Streit um steuerfreien Alkohol

Desinfektionsmittel: Apothekerin gewinnt gegen Finanzamt

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Berlin -

Im Frühjahr 2020 war die Not groß: Händewaschen und Desinfizieren lautete das erste Gebot im Kampf gegen das neue Coronavirus. Doch genauso wie Masken war auch Desinfektionsmittel schnell Mangelware. Die Apotheken hängten sich rein und stellten selbst die benötigten Lösungen her. In Hamburg grätschte das Finanzamt dazwischen, doch das Finanzgericht Hamburg befreite die Apothekerin – und lobte sie überschwänglich.

Um den Mangel abzufedern, erlaubte das Bundesfinanzministerium im März 2020 den Apotheken, unvergällten Alkohol zur Herstellung von Desinfektionsmitteln steuerfrei zu verwenden. Zum Nachweis der Bezugsberechtigung gegenüber dem abgebenden Steuerlager genügte die Vorlage der Betriebserlaubnis, eine förmliche Erlaubnis war nicht notwendig.

Nichtsdestotrotz blieb es schwierig, unversteuertes Ethanol oder Isopropylalkohol überhaupt zu bekommen. Auch die Apothekerin aus Hamburg fragte ohne Erfolg bei ihren drei Hauptlieferanten sowie mehreren Spezialanbietern an. Entweder wurde die Belieferung ganz abgesagt oder es wurden unmögliche Konditionen aufgerufen, etwa die Lieferung nach fünf bis sechs Wochen bei Abnahme von 10.000 Litern.

Die Apothekerin kaufte daher im Frühjahr 2020 versteuerten reinen Alkohol (96 % Weizenfeindestillat). Diesen verarbeitete sie zu Desinfektionsmitteln und fügte Wasserstoffperoxid sowie für auf die Haut aufzutragende Desinfektionsmittel Glycerin hinzu. Damit waren die Mittel für Trinkzwecke ungenießbar. Solange sie noch über Vergällungsmittel verfügte, vergällte sie die Desinfektionsmittel zusätzlich. Beliefert wurden Arztpraxen, Pflegeeinrichtungen und die Kund:innen der Apotheke.

Beim Finanzamt beantragte sie den Erlass und die Erstattung der Branntwein- beziehungsweise Alkoholsteuer, da unversteuerter Alkohol als Grundstoff für Desinfektionsmittel nicht lieferbar gewesen sei. Der Fiskus lehnte den Antrag ab, die Apothekerin klagte im Dezember 2021.

Sie habe seinerzeit gar keine andere Möglichkeit gehabt, als versteuerten Alkohol von der Spirituosenhandlung zu beziehen, um ihren Versorgungsauftrag zu erfüllen. Zur Sicherstellung der ordnungsgemäßen Arzneimittelversorgung der Bevölkerung sei sie zur Vorratshaltung verpflichtet gewesen, auch mit Desinfektionsmitteln. Und schließlich gebe das Arbeitsschutzgesetz vor, Mitarbeiter:innen und die Kund:innen der Apotheke zu schützen.

Das Argument des Finanzamts: Die hergestellten Desinfektionsmittel seien keine Arzneimittel, sondern Biozide. Eine Rechtsgrundlage für eine Alkoholsteuervergütung gebe es nicht. Für die Verwendung von Alkohol zur Herstellung von Desinfektionsmitteln sehe der Gesetzgeber die Steuerfreiheit nur bei „von der Steueraussetzung bezogenem Alkohol“ vor. Die Apothekerin hätte sich von einem Steuerlager unversteuerten Alkohol besorgen können, so das Finanzamt. Das sei sicherlich pandemiebedingt erschwert, aber möglich gewesen.

Das Finanzgericht sah das anders: Die Ablehnung der Steuervergütung sei rechtswidrig und verletze die Apothekerin in ihren Rechten. Zwar enthalte das Alkoholsteuerrecht für die begehrte Steuervergütung keinen Entlastungstatbestand. Doch gemäß Abgabenordnung „können Steuern niedriger festgesetzt werden und einzelne steuererhöhende Besteuerungsgrundlagen können bei der Festsetzung der Steuer unberücksichtigt bleiben, wenn die Erhebung der Steuer nach Lage des einzelnen Falls unbillig wäre“, heißt es im Urteil. Und weiter: „Billigkeitsmaßnahmen dienen der Anpassung des steuerrechtlichen Ergebnisses an die Besonderheiten des Einzelfalls, um Rechtsfolgen auszugleichen, die das Ziel der typisierenden gesetzlichen Vorschrift verfehlen und deshalb ungerecht erscheinen.“

Die Herstellung in der Apotheke erfüllt laut Gericht die Voraussetzungen einer Steuerbefreiung nach dem Alkoholsteuergesetz. Die Verwendung von Alkohol zur Herstellung von Arzneimitteln sei obligatorisch steuerbefreit. Den Richtern kam es nicht darauf an, ob es sich bei den Desinfektionsmitteln in diesem Fall um Arzneimittel oder um Biozide handelt.

Das Bundesfinanzministerium (BMF) habe die alkoholsteuerrechtliche sogenannte fiktive Herstellererlaubnis im März 2020 unter der Annahme erteilt, dass es sich bei allen von Apotheken hergestellten Desinfektionsmitteln um Biozide handeln würde. Hintergrund war, dass bestehende Abgrenzungsprobleme zwischen Arzneimitteln und Bioziden für die dringend benötigten Desinfektionsmittel ausgeblendet werden sollten und dass vergällter Alkohol, der für die steuerfreie Biozidherstellung grundsätzlich erforderlich wäre, bei weitem nicht in hinreichender Menge erhältlich war.

Die Desinfektionsmittel erfüllen laut Gericht zudem den alkoholsteuerrechtlich maßgeblichen Arzneimittelbegriff – in diesem Fall als Präsentationsarzneimittel. Die Desinfektionsmittel seien von der Apotheke als pharmazeutisches Unternehmen mit einem überwiegenden Verwendungszweck im Gesundheitswesen zur Anwendung am menschlichen Körper hergestellt und vertrieben worden. Soweit an Verbraucher abgegeben, seien die Desinfektionsmittel während der Corona-Pandemie mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit überwiegend am menschlichen Körper verwendet worden – nämlich zur Verhütung einer Covid-19-Infektion.

Das Finanzgericht kann sich nicht vorstellen, dass der Gesetzgeber der Apotheke in einer Pandemielage die Inanspruchnahme der Steuerbefreiung unter Verletzung des Effektivitätsgrundsatzes verweigern wollte. Die Apothekerin war nicht nur gemäß ApBetrO verpflichtet, einen für eine Woche ausreichenden Vorrat von Desinfektionsmitteln vorzuhalten. „Sie handelte zudem im besten Sinne unter Wahrnehmung ihrer gesellschaftlichen Verantwortung, indem sie das ihr Mögliche unternahm, ihre Kunden vor einer bislang nicht hinreichend erforschten todbringenden Pandemie – einer Situation höherer Gewalt – zu schützen.“

Das Gericht zitiert sogar die Fernsehansprache der damaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel, die am 18. März 2020 angesichts einer Herausforderung von historischem Ausmaß Solidarität und Disziplin im Kampf gegen das Coronavirus angemahnt habe. Schulen und Kitas seien bereits geschlossen gewesen, am 22. März beschlossen Bund und Länder Ausgangsbeschränkungen für die gesamte Bevölkerung. „In diesem zeitlichen Zusammenhang unternahm die Klägerin das ihr Zumutbare, um unversteuerten Alkohol oder Isopropanol zu beziehen, womit sie angesichts der explosionsartig angestiegenen Nachfrage keinen Erfolg hatte“, so das Gericht. Es sei der Apothekerin nicht zumutbar gewesen, „ihre Zeit über das investierte Maß hinaus mit weitgehend erfolglosen Anfragen zu verbringen, während sie weit außerhalb üblicher Arbeitszeiten - nachts – manuell Desinfektionsmittel herstellte“.

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