Aus dem CDU-Bundesvorstand funkt Kanzlerin Angela Merkel Corona-SOS: „Die Lage ist bedrohlich.“ Und: „Es zählt jeder Tag.“ Zum wiederholten Mal malt die Regierungschefin überlastete Intensivstationen an die Wand, falls die Bevölkerung nicht zur AHA-Disziplin zurückkehrt. Deutschland könne bald in eine „schwierige Lage“ kommen, der Anstieg der Infektionen müsse gestoppt werden. Die Situation sei „hochdynamisch“ und das „dramatisch“. Aus seiner Quarantäne meldet sich parallel dazu ein sichtlich gutgelaunter, aber Corona-infizierter Bundesgesundheitsminister Jens Spahn, der sich artig für die Genesungswünsche bedankt. Wie kommen solche Bilder eigentlich bei den Corona-Leugnern oder Corona-Skeptikern an?
Seit Tagen bemüht sich die Bundesregierung, der offenbar nachlassenden Corona-Disziplin der Bevölkerung mit immer massiveren Warnungen vor den gesundheitlichen Schäden einer Corona-Infektion und den Folgen für das deutsche Gesundheitswesen zu begegnen. Unterstützung kommt von Karl Lauterbach; der SPD-Experte hält einen neuen Lockdown für unvermeidlich: Wenn alle Appelle der Kanzlerin nicht helfen, könne es bis Weihnachten sogar 50.000 Corona-Tote in Deutschland geben, rechnete Lauterbach der Bild-Zeitung in einem – angesichts entsprechender Maßnahmen allerdings „völlig unrealistischen“ – Horror-Szenario vor. Um die Dramatik der Lage zu unterstreichen, wurde jetzt das Treffen Merkels mit den Ministerpräsidenten der Länder von Freitag auf Mittwoch vorgezogen.
Das alles soll die immer noch sorglos feiernden Bürger erschrecken, aufrütteln und die Gefahr vor Augen führen. Gleichzeitig sieht man in einem Video, wie sich ein frisch rasierter Bundesgesundheitsminister aus seinem Homeoffice zu Wort meldet – in weißem Hemd unter einer Strickjacke neben einem eigens arrangierten Blumenstrauß. „Hallo hier ist Jens Spahn“, meldet sich der Corona-Infizierte und bedankt sich für die Genesungswünsche. „Mir geht es soweit, den Umständen entsprechend ganz gut“, sagt er und lächelt in die Kamera. Die Erkältungssymptome seien bisher jedenfalls – „toi, toi, toi“ – nicht stärker geworden. Das sollte natürlich jeden Zuschauer erfreuen, weil es bekanntermaßen auch schwerere Verläufe einer Corona-Infektion geben kann.
Allerdings: In der Politik kommt es auf die Verpackung der Botschaften an. Wie reagieren Corona-Skeptiker oder gar -Leugner auf das Spahn-Video? Für Verschwörungstheoretiker könnte Spahn als ministerieller Beweis für ihre fehlgeleiteten Thesen herhalten. Wieso hat ausgerechnet er sich angesteckt? Wieso war er mitten in der Corona-Krise mit seinem Parteifreund Martin Jäger, ehemals Kollege im Finanz- und heute Staatssekretär im Entwicklungsministerium, essen, der später ebenfalls positiv auf Sars-CoV-2 getestet wurde?
Wirken da die ebenfalls im Spahnschen Video enthaltenen Appelle zur Einhaltung der AHA-Regeln – Abstand, Hygiene, Alltagsmaske – noch glaubwürdig? Oder könnten Corona-Skeptiker nicht den Eindruck mitnehmen: Ist doch alles nicht so schlimm – zumal sich kürzlich auch US-Präsident Donald Trump nach vorgeblich kurzer Infektion als Corona-Besieger feiern ließ? Bilder sind Botschaften – das weiß auch Spahn. Manchmal ist es besser, darauf zu verzichten.
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