Demo vor Mohren-Apotheke APOTHEKE ADHOC, 13.07.2021 15:18 Uhr
Der Streit um die Hofapotheke zum Mohren im hessischen Friedberg reißt nicht ab. Von Petitionen über Demonstrationen, gescheiterten Gesprächsversuchen bis hin zu Pressekonferenzen wurden schon so ziemlich alle Register der öffentlichen Debatte gezogen. Eine Lösung des Streits ist aber so weit entfernt wie eh und je. Am Wochenende hatte die Apotheke nun erneut unerwünschten Besuch: Knapp 100 Menschen demonstrierten laut Angaben der Veranstalter vor dem Betrieb gegen den Namen, den sie als rassistisch empfinden.
Spätestens mit dem Aufkommen der Black-Lives-Matter-Bewegung erhielt auch die Debatte um die vielerorts umstrittenen Mohren-Apotheken erneut Aufwind. Die Argumente sind längst ausgetauscht: Anti-Rassismus-Aktivisten sehen den Begriff Mohr als durch die Kolonialzeit geprägte, abwertende Bezeichnung für Schwarze und damit als diskriminierend. Apothekeninhaber:innen verteidigen sich damit, dass der Begriff vor allem als Bezeichnung eines Betriebes durchweg positiv konnotiert sei und sich anerkennend darauf beziehe, dass große Teile unseres medizinischen und pharmazeutischen Wissens auf Erkenntnissen aus dem Orient und Nordafrika beruhen – und eben oftmals durch schwarze Menschen nach Europa gekommen sind.
Nur der Umgang mit dem Thema unterscheidet sich regional stark und reicht von Apothekeninhabern, die ohnehin nicht ganz glücklich mit dem Namen waren und das gesellschaftliche Klima als Chance sahen, gesichtswahrend und öffentlichkeitswirksam ihren Betrieb umzubenennen, bis hin zu jenen, die sich weigern, das nicht wollen. Dr. Kerstin Podszus zählt zu letzteren. Bereits 2018 sah sie sich Rassismus-Vorwürfen ausgesetzt und startete eine Petition in eigener Sache, gut zwei Jahre später ging es mit Black Lives Matter erneut los. Vor allem ein lokaler Aktivist kämpft seitdem für eine Umbenennung der Apotheke: Ousman Conteh, Hip-Hop-Tänzer aus Friedberg und Kopf der Initiative „United Colors for Change“.
Wie dieser Kampf abläuft, darüber gehen die Darstellungen jedoch maximal auseinander. Beide Seiten werfen sich gegenseitig vor, Gesprächsangebote auszuschlagen und Lügen über die jeweils andere Seite zu verbreiten. Podszus äußert sich öffentlich fast nur noch an der Seite ihres Anwalts über die Causa, Conteh wirft dem wiederum vor, selbst erzreaktionär zu sein und sich gar nicht auf Argumente einzulassen. Dabei habe er durchaus versucht, eine gemeinsame Lösung zu finden. „Weil es in anderen Städten in Deutschland zuletzt so gut geklappt hatte, wollten wir uns auch hier konstruktiv einbringen“, erklärt Conteh. „Wir haben nicht nur das Gespräch gesucht, sondern sogar ein Crowdfunding angeregt, um der Inhaberin bei der Umbenennung der Apotheke finanziell unter die Arme zu greifen.“
Doch es brachte nichts – es kam kein Gespräch zustande. „Irgendwann habe ich sie erreicht und sie zeigte sich überrascht. Sie dachte vorher anscheinend, dass wir irgendwelche schwarzen Assis sind“, so Conteh. „Sie hat dann gesagt, dass wir später nochmal miteinander reden sollten. Stattdessen haben wir nur Post von ihrem Anwalt erhalten.“ Aus Podszus‘ Sicht hat es sich genau anders dargestellt: Die Aktivisten hätten mehrere Termine ausgeschlagen und sich dann wochenlang nicht zurückgemeldet. Im August 2020 organisierten Conteh und seine Mitstreiter eine Demonstration vor der Apotheke – nicht ohne Zwischenfälle. So kam es zu Handgreiflichkeiten, ein Demoteilnehmer wurde von einer Anwohnerin nach Contehs Aussage mutwillig mit dem Auto angefahren. Das Verfahren laufe noch.
Doch die Demo habe etwas bewirkt, erzählt er. „Wir hatten unter anderem die Bildungsstätte Anne Frank, Fridays for Future, die Inititiative Schwarze Menschen in Deutschland und den grünen Lokalpolitiker Markus Fenske mit an Bord. Daraufhin wurden alle etwas sensibler.“ In der Folge habe ihn der Friedberger Bürgermeister kontaktiert und ein Gespräch mit Podszus und ihrem Anwalt organisiert. Das habe stattgefunden – die Gegenseite habe sich aber auf gar kein Gespräch eingelassen, sagt Conteh.
Doch der Tänzer und Aktivist ließ nicht locker. Am vergangenen Samstag veranstaltete er die nächste Demo samt Rede- und Gesangsbeiträgen vor der Apotheke. Erneut lief sie nicht ohne Zwischenfälle ab: Ein Mann, der – scheinbar be- oder angetrunken – die Demoteilnehmer anpöbelte, sei von der Polizei abgeführt worden. „Er hat die Leute aggressiv angebrüllt, dass er als Weißer in seinem Land unterdrückt werde“, gibt Conteh das Ereignis wieder. Andere seien mit dem Auto vorbegefahren und hätten ihnen den Mittelfinger gezeigt. Und auch jene Frau, die im Vorjahr einen Demonstranten mutwillig angefahren haben soll, sei wieder vor Ort gewesen und habe die Demonstration gefilmt. Wofür, das wisse auch er nicht. Schlimmer noch als die Reaktionen vor Ort seien die rassistischen Beleidigungen, die ihm und seinen Mitstreitern in den sozialen Medien entgegenschlagen. „Von Hass bis Volksverhetzung ist da wieder alles dabei. Selbst ein AfD-Abgeordneter aus dem niedersächsischen Landtag hat kommentiert, dass wir zurück nach Afrika sollen und so ein Zeug“, erzählt er.
Solidarität habe er dabei kaum erhalten. „Man muss schon von fünf Nazis am Bahnhof totgetreten werden, damit mal jemand was sagt.“ Wie es mit seinem Aktivismus für die Umbenennung der Apotheke weitergeht, wisse er deshalb selbst noch nicht. „Da geht nicht mehr viel. Ich bin nicht mehr so zuversichtlich, denn da ist außer uns niemand, der sich einsetzt. Das sind ja auch emotionale Ressourcen, die man mit so einem Engagement verballert.“ Sein Gesprächsangebot an Podszus stehe jedenfalls weiterhin – „gern auch öffentlich“, wie Conteh sagt. Bis dahin hat er erst einmal einen weiteren Plan: ein kostenloser Workshop über koloniale Sprache, mit dem er die Friedberger sensibilisieren will.
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