Entzug der Betriebserlaubnis

Die Defektur im geheimen Gammelkeller

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Berlin -

Die St. Martins-Apotheke im bayerischen Jettingen-Scheppach ist Geschichte. Seit dem 26. Oktober ist der Betrieb von Inhaber Dr. Martin Lyhs geschlossen, weil ihm wegen persönlicher Unzuverlässigkeit die Betriebserlaubnis entzogen wurde. Er versuchte sich noch zu wehren, erfolglos. Das Verwaltungsgericht Augsburg hat nun seinen Beschluss im Streit um den Widerruf seiner Betriebserlaubnis veröffentlicht – und er liest sich wie eine Gruselgeschichte. Bei den Beamten herrscht kein Zweifel daran, dass von Lyhs mit seiner Apotheke eine Gefahr für die Öffentlichkeit ausgeht.

Geheime Kellerräume unter dem Privathaus, in denen der Pharmazeut unter hygienisch katastrophalen Bedingungen zwischen alter Munition und Betäubungsmitteln falsch dosierte Nahrungsergänzungsmittel herstellt, die noch dazu gegen das Arzneimittelrecht verstoßen: So ließe sich die Beschreibung der Bedingungen zusammenfassen, unter denen Lyhs laut Verwaltungsgericht gearbeitet hat.

Die Details sind indes noch haarsträubender. Am 18. Juli hatten Beamte der Kriminalpolizei mit Unterstützung einer Ermittlergruppe und Pharmazeuten des Bayerischen Landesamtes für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL) die St. Martins-Apotheke und das private Wohnhaus von Lyhs durchsucht. Der Apotheker stand im Verdacht, vorsätzlich Arzneimittel ohne Zulassung in Verkehr gebracht zu haben. Dabei ging es um zwei Defektur-Produkte, die er als Nahrungsergänzungsmittel deklariert, hergestellt und vertrieben hatte, die aber eigentlich als Arzneimittel einzustufen sind. Denn sie enthalten die verschreibungspflichtigen Wirkstoffe Procain und Roter Reisschalenextrakt.

Was sie dann jedoch vorfanden, hatten die Beamten offensichtlich nicht erwartet: einen geheimen Kellerraum, in dem Lyhs die Präparate hergestellt hat. Demnach befand sich „auf der linken Seite im Kellerflur des Wohnhauses ein Bauernschrank, der den Durchgang zu weiteren Kellerräumen versperrte“. Schob man den Schrank zur Seite, erschien dahinter eine Tür, hinter der eine Treppe in Kellerräumlichkeiten führt. Schon der Abgang muss eine Zumutung gewesen sein: „Bereits in dem Bereich der Doppelgarage wurde von den Durchsuchungspersonen ein intensiver, unangenehmer, süßlich-beißender Geruch wahrgenommen“, so das Gericht.

Der Geruch rührte offenbar vom Fußboden. Den Beamten war aufgefallen, dass „der Boden von einer mehrere Millimeter dicken, klebrig braunen bis schwarzen, undefinierbaren Substanz überzogen war, an der die Schuhsohlen und auch die Schuhüberzieher bei jedem Schritt deutlich festklebten“, beschreiben sie. „Nach einem längeren Stehenbleiben am selben Fleck führte der nächste Schritt unmittelbar zu einem Zerreißen der Schuhüberzieher.“ Insgesamt sei der Raum „von einem noch intensiveren, äußerst unangenehmen, süßlich- beißenden Geruch erfüllt“ gewesen.

Doch auch alles andere in dem Raum sei in einem desolaten Zustand gewesen. „Alle Behältnisse und Regalböden waren stark verstaubt und deutlich altverschmutzt.“ In einem der beiden Kellerräume haben sich „diverse weiße 5-10 l Eimer mit medizinischen Rohstoffen sowie weitere Behältnisse oder Drehtonnen mit medizinischen Rohstoffen“ befunden. Auf und um alle raumhohen Regale und den dort lagernden Substanzen und Gerätschaften lag demnach „eine an verschiedenen Stellen mehrere Millimeter hohe klebrige Staubschicht“ und noch dazu ein „stark verschmutzter Kühlschrank, der als Ablage für diverse Betäubungsmittel und andere Gegenstände diente“. Diese Betäubungsmittel seinen nicht gegen unbefugten Gebrauch gesichert gewesen und wurden entsprechend von den Beamten sichergestellt.

Und Betäubungsmittel waren längst nicht das einzige, was dort vollkommen unzureichend aufbewahrt wurde: So befand sich in dem Keller auch der Waffenschrank des Apothekers. In einem Regal lagen zwei Packungen Schrotkugeln und Platzpatronen, die nicht weiter gegen unbefugten Gebrauch gesichert waren. Diese Kleinkalibermunition habe der Hausherr ohne die notwendige waffenrechtliche Erlaubnis besessen.

Weitere medizinische Stoffe waren in unterschiedlichsten Behältnissen gelagert, darunter alte Keksdosen, Büchsen und beschriftete Eimer. Hinzu kommen zwei Werkbänke mit Abzügen, mindestens eine Kapselfüllmaschine, Fertigarzneimittel, Herstellungsutensilien, Folienbeutel, Etiketten, eine verschmutzte Waage, ein stark verschmutztes Sieb und ein stark verschmutzter Stößel. Die Abzüge waren nicht einmal angeschlossen. Besonders schlimm war es wohl bei der Waage, bei ihr „war das Sichtfeld nur in einem kleinen Bereich notdürftig freigewischt“. Das Urteil des LGL war klar: Der Raum sei aus hygienischer Sicht in einem katastrophalen Zustand – die einwandfreie Herstellung oder auch nur Lagerung von Produkten jeglicher Art könne darin nicht gewährleistet werden. „Der Zustand der Räumlichkeiten sowie der Gerätschaften weise auf jahrelange erhebliche Reinigungs- und Desinfektionsdefizite hin“, zitiert das Verwaltungsgericht die Gesundheitsbehörde.

Die weiteren Funde zeugten nach Ansicht der Beamten davon, dass der Apotheker dort nicht nur für den kleinen Rahmen produziert hat. So wurden bei der Durchsuchung auch mindestens zwei Kartons mit Leerkapseln und 72 Kartons mit blauen Verpackungsdosen – insgesamt rund 18.000 Stück – gefunden. Ein großer Pappkarton mit leeren Gelatinekapseln stand auf dem Boden. Und tatsächlich wurden auch Arzneimittel sichergestellt – und zwar zum Teil katastrophal falsch dosierte: Laut Untersuchungsbefund befanden sich in den Kapseln durchschnittlich 451,7 mg Procain-HCl – obwohl auf dem Etikett 200 mg deklariert waren. Das auf dem Etikett als Inhaltsstoff angegebene Natriumascorbat konnte hingegen nicht nachgewiesen werden. Bei empfehlungskonformer Anwendung – laut Etikett drei Mal täglich eine Kapsel – würden demnach statt 600 mg mehr als 1300 mg aufgenommen werden.

Bei anderen Funden habe es nicht viel besser ausgesehen: So sei bei anderen Kapseln 300mg Lovastatin als Inhaltsstoff angegeben worden, jedoch hätten sich im Durchschnitt 418 mg darin befunden – eine Abweichung von 40 Prozent. Und Lovastatin sei nicht einmal als Wirkstoff des Mittels angegeben gewesen. Damit habe Lyhs Arzneimittel mit irreführenden Angaben in den Verkehr gebracht und so die Gesundheit seiner Kunden gefährdet, so das LGL.

Am 23. August war der Bescheid an Lyhs dann fertig: Ihm wurde nicht nur das Inverkehrbringen sämtlicher selbst hergestellter Nahrungsergänzungsmittel und Arzneimittel sowie das Inverkehrbringen sämtlicher selbst hergestellter Lebensmittel als Lebensmittelunternehmer ohne die dafür erforderlichen behördlichen Zulassungen mit sofortiger Wirkung untersagt, sondern auch „die Nutzung sämtlicher illegaler Räumlichkeiten, welche nicht von der betriebsbezogenen Apothekenzulassung vom 31. Januar 2011 erfasst sind“. Die Behörden sahen die Verstöße als so schwerwiegend an, dass „auch bei anderen in der Apotheke selbst hergestellten Arzneimitteln nicht zweifelsfrei gewährleistet sei, dass diese nicht bedenklich oder in ihrer Qualität nicht unerheblich gemindert seien. Vorsorglich sollte deshalb auch von der Einnahme anderer, in der Apotheke selbst hergestellter und abgegebener Arzneimittel abgesehen werden.“ Bereits abgegebene Defektur-Produkte musste Lyhs zurückrufen.

Kunden seien deshalb gebeten worden, noch vorhandene, in der Apotheke selbst hergestellte Arzneimittel bei der nächstgelegenen Polizeidienststelle abzugeben. Anfang September standen Beamten vor der Apotheke und erklärten dem Inhaber, dass er verpflichtet ist, einen Aushang anzubringen, der vor Defektur-Artikeln aus seiner Apotheke warnt. Am 20. September war es dann beschlossene Sache: Lyhs verliert seine Betriebserlaubnis und muss seine Apotheke innerhalb von sechs Wochen schließen. Auch seine Versandhandelserlaubnis und die Genehmigung eines Versorgungsvertrages mit einem Heim wurde damit widerrufen.

Die Einschätzung der Behörde über Lyhs, die das Verwaltungsgericht zitiert, fällt vernichtend aus: „In einer Gesamtschau biete das Verhalten des Antragstellers nicht die Gewähr, dass er zukünftig seinen Apothekenbetrieb ordnungsgemäß ausüben werde und dem Vertrauen entspreche, das einem Apotheker entgegengebracht werde. Es liege nicht nur ein einmaliges grobes Fehlverhalten vor, sondern mehrere selbstständige und andauernde beharrliche Verstöße.“ Es müsse davon ausgegangen werden, dass ihm als Apotheker die einschlägigen Vorschriften und die daraus resultierenden Pflichten bekannt gewesen seien, weshalb man seine Verstöße als besonders gröblich bewerten müsse. Der Widerruf der Apothekenbetriebserlaubnis solle dabei keine Strafe sein, sondern sei „als Maßnahme zur Sicherstellung des Gesundheitsschutzes der Bevölkerung einzustufen“.

Doch das wollte er nicht akzeptieren. Er wehrte sich mit einem Eilantrag gegen den Bescheid und versuchte, die Zustände zu erklären: Kurz gesagt sei sein einziger Verstoß, dass er die geheimen Räumlichkeiten nicht ordnungsgemäß angemeldet habe. Der Bauernschrank vor der Tür habe lediglich seine Kinder von dem Raum fernhalten sollten. Er habe dort auch niemals Arznei- oder Nahrungsergänzungsmittel hergestellt, sondern lediglich „überschüssige Rohstoffe und Endprodukte“ gelagert, weil in seiner Apotheke äußerst beengte räumliche Bedingungen herrschen. Daher rührten auch die Betäubungsmittel: Es seien Medikamente, die von den Heimbewohnern zurückgegeben wurden. Mangels Platzes in der Apotheke habe er sie im Keller gelagert.

Im Detail waren die Rechtfertigungen des Apothekers recht abenteuerlich: So erkläre sich das notdürftig frei gewischte Sichtfeld der Waage mit einer Tiefkühltruhe, die ebenfalls im Raum stand. Er habe die Waage zum Wiegen des Gefriergutes verwendet, bevor er dieses in die Gefriertruhen gegeben habe. Die Verpackungen, die gefunden wurden, habe er zu Versuchszwecken angefertigt. Die klebrige Masse auf dem Fußboden rühre von einem Starkregen im Jahr 2019: Dabei sei Regenwasser durch einen Lichtschacht in den Raum eingedrungen und habe mit dem darin gelagerten Süßholzwurzelextrakt reagiert. Weil die Masse so klebrig ist, habe er keine Möglichkeit gesehen, sie zu entfernen. Seit dem Wassereinbruch sei der Raum überhaupt nicht mehr benutzt worden – und das lange vor der Razzia.

Auch von einer potenziellen Gesundheitsgefährdung könne keine Rede sein, weil es im Hinblick auf die enthaltenen Statine keine toxische Höchstdosis gebe, mit anderen Worten gar nicht so viel eingenommen werden könne, dass sich daraus eine Gesundheitsgefährdung ergeben könnte – das sieht das LGL anders. Ihm zufolge kann die Einnahme der Präparate unter jenen Umständen zu schweren Nebenwirkungen wie Schädigungen der Skelettmuskulatur, Rhabdomyolysen oder Lebertoxizität führen.

Auch mit seinen sonstigen Erklärungsversuchen konnte Lyhs das Verwaltungsgericht Augsburg nicht überzeugen – es lehnte den Eilantrag ab. Es gebe keinen Zweifel daran, dass der Antragsteller in den Kellerräumlichkeiten seines privaten Wohnhauses unter „desolaten hygienischen Verhältnissen“ Arzneimittel hergestellt und anschließend auch in den Verkehr gebracht hat. „Die Einlassung des Antragstellers wirkt angesichts der oben vorgefundenen Situation konstruiert und lebensfremd“, schreibt das Gericht. Es handele sich größtenteils um Schutzbehauptungen, die sich entkräften oder zumindest in Frage stellen ließen. So sei in dem Raum das komplette Herstellungs-Equipment sowie zahlreiche einzelne Kapseln gefunden worden, die offenkundig der Herstellung dienten. „Darüber hinaus sind seine Angaben zum Teil auch offenkundig unwahr.“ So behauptete er, den Raum schon seit langem überhaupt nicht mehr betreten zu haben. Jedoch wurden darin Präparate gefunden, die laut Etikett im Juni und Juli hergestellt worden waren – also nur Tage vor der Durchsuchung.

Das Verwaltungsgericht lässt also keinen Zweifel daran, dass der Entzug der Betriebs- und Versandhandelserlaubnis sowie der Genehmigung zur Heimversorgung nicht nur rechtmäßig, sondern sogar dringend geboten sei. „Die Unzuverlässigkeit in seiner Person und die daraus bestehende Gefahr für den Gesundheits- und Verbraucherschutz duldeten keinen klagebedingten Aufschub der Vollziehung der mit diesem Bescheid getroffenen Entscheidungen.“ Für Lyhs ist es das Ende seiner wirtschaftlichen Existenz. Das erkenne die Behörde auch an. Allerdings sei „der Schutz der Allgemeinheit demgegenüber vorrangig. Das vom Antragsteller gezeigte Verhalten lasse aufgrund der Rechtsverstöße und der Geheimhaltung der Herstellung vor den Behörden eine kriminelle Energie erkennen.“

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