Der sächsische Maskendeal und Spahns Spendendinner Alexander Müller, 21.02.2022 10:47 Uhr
Jens Spahn (CDU) und die Masken – ein Skandal reiht sich an den anderen. Geprellte Hersteller klagen in Scharen, Firmen aus dem CDU-Umfeld bekamen überraschend Aufträge und der Bundesrechnungshof wirft dem Bundesgesundheitsministerium (BMG) Verschwendung vor. Unter den Profiteuren ist auch eine Leipziger Firma, auf die die üblichen Kriterien zutreffen: keinerlei Erfahrung im Handel mit medizinischer Schutzausrüstung, dafür beste Kontakte in die CDU – sogar zum Gastgeber von Spahns skandalumwitterten Spendendinner.
Im Frühjahr 2020 brauchte Spahn dringend Masken. Den Beginn der Pandemie in Deutschland hatte sein Ressort auch in dieser Hinsicht schlicht verschlafen; noch kurz zuvor hatte der Minister die mögliche Pandemie klein geredet. Nun wurden freihändig Aufträge für hunderte Millionen Euro vergeben: Das BMG schrieb Schutzausrüstung im Wert von mehr als 1,1 Milliarden Euro netto aus; wöchentlich benötigte man 9,9 Millionen FFP2-Masken, 39 Millionen OP-Masken und 139.000 Schutzmäntel. Die Auftragsvergabe erfolgte ohne vorherige Bekanntmachung eines Aufrufs zum Wettbewerb im Amtsblatt der Europäischen Union, denn es musste schnell gehen. „Für die Beschaffung bestehen äußerst dringliche, zwingende Gründe, die der Auftraggeber nicht vorhersehen konnte“, so die Begründung des BMG. Spahn selbst sprach später von „Wild-West-Zeiten“.
EU-Kommission und Bundeswirtschaftsministerium (BMWi) duldeten dieses Vorgehen zur Bewältigung und Eindämmung der Pandemie. Denn die Beschaffung auf dem Weltmarkt war zu diesem Zeitpunkt aufgrund der weltweiten Nachfrage und teilweise Ausfuhrverboten „nur unter äußerst erschwerten Bedingungen möglich“, so das BMG. Damit die Grundversorgung des Gesundheitssystems sichergestellt sei, müsse eine entsprechende Produktion in Deutschland aufgebaut werden. Der möglichst kurzfristige Abschluss eines Rahmenvertrages sei daher erforderlich.
Zuschlag aus dem BMG
Auf dem Los für OP-Masken im Wert von mehr als 410 Millionen Euro erhielt auch die Firma Simple Breath UG einen Zuschlag. Den Vertrag schloss das BMG am 15. April faktisch mit einer Briefkastenfirma mit 400 Euro Startkapital und keinerlei Expertise. Eine UG – „Unternehmergesellschaft“ – hat den Vorteil, dass sie sich sehr schnell und mit wenig Kapital gründen lässt, in diesem Fall in einem Bürogebäude in Frankfurt am Main. Der Gesellschaftsvertrag wurde am 7. April aufgesetzt, einen Monat später aber noch einmal geändert, die Eintragung ins Handelsregister erfolgte erst am 18. Mai – da lief der Vertrag mit dem BMG bereits.
Laut Simple Breath wurde die Ausschreibung ja gerade zum Aufbau der Produktion aufgesetzt. „Wie faktisch bei allen jetzigen Herstellern waren zum damaligen Stand keine Produktionskapazitäten in Deutschland vorhanden“, teilte der Hersteller mit. Das widerspricht allerdings den Berichten von Firmen aus diesem Marktsegment, die in dieser Zeit erfolglos bei der Politik vorgesprochen hatten. Und Simple Breath selbst gibt an, dass die Masken zunächst von einem „befreundeten Unternehmen“ in Offenbach produziert wurden. Wer das ist, verrät Simple Breath auf Nachfrage nicht. Und zum genauen Eigenanteil aus der Ausschreibung dürfe man keine Aussage treffen, ebenso wenig zur Höhe der Förderung aus dem BMWi.
1 Million Euro aus dem BMWi
Letztere scheint so geheim nicht zu sein. Laut einer Sprecherin des mittlerweile von Robert Habeck geführten Ministeriums hat Simple Breath zwei Förderungen im Rahmen des Moduls „Innovative und über den Stand der Technik hinaus gehenden Anlagen zur Produktion von Schutzmasken“ in Höhe von je 522.395 Euro erhalten. Nach Inbetriebnahme der Anlagen und abschließender Prüfung der Unterlagen erfolgte im September 2021 die Auszahlung der Förderungen in Höhe von insgesamt 1.044.790 Euro.
In Markranstädt bei Leipzig wurde damit die Produktion aufgebaut. Pro Jahr könnten dort 350 Millionen MNS-Masken hergestellt werden. Aufgrund der FFP2-Maskenpflicht liegt die Auslastung aber nach Firmenangaben derzeit bei rund 10 Prozent. Die FFP2-Masken werden von Zulieferern bezogen. Im Apothekenmarkt spielen die Produkte des Herstellers allerdings bislang keine Rolle.
Gründer und Alleineigentümer der inzwischen zu einer GmbH umgewandelten Firma ist der 25-jährige Leipziger Maximilian Schmidt, der unter anderem als IT-Analyst bei der Deutschen Bank arbeitete. Als Geschäftsführer der Simple Breath trat aber von Anfang Dr. Kevin Straßburger (33) auf, ebenfalls Leipziger. Beide sind Mitglieder der örtlichen CDU und dort bestens vernetzt – Schmidt in der Jungen Union, Straßburger unter anderem über die CDU-nahe Konrad-Adenauer-Stiftung, für die er 2019 tätig war und die ihm ein Promotionsstipendium gewährte.
CDU-Kontakte der Gründer
Vor seiner Zeit bei Simple Breath war Straßburger bis Ende April 2020 für ein Jahr Referent der Geschäftsführung der Leipziger Beratungsfirma Wolffberg Management Communications. Zu einem Zeitpunkt, als SimpleBreath gerade den Auftrag vom BMG über OP-Masken erhielt, war Straßburger also persönlicher Referent von Wolffberg-Chef Peter Zimmermann. Und der ist ein langjähriger Vertrauter und Duz-Freund von Ex-Gesundheitsminister Jens Spahn.
Spahns Duz-Freund Peter Zimmermann
Nach seiner Karriere als Journalist und in der PSR-Mediengruppe war Zimmermann zwischen 2007 und 2013 zunächst in Sachsen dann in Thüringen Regierungssprecher im Amt eines Staatssekretärs – jeweils unter CDU-Ministerpräsidenten. Bei seinem Ausscheiden gab es in Thüringen einen Skandal wegen der Versetzung in den vorzeitigen Ruhestand und den damit einhergehenden Pensionsansprüchen. Am Ende verzichtete Zimmermann und wechselte für zwei Jahre zum umstrittenen Leipziger Internetkonzern Unister. 2015 stieg er dann als Anteilseigner bei Wolffberg ein – damals noch Westend Communication. Bis heute ist Zimmermann in CDU-Kreisen bestens vernetzt. Man rühmt sich, von Leipzig aus nicht nur in Sachsen, sondern auch bundespolitische netzwerken und kontakten zu können. Zitat: „WOLFFBERG platziert Ihre Interessen an der richtigen Stelle und bereitet den Dialog strategisch vor, damit Sie Ihren gesellschaftlichen oder wirtschaftlichen Auftrag wahrnehmen können.“ Zu den etwa zehn Mitarbeitern der Agentur zählt auch Hansjörg König, 13 Jahre lang CDU-Staatssekretär in Sachsen.
Zu den Mandanten, deren „Interessen an der richtigen Stelle“ platziert werden, gehört auch eine Klinikkette: Und so ist Jens Spahn zu sehen, als er eine Klinik der von Wolffberg beratenen Kette Paracelsus besucht. Damit nicht genug: In seiner Funktion als Staatssekretär im Bundesfinanzministerium stattete Spahn bereits seinem guten Freund Zimmermann einen Besuch ab und war 2017 Gast in dessen Agentur-Plauderrunde „Brückenkopf“.
Das ominöse Spendendinner
Am 20. Oktober 2020 veranstaltete Zimmermann bei sich eine private Zusammenkunft, über die in der Folge sehr viel gesprochen und noch viel mehr geschwiegen wurde – es war das ominöse „Spendendinner“ mit Spahn in Zimmermanns „Brückenkopf-Salon“. Angeblich haben die Teilnehmer 9999 Euro an Spahns CDU-Kreisverband Borken spenden sollen, einen Euro unterhalb der Grenze, ab der Spendernamen veröffentlicht werden müssen. Am 21. Oktober 2020 informierte das BMG, Spahn sei positiv auf Corona getestet worden. Anders als bei Spahns erster Teilnahme 2017, existierten weder Fotos noch andere Dokumentationen und es ist auch nichts von der Bitte nach Parteispenden überliefert.
APOTHEKE ADHOC liegt eine Liste der mutmaßlichen Teilnehmer des Abends vor. Bestätigt sind diese Namen nicht, doch es gibt etliche Hinweise, die für die Plausibilität der Liste sprechen. Einer davon ist die Reaktion der Herren auf frühere Medienanfragen. Mal antworteten gleich die Anwälte, mal hieß es „kein Kommentar“, mal berichtete Gastgeber Zimmermann selbst gegenüber Medien über bereits erfolgte Anfragen an mutmaßliche Teilnehmer. Nur in einem Fall gab es ein öffentliches Dementi und selbst hier gibt es eine Erklärung, warum der Name fälschlicherweise auf die Liste geraten sein könnte. Sollten die anderen Namen stimmen, war es eine illustre Runde aus knapp einem Dutzend Herren: Immobilien- und Medienunternehmer, Rechtsanwälte, Ärzte – einige davon mit durchaus zweifelhaftem Ruf.
Spahn war auch deshalb unter Druck geraten, weil er noch am Morgen des besagten 20. Oktober im ZDF-Frühstücksfernsehen zur Vorsicht in der Pandemie gemahnt hatte. Die „Hauptansteckungspunkte“ seien bekannt: „Nämlich beim Feiern, beim Geselligsein, zu Hause privat oder eben in der Veranstaltung, auf der Party im Klub.“ Und ein Insider behauptet gegenüber APOTHEKE ADHOC, dass es sich bei dem Treffen genau darum gehandelt hat: eine private Party. Die Parteispende – auf den ersten Blick skandalöser – soll nach dieser Lesart erst nachträglich als Narrativ über das Treffen gelegt worden sein. Denn damit hätte Spahn zumindest einen halb-offiziellen Grund gehabt, an der Veranstaltung teilzunehmen.
Die Party mit neuem Narrativ
Auch diese Behauptung lässt sich nicht verifizieren, da Spahn und Zimmermann zu dem Abend keine Angaben machen. Die wenigen getätigten Aussagen und weitere mittlerweile bekannt gewordene Details lesen sich im Lichte der „Party-Version“ aber plötzlich anders. Spahns Abgeordnetenbüro hatte den Termin als ein „privates, nicht öffentliches Abendessen“ bezeichnet. Und Zimmermann hatte auf Anfrage der „taz“ erklärt: „Ich werde mich dazu nicht äußern. Es war ein privater Abend in meinem privaten Haus.“ Und gegenüber der „Bild“ hatte wiederum Spahns Büro mitgeteilt, dass Spenden der Teilnehmer zur Unterstützung des CDU-Kreisverbands Borken „im Nachgang der Veranstaltung eingegangen“ seinen.
9999 Euro Spende an den eigenen Kreisverband mögen nicht geeignet sind, bei jemandem wie Spahn unmittelbar politische Entscheidungen zu beeinflussen. Aber sie reichen, um den Abend als Spendendinner zu deklarieren und der fehlende Euro zur Veröffentlichungspflicht sichert den anderen Feierenden Diskretion.
Inwiefern auch Straßburger und Simple Breath von diesem Netzwerk Zimmermann-Spahn profitieren konnten und können, bleibt im Dunkeln. Zu den Kontakten befragt, schreibt Simple Breath ohne namentlichen Absender: „Herr Spahn ist der Geschäftsführung nicht persönlich bekannt, es gab zu keinem Zeitpunkt direkten Kontakt zu Herrn Spahn.“ Nach eigener Darstellung war man einfach auf die Ausschreibung des BMG gestoßen. „Auf das Los haben wir uns beworben und waren erfolgreich. Damit kam der erste Stein ins Rollen, so dass wir heute eine Millionen Masken pro Tag produzieren“, sagte Straßburger kurz vor Weihnachten dem MDR. An weiteren Ausschreibungen habe man sich nicht beteiligt, es habe auch sonst keine Lieferungen an den Bund gegeben, teilt die Firma gegenüber APOTHEKE ADHOC weiter mit. Der Aufbau der Produktion erfolgte nach Firmenangaben ausschließlich durch Eigenkapital. „Es gab keine externen Kapitalgeber.“
Neue Geschäfte für Simple Breath
Die Macher hinter Simple Breath haben sich unterdessen neuen Geschäftsfeldern zugewandt und fleißig weitere Unternehmen gegründet. Die SimpleBreath Manufactoring UG etwa war für den Handel, Vertrieb, Vermittlung und Produktion von Medizinprodukten gegründet worden. Im vergangenen Jahr wurde daraus aber die SBS Projektentwicklungs GmbH. Deren Zweck: „Erwerb, Übernahme, Verwaltung und Verkauf von Immobilien, deren Entwicklung und deren Vermietung; Projekt- Management sowie Koordination von Baumaßnahmen; Projektierung von Bauvorhaben; wirtschaftliche, technische und finanzielle Beratung im Zusammenhang mit dem Erwerb von Grundstücken und der Errichtung von Gebäuden; Vermittlung von Immobilien.“
Beteiligt an der Firma ist Schmidt über seine Firma Xamak, der promovierte Historiker Straßburger über seine Firma SPQR und schließlich Jan-Philipp Bölinger, der auch für Simple Breath tätig ist. Im Umfeld dieser beiden Gesellschaften gibt es zahlreiche andere, zum Teil ganz frisch gegründete Unternehmen unter der Anschrift in Markranstädt, von der Consilium Handelsgesellschaft, über die Projekt-XVI bis zur SimpleMedica.
Größere mediale Aufmerksamkeit verschafften sich die Jungunternehmer zuletzt, als der ehemalige afghanische Kommunikationsminister Syed Sadaat eingestellt wurde. Der ist vor allem in Leipzig sehr bekannt, weil er nach seiner Flucht aus Afghanistan zunächst als Fahrer für Lieferando tätig war. Die Medien-Berichte hatte auch Schmidt verfolgt und dem IT-Spezialisten ein Jobangebot gemacht. Jetzt soll er bei einer weiteren Schwesterfirma dabei helfen, rund um Leipzig Orte zu finden, an denen es kein Mobilfunknetz gibt.