Der Retax-Thron wackelt Alexander Müller, 21.09.2011 12:47 Uhr
Das Thema Rezeptprüfung ist auf beiden Seiten emotional aufgeladen: Die Kassen fühlen sich chronisch hintergangen, die Apotheker empfinden so manche Retaxation als reine Schikane. Rückforderungen im Bereich der Portokosten lassen erahnen, dass in manchen Fällen ein Machtkampf zwischen den Protagonisten im Vordergrund steht. Dieses Gefüge könnte sich nachhaltig verändern, wenn das Bundessozialgericht ein Grundsatzurteil zu Retaxierungen spricht.
Es geht um die Frage, ob Krankenkassen einen Anspruch auf den Kassenabschlag der Apotheken haben, wenn sie Rabatt-Streitigkeiten verrechnen und damit nicht innerhalb der vereinbarten Frist zahlen. Mit seiner Extremforderung, dass der Abschlag auf die gesamte Rechnung entfällt, wenn die Kasse bei einzelnen Posten zu unrecht retaxiert hat, wird sich der Hamburger Apothekerverein vor Gericht wohl nicht durchsetzen. Zumindest für den Betrag der unberechtigten Absetzungen könnten die Abschläge wegen des Zeitverzugs entfallen. Spannend ist in diesem Zusammenhang auch die Frage, wie der Zwangsrabatt bei unberechtigten Teilabsetzungen veranschlagt wird.
In jedem Fall hätten die Kassen künftig einen Anreiz, vorsichtiger zu retaxieren. Im Moment befinden sich die Rezeptprüfer in einer bequemen Situation: Sie können bei Unstimmigkeiten oder Unklarheiten die Rechnungen der Apotheken zunächst kürzen. Aus Sicht der Kassen sind dabei sogar Vollabsetzungen möglich und rechtmäßig. Stellt sich später heraus, dass die Apotheke alles richtig gemacht hat und dies auch belegen kann, bekommt sie ihr Geld nachgezahlt.
Heute haben die Kassen bei Absetzungen insofern nur den Aufwand der Beanstandung, tragen aber kein eigenes Risiko. Bei geringwertigen Beanstandungen können sie sogar darauf spekulieren, dass die Apotheke sich die Mühe spart und ihre Forderung abtritt. Das würde sich höchstwahrscheinlich ändern, wenn der Kassenabschlag zur Disposition steht.
Eine vergleichbare Regelung gibt es heute bereits im Krankenhaussektor. Für nicht berechtigte Absetzungen der Kassen erhalten die Kliniken Aufwandsentschädigung. Damit soll die Bürokratie bei der Abrechnung in Maßen gehalten werden. Die Apotheken hätten gegen eine vergleichbare Regelung sicher nichts einzuwenden. Der Streit des Hamburger Apothekervereins mit der mittlerweile insolventen City BKK um den Kassenabschlag wird mit hoher Wahrscheinlichkeit vor dem Bundessozialgericht fortgesetzt.