebenfalls auf dem Wunschzettel der hessischen Apothekenleiter:innen.

Zentrale Notdienstnummer

Eine Begrenzung der Notdienste auf beispielsweise 9 bis 22 Uhr – bislang werden Spätdienste nicht vergütet – sowie eine Erhöhung der Vergütung für Wochenenddienste werden als mittelfristige Ziele besprochen. Diskutiert wird zudem über den Sinn einer bundesweite Notdiensthotline – analog zur ärztlichen Nummer 116117. Wenn diese zumindest sehr allgemeine Nachfragen nach der Dienstbereitschaft abfangen könnte, wäre schon etwas gewonnen, eine fachlich qualifizierte Hotline wäre die nächste denkbare Ausbaustufe.

Mit solchen Vorschlägen sind einzelne Apotheker:innen auch schon an die Apothekerkammer herangetreten. Doch Bereitschaft, die Notdienstkreise zu ändern, haben die Mitglieder nach eigenem Bekunden nicht erfahren. Eine Apotheke wurde stattdessen über ihre Pflichten belehrt. Die großen finanziellen und personellen Ressourcen, die etwa Feiertagsdienst bedeuteten, stelle „einen rein wirtschaftlichen Aspekt dar“, der keine gänzliche Neuordnung der Dienstbereitschaft im betroffenen Kreis rechtfertige, heißt es in dem ablehnenden Bescheid. Die Kammer weiter: „Auch ist ein etwaiger Personalmangel in der Regel Ausdruck eines rein wirtschaftlichen Grundes, da es sich nicht um ein Risiko handelt, dem der Betriebserlaubnisinhaber naturgesetzlich unterworfen ist.“ Es liege im Verantwortungsbereich jedes Apothekers, ausreichend Personal für den ordnungsgemäßen Betrieb der Apotheke zu beschäftigen. „Die grundsätzliche ständige Dienstbereitschaft gehört zu den berufstypischen Pflichten des Apothekenbetreibers und damit auch zu den allgemeinen Bedingungen des Wettbewerbs.“

Doch mit solchen Aussagen wollen sich die hessischen Apotheken nicht mehr abspeisen lassen. Sie belegen mit Zahlen, wie ineffizient die aktuelle Verteilung der Notdienste ist – wenn beispielsweise zwei sehr nahe gelegene Apotheken gleichzeitig Dienst leisten müssen.

Hohes Durchschnittsalter bei Apothekeninhaber:innen

Denn die Apotheker:innen wissen, dass sich das Problem in den nächsten Jahren verschärfen wird. Fast 30 Prozent der Inhaber:innen sind über 60 Jahre alt, 6,2 Prozent sogar schon über 70 Jahre. Nur knapp 23 Prozent sind dagegen in der Gruppe unter 45 Jahre. Und Vertretungen für Notdienste zu finden, sei schwierig und nicht lukrativ. Die Springer verlangten zum Beispiel 65 Euro pro Stunde plus Fahrtkosten, berichtet eine Apothekenleiterin.

Bei der Apothekerkammer ist die Kritik der Basis offenbar angekommen. In einem aktuellen Rundschreiben an die Mitglieder versichert Präsidentin Ursula Funke: „Wir als Ihre Kammer sehen natürlich die Belastung im Nacht- und Notdienst für die einzelnen Apotheken. Die Dienstbereitschaft gehört zu unserem Beruf, aber die sinkende Apothekenzahl hat auch hier die Belastung verschärft.“

Die Kammer sei derzeit in der Planung, beim Notdienst Erleichterungen zu schaffen, verspricht Funke. Sehr konkret werde an einem digitalen Konzept gearbeitet, das idealerweise länderübergreifend arbeiten soll. Die Neuordnung gerade im ländlichen Raum werde dann mit dem Hessischen Sozialministerium besprochen. „Nehmen Sie für heute die Botschaft mit, dass sich beim Notdienst etwas tut“, so Funke. Die Gruppe „Revolution Notdienst“ wird mit Ungeduld auf diese Vorschläge warten.

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