Wie wird das E-Rezept endlich diskriminierungsfrei? Außer Versendern, Plattformen, Lieferdiensten und sonstigen Glücksrittern interessiert das momentan eigentlich niemanden, denn es gibt ganz andere Baustellen. Aber da hat ein pfiffiger Unternehmensberater eine gute Idee.
In den Apotheken wird die eGK gesteckt, aber wie zum Teufel sollen Versender an das E-Rezept kommen, das seit Jahren gegenüber der Anlegergemeinde als ultimativer Heils- Umsatzbringer versprochen wird. Bislang half kein Drohen, kein Verpetzen, kein Anbietern. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) will die Aufholjagd, doch offenbar schert er sich nicht länger um die Startposition der Versender.
Doch es kommt Hilfe herbei, diesmal aus der Gematik, wo die Unternehmensberatung Roland Berger gerade im Auftrag von Lauterbach für zwei Millionen Euro den Umbau zu einer Digitalagentur vorbereitet. Einer der Experten, der das Problem mit dem Elektroschrott aus Konnektoren lösen soll, hatte früher in der Telekommunikationsbrache gearbeitet und seine Promotionsarbeit zum Niedergang der Telefonzelle in der Fachzeitschrift „Signal + Draht“ publiziert. Innerhalb von 15 Jahren war die Zahl der erst knallgelben oder später magentafarbenen Kabinen von 100.000 auf 14.000 kollabiert. Aber wo waren eigentlich all die kleinen Häuschen hin, die einst aus dem Stadtbild gar nicht wegzudenken waren?
Ein Anfruf bei den Partnern von der Telekom, und siehe da: Eine größere Anzahl wartete auf einem Schrottplatz in Garbsen noch darauf, einer neuen Existenz als Badeente, Verkehrskegel oder Magarinebecher zugeführt zu werden. Na bitte! Wenn das E-Rezept nicht zum Versender kommt, kommt der Versender eben zum E-Rezept.
„E-Rezeptzelle“ heißt das neue Format, das die digitale Verordnung endlich in die Fläche bringen soll. Ausgestattet mit einem eGK-Terminal und einem Konnektor werden zunächst 500 solcher Gematik-Kabinen im Rahmen eines Modellprojekts aufgestellt. Große Pfeile weisen unmissverständlich auf den Schlitz hin, in den die Karte eingeführt werden muss. Einmal eingesteckt, werden alle gespeicherten Verordnungen automatisch aus dem Fachdienst abgerufen, schon ein paar Tage später bekommt der Benutzer seine Medikamente von DocMorris oder Shop Apotheke geschickt. Und wird die Karte nicht innerhalb von drei Sekunden entfernt, hat man ein Abo abeschlossen. Dann bekommt man auch alle Medikamente künftiger Verordnungen ein Leben lang geschickt.
Wird allerdings dreimal anstelle der eGK doch aus Unwissenheit eine Geldkarte oder gar eine noch vorhanden Telefonkarte appliziert, rufen automatisch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Kabine an und helfen dem oder der verwirrten Versicherten bei der korrekten Benutzung. Eigens zu diesem Zweck wurden die Telefonapparate noch nicht deinstalliert. Ach ja, und zu noch einem Zweck: Hat der Kunde respektive die Kundin erfolgreich die eGK gesteckt, wird ihm automatisch seinen Rx-Bonus ausgezahlt: Dann fallen klappernd mehrere Münzen in die Ausgabe. Das „Wegegeld“ (für den Aufwand in die Kabine) variiert dabei je nach Entfernung zum Wohnort und Abgabepreis des Arzneimittels.
Mit Bonus und E-Rezept wären wir auch schon bei den beiden großen Themen der Versender. Denn Rabattschlachten aus Holland könnte es tatsächlich bald wieder geben. Mit seiner Vorlage in Luxemburg will der Bundesgerichtshof (BGH) nämlich keineswegs die deutsche Rx-Preisbindung zurück. Vielmehr geht es den Richtern in Karlsruhe darum, eine Grenze zwischen Preiswettbewerb und Preisreklame zu ziehen. Je nachdem, wie der Europäische Gerichtshof (EuGH) entscheidet, könnten Gutscheine verboten bleiben, Sofortrabatte aber erlaubt werden. Das Wegegeld, das es für die Fahrt zum Briefkasten (Papierrezept) tatsächlich schon einmal gab, könnte dann tatsächlich in die zweite Kategorie fallen.
Bevor nun aber tatsächlich E-Rezeptzellen aufgestellt werden, unternimmt DocMorris noch einen letzten Versuch: Bei der Vorlage der katastrophalen Geschäftszahlen für das erste Halbjahr – OTC- und Rx-Geschäft sind immer noch stark rückläufig („Straffung der Kundenbasis“) – versprach DocMorris ein eigenes Übertragungsverfahren via NFC-Technologie: Patient öffnet App, hält eGK an Handy, gibt letzte sechs Ziffern der Kartennummer ein, E-Rezept landet in Warenkorb. Noch in diesem Jahr soll das Verfahren zum Einsatz kommen. Im BMG und bei Gematik weiß man allerdings noch gar nichts davon.
Olaf Heinrich versucht es mit einem Angebot, das fast schon amüsant klingt: Wenn Lauterbach doch noch eine Lösung für den Versandhandel in sein Digitalgesetz schreibt, dann will er im Gegenzug auf eigene Kosten eine neutrale Aufklärungskampagne für das E-Rezept initiieren – ganz neutral und sogar mit Apotheken-A, wenn es sein muss. Hmmm, hatte DocMorris nicht schon vor zwei Jahren vollkommen neutral für das E-Rezept geworben? Und zwar unter seiner Leitung?
Wobei der Vorschlag bei Lauterbach doch noch verfangen könnten. Der hat sich nämlich als PR-Profi geoutet. Kampagnen müssten nicht nur stark, sondern auch pfiffig sein, wusste er bei der neuerlichen Präsenation seines Cannabisgesetzes zu berichten, das er gerade durchs Kabinett gebracht hat. „Legal, aber ... unklug“, lautet der pfiffige Slogan, der vor allem Jugendliche dann doch noch vom jetzt erlaubte Kiffen abbringen soll. Fast so gut wie die Abda-Protestkarten, die jetzt die Apotheken erreicht und zum Teil zurück in Richtung Absender verlassen haben.
Ganz andere Töne schlagen die Ärzte an. „So geht’s nicht weiter, Herr Lauterbach!“, bekundeten sie bei einer Krisensitzung in Berlin. Unter stehendem Applaus verabschiedeten die 800 Teilnehmerinnen und Teilnehmer sieben Forderungen, auf die der Minister bis Mitte September eingehen soll. Passiert nichts, soll es ungemütlich werden, so die knallharte Ansage. Und ein Großteil der Basis fordert sogar gemeinsame Proteste aller Heilberufe.
Ebenfalls entscheiden müssen sich die von der AvP-Pleite betroffenen Apotheken. Insolvenzverwalter Dr. Jan-Philipp Hoos hat ihnen Vergleichsangebote gemacht. Berücksichtigt man alle Umstände, dürfte der Deal am Ende so gestrickt sein, dass die meisten Betroffenen gerade noch zustimmen können. Genau darauf dürfte Hoos es angelegt haben. Scheitert der Vergleich, droht ein jahrelanger Rechtsstreit um die Aussonderungsrechte.
Eine neue Retaxfalle gibt es beim E-Rezept: Zu den Tücken der Abrechnung gehört auch die Übermittlung der Charge, die ausnahmslos verpflichtend ist, bei der Bearbeitung aber immer mal fehlt. Hat die Packung die Apotheke verlassen und fehlen die Daten, kann das E-Rezept nicht mehr geheilt werden – und die Apotheke nur hoffen, dass die Verordnung bei der Abrechnung durchrutscht.
Und als wären die Probleme bei den Zwischenaudits derzeit nicht genug, droht den Apotheken bei der Abgabe von Hilfsmitteln schon der nächste Ärger. Laut GKV-Spitzenverband sollen Hilfsmittel zum Glukosemanagement aus der Produktgruppe 03 herausgelöst und in eine eigene Produktgruppe 30 eingeordnet werden. Dann heißt es: Neu-Präqualifizierung für diesen Versorgungsbereich. Jetzt erstmal ausschalten und durchatmen. Schönes Wochenende!
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