„Die haben ihre Approbation doch nicht im Lotto gewonnen“ Tobias Lau, 20.03.2019 10:08 Uhr
Die Zentrale Auslands- und Fachvermittlung (ZAV) der Bundesagentur für Arbeit versucht, in Südeuropa Apotheker für den deutschen Markt zu rekrutieren – die Idee hat sie sich aber woanders geholt: bei Apotheker Patrick Marx aus Mülheim. Er war von Anfang an dabei und hat mittlerweile selbst drei spanische Pharmazeuten im Haus.
Es sind Geschichten wie diese, bei denen Arbeitgeber und Arbeitnehmer gleichermaßen den Segen der europäischen Integration spüren können – sei es die Niederlassungs- und Arbeitnehmerfreizügigkeit oder die umfassende Anerkennung von Abschlüssen. Denn während der hiesige Markt kaum noch Apotheker auf Stellensuche hergibt, träumen viele Pharmazeuten in Südeuropa von einem besseren Leben.
„Man kann sich nicht vorstellen, unter welchen Bedingungen viele junge Kollegen in Südeuropa arbeiten müssen“, sagt Marx. „Die müssen dort viel mehr arbeiten und kriegen das Gehalt, das hier ein PJler erhält – 1000 bis 1500 brutto, keinerlei Anerkennung, sitzen auf einem unsicheren Job, bei dem sie jeden Tag gefeuert werden können. Es gibt ja dort genug Pharmazeuten auf Arbeitssuche.“
Erst kürzlich habe er mit einer Kollegin aus Portugal gesprochen, die auf ihrer Stelle ausschließlich Nachtdienste schiebt – jeden Tag und das für 1000 Euro brutto im Monat. „Es gibt da abstruse Geschichten“, empört sich Marx. In Italien beispielsweise sei es gängig, dass Apotheker auf sogenannten Vouchern arbeiteten: Apotheken holen sich bei der örtlichen Arbeitsagentur eine Art Apothekergutschein, um beispielsweise Urlaube oder krankheitsbedingte Ausfälle zu kompensieren. Arbeitslose Pharmazeuten arbeiten dann für ein paar Wochen über diesen Voucher in der Apotheke – zu geringem Lohn und ohne irgendwelche zusätzlichen Leistungen. Hinzu komme dann noch die Korruption im Gesundheitswesen, über die sich sehr viele der Apotheker beschweren.
Die meisten Bewerber seien junge Pharmazeuten, es gebe aber durchaus auch solche, die schon einiges an Berufserfahrung mitbringen. So habe er erst kürzlich einen über 40-jährigen Familienvater ins Allgäu vermittelt. „Der hat mir erzählt, dass er einfach keinen Bock mehr hat, er wolle da weg und wenigstens nochmal 20, 25 Jahre ordentlich arbeiten und richtig entlohnt werden.“ Seine Familie habe er mit nach Süddeutschland genommen.
Deshalb sollten sich auch die Apotheken in Deutschland keine großen Illusionen machen. „Keiner von denen kommt nach Deutschland, weil er unbedingt die germanische Kultur kennenlernen will“, so der Inhaber von vier Apotheken. Das müsse man aber verstehen und akzeptieren. „Es ist auch die Verantwortung der Apotheke, eine Bleibeperspektive zu schaffen.“ Dabei hatte die Kultur für Marx selbst damals eine Rolle gespielt.
„Ich bin schon lange Apotheker und habe den Personalmangel wie meine Kollegen oft selbst gespürt.“ 2014 sei ihm deshalb die entscheidende Idee gekommen: Er machte sich schlau, in welchen europäischen Ländern besonders viele Pharmazeuten ausgebildet werden und wo es einen besonders hohen Überschuss gibt. „Da hab ich gesehen, dass das in Spanien so ist. Das war mir sofort sympathisch! Ich mag den Akzent, die Kultur und nicht umsonst fahren ja so viele Deutsche jedes Jahr dorthin in den Urlaub.“
Also versuchte Marx, Kontakte in Spanien aufzubauen. Erste Anlaufstation: die deutsche Botschaft in Madrid. Die vermittelte ihn zur spanischen Außenhandelskammer. „Da hatte ich dann einen sehr netten Ansprechpartner, der eigentlich aus Argentinien kam, aber in Rosenheim studiert hatte. Mit dem habe ich das dann aufgebaut“, erinnert er sich. Schließlich wurde auch die ZAV aufmerksam. „Die kamen irgendwann auf uns zu und sagten, dass die Apotheker jetzt auf der Liste der bedrohten Arten stehen.“
Mittlerweile habe er, auch in Zusammenarbeit mit der ZAV, rund 50 Apotheker aus Spanien, Italien und Portugal nach Deutschland vermittelt – alles ehrenamtlich, er verdiene nichts an der Vermittlungstätigkeit. Lediglich die Flüge nach Spanien oder Italien übernimmt die ZAV. Auch den hiesigen Apotheken helfe er umfassend, beispielsweise mit Musterverträgen, Bewerbungen um EU-Fördergelder oder durch Begleitung während des Antrags auf Anerkennung der ausländischen Approbation.
Seine Erfahrungen seien durchweg positiv, berichtet Marx. Die meisten würden tatsächlich über Jahre in der Apotheke bleiben, bei der sie begonnen haben, nur ein paar hätten den Arbeitsplatz nach einer Zeit gewechselt. Manche brechen jedoch auch ab und gehen in ihre Heimatländer zurück, die seien jedoch die absolute Minderheit – für die man auch Verständnis haben müsse. Familie, Freunde, gewohntes Umfeld, gutes Wetter: Heimweh ist ein nicht zu unterschätzender Faktor.
Marx selbst musste bisher keine Abgänge verkraften: Die 2014 rekrutierte Apothekerin Paula Navarro und ihr 2016 hinzugestoßener Kollege José Córdoba sind ihm bis heute erhalten geblieben. Probleme habe er mit ihnen nie gehabt, fachlich stünden sie deutschen Apothekern in nichts nach. Das setzt er aber sowieso voraus, die Approbationen sind schließlich anerkannt. „Es ist mir wichtiger, dass jemand ein freundliches Wesen hat, als nochmal alle Fachkenntnisse zu überprüfen. Die haben ihre Approbation doch nicht im Lotto gewonnen.“
Und nun erhalten sie Verstärkung aus Italien: Mitte März beginnt der Apotheker Adhurim Guri bei Marx. Zeitgleich versuchen er und seine Partner bei der ZAV, über Kammerausschreibungen, den BVDAK und persönliche Kontakte Apotheken zu erreichen, die auf Personalsuche sind.
Denn zur Zeit stockt es ein wenig. „Wir suchen im Moment dringend Apotheken, haben aber etwas Probleme, welche zu finden“, sagt Marx. Eigentlich eine absurde Situation angesichts des akuten Mangels, der überall herrscht. Die Schwierigkeiten sieht er dabei allerdings eher aufseiten der deutschen Apotheker. Zwar sei oft Interesse da, doch würden viele die Kosten und den Aufwand scheuen. „Einen fertigen Apotheker aus Deutschland direkt von der Uni heraus anzustellen, ist natürlich einfacher“, räumt er ein. Aber den muss man eben erst einmal finden. Das Problem: Viele würden erst handeln, wenn die Not akut ist. „Die wenigsten Kollegen denken bei der Suche mittel- oder langfristig. Die sagen, ‚Ich habe ja gerade jemanden‘ – aber was, wenn der mal ausfällt?“