Die Geschichte von Lauterbachs Spargesetz Alexander Müller, 19.03.2022 08:01 Uhr
Karl Lauterbach sitzt auf einer Parkbank im Berliner Tiergarten und genießt die letzten Sonnenstrahlen eines erstaunlich warmen Märztages. Es ist überhaupt das erste Mal seit 100 Tagen, dass er sich diese kleine Auszeit gönnt. Er wollte den Job unbedingt und wusste ungefähr, worauf er sich einlässt. Aber verteufelt anstrengend ist es schon. „Irgendwie muss ich Geld auftreiben“, ächzt Lauterbach und vergräbt das Gesicht in den Händen. Ein paar Enten kommen angewatschelt und wollen ihm Brot schenken. Lauterbach muss lächeln. Aber er braucht Geld.
In letzter Zeit kommen immer öfter Leute ins Ministerbüro, die zwar keine Lösungen gegen die steigenden Infektionszahlen mitbringen, dafür aber Kontoauszüge. Die Krankenkassen beklagen ein milliardentiefes Finanzloch, die Zuschüsse des Bundes sind endlich. Lauterbach hat kurz überlegt, ob er bei seinem Amtsvorgänger anfragen soll, wie man am besten Geld im System einsammelt, den Gedanken aber schnell wieder verworfen.
Als Corona-Bezwinger war er ins Kabinett geholt worden und jetzt soll er nach ein paar Monaten – und mitten in der von ihm vorhergesagten Omikronwelle – die GKV-Finanzen retten, die Jens Spahn zu Grunde gerichtet hat. Diese Formulierung stammt übrigens aus dem FDP-Lager; wie sich die Zeiten doch ändern.
Lauterbach war im Archiv, um nachzuschauen, was frühere Regierungen gegen Finanzlöcher gemacht haben. Dort fand er ein dickes schwarzes Buch, dessen Deckel mit einem schwarz-gelben Pentagramm auf den Buchstaben AMNOG verziert ist. Und dann eine handschriftliche Notiz von einer Ulla: „ABSCHLÄGE, ABSCHLÄGE, ABSCHLÄGE! Zwangsrabatte für die APOTHEKEN und HERSTELLER!“ mit roter Tinte geschrieben. Nein, nein, nein denkt Lauterbach, also das kann es nicht sein. Wir müssen doch die Produktion nach Europa zurückholen. Und die Apotheken? Die haben in der Pandemie so viel geleistet! Er stopft ein paar Zettel in seine Aktentasche und verlässt das Archiv, denn er hat im Keller keinen Empfang. Und das impliziert und ist viel schlimmer: Er kann nicht senden.
Draußen auf der Parkbank blättert er noch einmal in den alten Unterlagen. Preismoratorium, Versandhandel, Honorardeckel. Du meine Güte. Lauterbach steht kopfschüttelnd auf, grüßt die Enten zum Abschied und geht – den Stapel Papier auf der Parkbank zurücklassend. Das muss jemand gefunden und verteilt haben. Das wäre unsere halbernste Erklärung. Anders ist dieser Entwurf, die anschließende Schockstarre in der Branche und das vorsichtige Zurückrudern der Politik kaum zu erklären.
Auch erstaunlich: Sehr kurz vor Bekanntwerden des Entwurfs veröffentlicht das Statistische Bundesamt eine halbgare Analyse über die 2021 gestiegene Umsätze in Apotheken. Leider unerfasst in der Statistik ist das Prinzip des Apothekenhonorars und das daraus resultierende Verhältnis von Umsatz und Ertrag. Und wie aufs Stichwort kam am Abend der Entwurf für das GKV-Finanzstabilisierungsgesetz (GKV-FinSG).
„Schlag ins Gesicht“ war eine wiederkehrende Formulierung, die von verschiedenen Betroffenen gewählt wurde. Vor allem unvorbereitet wurden die Verbände getroffen – und solche Schläge sind ja bekanntlich die gefährlichsten. Die Pharmaverbände nannten die drohenden zusätzlichen Belastungen „unverantwortlich“ – gerade mit Blick auf die ohnehin schon bestehenden Lieferengpässe (aktuell ist Paracetamol-Saft ausverkauft). Die Abda zeigte sich schwer enttäuscht – unter „Dynamisierung“ hatte man sich etwas anderes vorgestellt.
Aber was heißt eigentlich Entwurf? Schon früh kursierte das Gerücht, dass dieses Papier nicht wirklich abgestimmt war, was Spekulationen über die Motivation derer erlaubt, die den Entwurf durchgesteckt haben. Ein Referatsleiter aus dem BMG ließ jedenfalls wissen, dass das FinSG in dieser Form nicht an die Öffentlichkeit hätte gelangen sollen und man demnächst einen überarbeiteten Entwurf herumschicken werde. Dass darin von Kürzungen gar keine Rede mehr sein wird, erwartet allerdings auch niemand.
Dabei bekommen die Apotheken gerade schon von anderer Seite Geld weggenommen: Die Großhändler reagieren auf die steigenden Energiepreise und erheben zusätzliche Gebühren pro Lieferung. Auch wenn das (noch) nicht alle machen oder nicht so nennen wollen: Das Phänomen dürfte wie üblich flächendeckend auftreten.
Anders als das E-Rezept. Jetzt müssen sogar die Konnektoren ausgetauscht werden, bevor es richtig losgeht. Zwar zeigt die Gematik jetzt auch, welche Warenwirtschaft ready ist und Pharmatechnik lobt sich für sein Engagement. Aber beim Dashboard der Gematik ist nach wie vor wenig Bewegung zu sehen.
Davon kann man beim Robert Koch-Institut (RKI) nur träumen. Diese verfluchte Pandemie ist einfach nicht kleinzukriegen. Die Infektionszahlen sind so hoch, dass das RKI die Inzidenz auf seinem Dashboard mittlerweile als „ALLE“ angibt.
Doch die Bevölkerung ist offenbar so Pandemie-müde, dass sie lieber jeden Tag rund 200 Menschen sterben lässt als weiter Maske zu tragen und Abstand zu halten. Oder sich verdammt nochmal impfen zu lassen. Lauterbach hat eine Impfpflicht in besonders sensiblen Bereichen umgesetzt. Er hätte gerne eine allgemeine Impfpflicht, aber darüber wird noch im Bundestag debattiert (immerhin besser als über die Tagesordnung).
Jetzt sollen einzelne Gebiete zu Hotspots erklärt werden können und die Länder selbstständig Maßnahmen ergreifen. Mal sehen, wie lange das gut geht. Lauterbach will die kostenlosen Bürgertests weiter anbieten lassen, übergeht aber unsere Frage, wer denn die Test-Infrastruktur aufrecht erhalten soll, wenn Tests nur noch sporadisch benötigt werden. Aber dem Minister sitzt schon der Bundesrechnungshof im Nacken, der sich über die Kosten der Tests beklagt. Hoffentlich findet Lauterbach nicht auch noch Spahns Zettel, wie man rückwirkend Honorare kürzt… Schönes Wochenende!