Strukturwandel

Die düstere Zukunft der Landapotheke

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Berlin -

Nicht nur das Internet läuft auf dem Land langsamer. Hier sterben deutlich mehr Menschen an den Folgen eines Herzinfarktes als in der Stadt, weil die medizinische Erstversorgung zu spät kommt. Der bislang unveröffentlichte Raumordnungsbericht der Bundesregierung offenbart nach Informationen des Handelsblatts erhebliche Differenzen in der Infrastrukturversorgung zwischen Stadt und Land. Und die Probleme werden sich vergrößern: Im Jahr 2050 leben nach Ansicht von Zukunftsforschern zwei Drittel der Menschheit in Städten. Heute sind es weniger als die Hälfte.

„Notwendig sind vor allem verstärkte Investitionen in zentrale Infrastrukturen und die Förderung von Forschung und Entwicklung“, zitiert das Handelsblatt aus dem Raumordnungsbericht, den die Bundesregierung offensichtlich vor der Bundestagswahl nicht mehr präsentieren wollte. Der Bericht belegt, dass bundesweit zu wenig getan wurde, das Leben auf dem Land lebenswert zu erhalten. Seit Jahrzehnten gilt dafür in der Politik das Konzept der „zentralen Orte“: Danach organisiert sich das Leben in Ober-, Mittel- und Unterzentren. In Oberzentren gibt es Krankenhäuser, Ärzte, Apotheken, Supermärkte, Behörden, Universitäten, Schulen, Gerichte, Theater, Kinos und vieles mehr – mit abnehmender Tendenz zu Mittel- und Unterzentren.

Im besten Fall erreichen alle Menschen so in hinnehmbarer Zeit alle Versorgungseinrichtungen. Allerdings gerät diese Balance seit Jahren durch Kostendruck und Landflucht aus den Fugen. Weil Krankenhäuser in Ober- und Mittelzentren schließen müssen, trocknen auch diese „Versorgungsoasen“ nach und nach aus. Nach den Zahlen des Raumordnungsberichts wuchs die Zahl der Stadtbevölkerung von 2005 bis 2015 um 1,4 Millionen Menschen. Ebenso zulegen konnten die „Speckgürtel“ der Städte. Dagegen schrumpfte in 37 Prozent der Mittelstädte und 52 Prozent der Kleinstädte die Bewohnerzahl.

Das hat Folgen: Fachkräfte flüchten aus diesen Regionen, dort verlassen zugleich mehr Jugendliche ohne Abschluss die Schulen. Grund dafür sind fehlende differenzierte Bildungsangebote, wie es sie in Städten gibt. Schon die Grundschule liegt in vielen Orten auf dem Land mehr als zwei Kilometer entfernt und die Busse fahren nur selten. Die „fußläufige Erreichbarkeit“ ist laut Raumordnungsbericht in vielen ländlichen Regionen nicht mehr gegeben.

Auch der Weg zur Arbeit wird immer länger: Heute beträgt er im Durchschnitt 16,8 Kilometer, 4,2 Kilometer mehr als im Jahr 2000. 1,3 Millionen Menschen fahren bereits täglich mehr als 150 Kilometer zur Arbeit. Auch die Versorgung leidet unter der Stadtflucht: 28 Prozent der Bevölkerung findet keinen Supermarkt im Umkreis von einem Kilometer. Nicht einmal 20 Prozent haben auf dem Land laut Bericht einen Hausarzt in der Nähe. Allerdings: Die Versorgung mit Apotheken funktioniert noch flächendeckend: 90 Prozent der Bevölkerung kann nach dem Bericht innerhalb von einem Kilometer Luftlinie eine Apotheke erreichen.

Die Zahl der Krankenhäuser ist dagegen seit 1991 um ein Fünftel zurückgegangen. Die verbliebenen Kliniken sind statistisch innerhalb von 25 Minuten zu erreichen. Doch das reicht in einigen Fällen zum Überleben nicht aus: Bei Notfällen solle die Ambulanz im besten Fall innerhalb von 12 Minuten eingreifen. Die Zahl der Herzinfarkttoten ist laut Bericht in Sachsen-Anhalt und Brandenburg aber „mehr als doppelt so hoch“ wie in Schleswig-Holstein oder Berlin.

Auf dem Land fehlt es zudem an Pflegeeinrichtungen. Dort muss die Familie einspringen. Und das Leben auf dem Land wird teurer: Beispielsweise sind die Benzinpreise an Tankstellen dort höher als in der Stadt. Auch die Trinkwasserversorgung kostet mehr. Als Schlüssel für eine Verbesserung der Lebensbedingungen sehen viele Experten den Ausbau des schnellen Internets auf dem Land. Damit könnten sich dort nach und nach standortunabhängige Dienstleistungsunternehmen ansiedeln. Derzeit kann nur jeder Vierte Landbewohner auf schnelles Internet zugreifen. Forscher sprechen von einer „digitalen Spaltung“ der Gesellschaft.

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