Desinfektionsmittel sind aktuell ein begehrtes Handelsgut. Während viele Apotheken selbst anmischen und meist mit einem geringen Aufschlag verkaufen, explodieren im Online-Handel die Preise für Fertigprodukte. Privatverkäufer wollen mit der Angst der Menschen schnelles Geld verdienen und bieten teilweise nicht zugelassene Produkte an. Apotheker Christian Kraus wollte dabei nicht länger zusehen und mahnt solche Anbieter jetzt konsequent ab.
Kraus hat die Nachfrage nach den Mitteln in seinen Pforzheimer Apotheken selbst erlebt – und die Debatte um Wucherangebote auf Plattformen wie Ebay und Amazon verfolgt. Zwar gehen die Portalbetreiber inzwischen selbst dagegen vor, der Erfolg hält sich aber in Grenzen. Immer wieder tauchen nach Kraus' Recherchen Privathändler auf, die Desinfektionsmittel zu überhöhten Preisen anbieten. Besonders heikel: Teilweise werden unsachgemäß hergestellte Eigenproduktionen gehandelt oder einfach irgendetwas als Desinfektionsmittel verkauft.
Sofern fertige Produkte überteuert angeboten werden, ist ein Vorgehen dagegen schwierig, wie Kraus nach Rücksprache mit seinem Anwalt Moritz Diekmann erfahren musste. Wuchergeschäfte können laut diesem zwar für ungültig erklärt werden, aber nicht vom Mitbewerber. Nach dem Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb (UWG) ist es auch unzulässig, die konkrete Unglückssituation eines anderen bewusst auszunutzen, aber auch diese rechtliche Hürde ist relativ hoch. Vor allem, wenn Verbraucher von sich aus bei Auktionen dreistellige Beträge auf Desinfektionsmittel bieten.
Rechtsanwalt Diekmann hat sich daher verschiedene Anbieter im Auftrag von Kraus genauer angesehen. Und wurde meist schnell fündig. So hat etwa die Firma Mühlich Metallerzeugnisse unter dem Verkäufernamen tm-metall bei Ebay ihr Portfolio erweitert. Zählen sonst Druck- und Zugfedern, Maschinenbauteile und Spezialwerkzeuge zum Sortiment, wurde auf dem Online-Marktplatz unlängst Desinfektionsmittel in einer Halbliterflasche angeboten.
Das Angebot verstößt Diekmann zufolge gleich gegen mehrere Vorschriften. So müsse mangels Angabe des Herstellers oder Lieferanten schon bezweifelt werden, dass dieser überhaupt gemäß Art. 95 Biozidverordnung auf der Liste der zulässigen Wirkstoffhersteller eingetragen sei. Das sei jedoch Voraussetzung für die Zulassung des Biozidproduktes und dessen Verkehrsfähigkeit. Das Produkt selbst besitze zudem keine Zulassungsnummer, auch fehlten auf dem Etikett gleich eine ganze Reihe vorgeschriebener Angaben.
Andere Punkte der Abmahnung sind eher formaler Natur: Angegriffen wird etwa ein mutmaßlicher Verstoß gegen die Preisangabenverordnung (PangV), weil der Grundpreis pro Liter nicht angegeben wurde. Zudem fehlen Diekmann zufolge Angaben zum Vertragsschluss, der Mängelhaftung oder dem Widerrufsrecht.
In einem weiteren Fall hatte eine offensichtliche Privatperson aus Sicht des Anwalts „in einem gewerblichen Ausmaß“ mit Desinfektionsmitteln gehandelt. Da dabei eine Indikation – „gegen Corona“ – angegeben war und zusätzlich der OTC-Pflichttext „Zu Risiken und Nebenwirkungen lesen Sie die Packungsbeilage Ihren Arzt oder Apotheker“, handele es sich bei dem Produkt um ein Arzneimittel im Sinne des § 2 AMG, schreibt Diekmann. Weitere monierte Rechtsverstöße lassen Diekmanns Rechnung in die Höhe schnellen: Knapp 1600 Euro soll die Privathändlerin für die Abmahnung bezahlen. Und genau darum geht es Apotheker Kraus: Die Anbieter sollen einen „Schuss vor den Bug“ bekommen.
Was dem Apotheker wichtig ist: „Mir geht es nicht darum, Wettbewerber aus dem Internet loszuwerden. Es geht darum, skrupellosen Geschäftemachern Grenzen aufzuzeigen. Es kann nicht sein, dass hier mit der Angst der Menschen Kasse gemacht wird und Patienten mit gepanschten Chemikalien am Ende sogar gefährdet werden.“ Er hat nicht vor, eine riesige Abmahnwelle zu starten, aber bei besonders dreisten Fällen will er Diekmann weiterhin einschalten. Allerdings ist fraglich, wie es mit den Abmahnungen weitergeht. Denn wenn die Händler die geforderte Unterlassungserklärung nicht abgeben, ist der nächste Schritt normalerweise die einstweilige Verfügung. Doch auch die Gerichte haben ihre Termine zur mündlichen Verhandlung in der Corona-Krise deutlich heruntergefahren. Teilweise werden Termine jetzt online abgehalten – zumindest die Digitalisierung kommt voran in diesen Tagen.
Dass es Apotheker Kraus nicht um Geld geht, zeigt eine Maßnahme in seinen Apotheken. Um das Team zu motivieren und zu unterstützen, dürfen sich alle Mitarbeiter in seinen vier Apotheken mit Mitteln zur Infektabwehr wie Esberitox oder hoch dosiertem Vitamin C nach Belieben kostenlos eindecken. „In diesen Zeiten muss man als Team zusammenstehen und da auch mal ein Zeichen setzen“, ist Kraus überzeugt. Weitere Corona-Schutzmaßnahmen in der Offizin: Alle Mitarbeiter müssen mit Handschuhen und Mundschutz arbeiten, Plexiglasscheiben an den HV-Tischen wurden montiert.
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