Der Kampf um die Marktplatz-Apotheke Silvia Meixner, 01.08.2017 07:49 Uhr
Apotheker Lutz Heitland aus Steinhagen nahe Bielefeld will den Marktplatz seines Heimatortes retten. Er plant ein Ärztehaus, dessen Patienten im Idealfall von der Apotheke seiner Tochter versorgt werden. Erst bot die Gemeinde dem Pharmazeuten ein Grundstück an. Dann entschied sie sich plötzlich anders und rief überraschend einen Architekten-Wettbewerb aus. Das Problem: Jeder versteht etwas anderes unter einem perfekten Marktplatz.
Für Lutz Heitland, Inhaber der Mühlen-Apotheke in Steinhagen, ist der Marktplatz seiner Heimatgemeinde architektonisch völlig verkorkst. Aber er sieht Potenzial: „Meine Tochter Christina hat die Apotheke am Markt vor zwei Jahren im guten Glauben an die Zukunft des Standortes gekauft.“ Der Marktplatz von Steinhagen ist kein Ort, an dem sich Menschen tummeln: Backstein-Rathaus, 80er-Jahre-Architektur, alles pflegeleicht zubetoniert.
Aber für jemanden, der Arzneimittel benötigt, ist das nebensächlich. Mit dem engagierten Plan eines Ärztehauses wollte Heitland dem Standort neues Leben einhauchen. Seine Rechnung: Ärzte bringen Menschen, Menschen beleben den Platz. Und auch die Apotheke bekommt natürlich ihr Stück vom Kuchen ab. „Mehrere Ärzte sind interessiert, die drohen jetzt abzuspringen. Und das in einer Gegend, in der massiver Ärztemangel herrscht.“
Die Stadt wolle jetzt offenbar lieber ein Investorenprojekt, bei dem hunderte Wohnungen entstehen sollen. Für eine Apotheke wäre dann vielleicht noch Bedarf, aber kein Platz mehr. „Ich sehe die Existenz der Apotheke am Markt bedroht“, so der besorgte Apotheker. In der Apotheke am Markt geht es um zehn Arbeitsplätze.
Der Marktplatz ist laut Heitland seit Jahrzehnten ein architektonisches Sorgenkind: „Vor 40 Jahren wurde der Marktplatz von Berliner Architekten geplant, die eine Riesengemeinde aus Steinhagen machen wollten. Die Großstadt sollte nach Steinhagen gebracht werden.“ In den Jahren 1974-77, so Heitland, wurde diskutiert, 1980-81 gebaut.
Dann die Überraschung: Die 20.000 Steinhagener wollten gar keine Großstädter werden! Der Marktplatz wurde neu gemacht, danach stellte man fest: „Die Menschen hier haben diesen Platz nie richtig angenommen. Der Platz sollte das Herz des Ortes sein, ist es aber nie geworden. Viele kleine Geschäfte funktionieren auf dem Land nicht.“ Zumindest von den Achtgeschossern mit Wohnungen nahm man damals Abstand. „Man wollte damals 2000 Familien hier ansiedeln. Das wäre ein Ghetto geworden.“
Dabei ist Steinhagen durchaus eine Reise wert. In dem Ort am Südhang des Teutoburger Waldes wird seit dem 19. Jahrhundert der berühmte Wacholder-Likör „Steinhäger“ produziert. Charakteristisch für die Spirituose ist die längliche Flasche aus Steinzeug. Auch Wanderer kommen gern hierher, die Gemeinde liegt am berühmten Hermannsweg. Vier Hotels freuen sich auf Gäste.
Heitland wollte als junger Pharmazeut ursprünglich an den Marktplatz, änderte aber seine Pläne und suchte sich ein neues Gewerbegebiet, das er mit entwickelte. Heute betreibt er dort seine Mühlen-Apotheke mit 40 Mitarbeitern, es gibt Supermärkte, Einzelhandelsgeschäfte, ein medizinisches Zentrum mit 25 Ärzten und ausreichend Parkplätze. „Ohne Parkplätze geht gar nichts, 75 Prozent der Menschen hier fahren Auto und wollen dies auch künftig tun. Wenn das Wohnungsprojekt entsteht, sollen alle Autos in Tiefgaragen verschwinden. Kein Mensch hier auf dem Land braucht Tiefgaragen. Wir haben dörflichen Charakter und keine Großstadtambitionen.“
Für die Wohnungen sieht er, da Steinhagen vor den Toren Bielefelds liegt, durchaus Bedarf. „Aber man würde damit, wie vor 40 Jahren, wieder an der Bevölkerung vorbeiplanen.“ Neben seinem Vorschlag mit dem Ärztehaus am Marktplatz gibt es zwei weitere architektonische Pläne: Der eine sieht den erwähnten Wohnkomplex vor, ein weiterer soll neue Flachbauten mit alten Giebeln kombinieren.
Steinhagen wird von Rot-Grün regiert, die Entscheidung wurde auf den Herbst verschoben. „Die Frage ist, ob im September dann auch tatsächlich eine Entscheidung fällt. Seit einem Jahr glauben wir jetzt immer, dass es weitergehen wird. Der Bürgermeister kann ja auch dagegen entscheiden, aber wir brauchen einfach eine Entscheidung.“
Wenn seine Marktplatz-Träume platzen, ist das Ende der Markt-Apotheke besiegelt: „Dann schließt meine Tochter die Apotheke. Ohne Ärztehaus macht das keinen Sinn.“ Apothekerin Christina Heitland sagt: „Die Apotheke leidet sehr darunter. Wir versuchen alles, um den Standort zu fördern. Wenn die Entscheidung gefallen ist, möchte ich die Apotheke modernisieren und umbauen.“ Neben der Mühlen-Apotheke in Steinhagen betreibt sie die Apotheke im Elisabeth Carrée in Gütersloh.
Vom Standort Mühlen-Apotheke weiß Heitland senior, was Ärzte brauchen: „Ärzte wollen moderne Strukturen mit Großpraxen. Ärzte verdienen in einer Gemeinschaftspraxis, verglichen mit einer Einzelpraxis, für die selbe Leistung 16 Prozent mehr. Rechnet man die Ersparnis bei den Grundkosten wie Miete und Personal dazu, ergibt sich eine 25 bis 30 Prozent höhere Rentabilität.“
Er sagt: „Es ist nicht einfach, Ärzte in den ländlichen Raum zu bekommen. Bei uns erhalten sie von der Gemeinde 50.000 Euro Zuschuss, in den Nachbarkommunen 100.000 Euro. Die jungen Ärzte gehen dann eben in die Nachbargemeinden.“ Den Politikern gibt der engagierte Pharmazeut folgenden Rat: „Ich bin seit 36 Jahren selbständig und habe gelernt, dass man kundenorientiert denken muss. Man kann Kunden nicht umerziehen! Man kann sie beraten, überzeugen und im Idealfall begeistern. Was nicht geht, ist gängeln – das sollten die Politiker wissen. Der Kunde ist König, nicht der Politiker.“