Kosmetikhersteller verlangen in ihren Depotverträgen von den Apotheken oft ziemlich viel: Die Produkte müssen in großer Stückzahl bezogen und ansprechend präsentiert werden. Die Vorgaben erstrecken sich teilweise bis auf das Personal oder sehen eine eigene Kasse für die Marke vor. Das Landgericht München I (LG) hat jetzt entschieden, dass sogar eine vertikale Preisbindung zulässig sein kann, wenn sie zeitlich befristet und für den Hersteller notwendig ist.
Der Hersteller hatte seine Depositäre – rund 1500 Kosmetik-Institute sowie Apotheken und Parfümerien – vertraglich verpflichtet, Neueinführungen hervorgehoben zu bewerben. Eine Klausel sieht zudem eine zeitlich eng begrenzte Preisbindung für neue Produkte vor – für maximal ein halbes Jahr. Im Februar kündigte der Hersteller eine solche Phase der Preisbindung für acht Produkte bis Mitte Juni an.
Dagegen klagte ein Händler aus Großbritannien, der online Kosmetik verkauft. Er hält die vertikale Preisbindung der zweiten Hand für kartellrechtswidrig und forderte vor Gericht den Erlass einer einstweiligen Verfügung.
Aus Sicht des Herstellers ist die Preisbindung dagegen durch umfangreiche Investitionen in die Produktentwicklung, Schulung und Werbematerial gerechtfertigt. Sie diene dem Ziel, die Depositäre zu motivieren, das Produkt durch entsprechende Beratung ihrer Kunden auf dem Markt einzuführen und dadurch langfristig zu etablieren. Dies sei erforderlich, um der Gefahr der „Trittbrettfahrerei“ zu begegnen, also zu verhindern, dass andere Händler unter Verzicht auf die aufwändige Beratung die Produkte billiger verkaufen. Ein weiteres legitimes Ziel sei es, das Luxusimage der Marke aufrechtzuerhalten. Die Preisbindung sei auf vier Monate befristet und die betroffenen Produkte machten auf ein Jahr gerechnet nur 0,97 Prozent der Produktpalette aus.
Das Gericht gab dem Hersteller recht. Zwar beeinträchtige eine Preisbindung den Händler in seiner Freiheit, die Preise gegenüber seinen Endkunden festzusetzen. Die Wettbewerber des Herstellers könnten aber – ebenso wie die Wettbewerber der gebundenen Händler – dagegen sogar profitieren, wenn die Preise des Konkurrenzprodukts infolge der Preisbindung hochgehalten würden. Es kommt laut Gericht auf die konkrete Gestaltung an. Die hier im Depotvertrag vereinbarte Preisbindung sei eine vertikale wettbewerbsbeschränkende Vereinbarung, aber unter „Effizienzgesichtspunkten“ nach dem Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) vom Verbot freigestellt.
Der Hersteller kann sich demnach mit Erfolg auf die Einführung eines neuen Produkts mit der Folge der „Belebung des Interbrand-Wettbewerbs“ berufen. Die Richter verweisen auf die Leitlinien für vertikale Beschränkungen der EU-Kommission. Eine Preisbindung der zweiten Hand kann demnach für einen Hersteller hilfreich sein, um in der Einführungsphase neuer Produkte die Händler dafür zu gewinnen, ihm zu helfen, das betreffende Produkt gezielt anzubieten. Eine Preisbindung könne den Händlern die Mittel an die Hand geben, ihre Verkaufsbemühungen zu intensivieren, und – gerade bei Wettbewerbsdruck auf dem Markt – ein Interesse der Händler wecken, für eine erfolgreiche Markteinführung zu sorgen.
Das Bundeskartellamt hat laut Gericht im Rahmen von Hinweisen zum Preisbindungsverbot im Bereich des stationären Lebensmitteleinzelhandels ebenfalls diese Möglichkeit anerkannt und auf die Nachfrageunsicherheit insbesondere bei der Neueinführung von Produkten hingewiesen. Bei Marktzutritten werde durch die Beschränkung des Preiswettbewerbs für das neue Produkt und die daraus resultierende Margensicherheit für den Händler eine angemessene Risikoverteilung zwischen Hersteller und Händler sichergestellt.
Auch das LG München I ist überzeugt, dass die Einführung neuer Produkte den Wettbewerb belebt. „In der Verbesserung der Produktqualität oder auch schlicht der Schaffung von neuen Produktalternativen liegen gesamtwirtschaftliche Vorteile. Für die erfolgreiche Markteinführung ist der Hersteller wiederum auf die Mitwirkung der Vertriebshändler angewiesen. Hier kann es im Einzelfall angezeigt sein, den Händler durch – zeitlich befristete – Anreize ins Boot zu holen“, heißt es im Urteil.
Ein Freibrief ist das aber nicht: Preisbindungen sei aufgrund ihrer gravierenden Auswirkungen auf den Intrabrand-Wettbewerb immer an einem strengen Maßstab zu prüfen. Insbesondere dürfen keine weniger wettbewerbsbeschränkenden Mittel zu Verfügung stehen. In diesem Fall fand das Gericht die Preisbindung noch im Rahmen des Zulässigen und die Dauer hinnehmbar. Letztlich würden auch die Verbraucher:innen von Produktneuheiten profitieren – auch wenn sie kurzfristig möglicherweise durch einen höheren Preis belastet würden. Das Urteil ist nicht rechtskräftig, Berufung zum Oberlandesgericht München (OLG) ist möglich.
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