Das geht nicht mehr lange gut Alexander Müller, 24.12.2022 10:06 Uhr
Das Jahr 2022 geht turbulent zu Ende – die Kombination aus Lieferengpässen und Personalnot bringt viele Teams an die Grenzen. Die Stimmung in vielen Betrieben ist schlecht. Der große Jahresrück- und -ausblick von aposcope zeigt eines sehr deutlich: 2023 muss anders werden.
Eine Zukunft steht leider schon fest: Im Februar steigt der Kassenabschlag von 1,77 auf 2 Euro pro Packung. Die Apotheken wird das jährlich mit rund 120 Millionen Euro belasten. 85 Prozent der Anfang Dezember befragten 300 Apotheker:innen und PTA befürchten, dass diese „Segnung“ aus dem GKV-Finanzstabilisierungsgesetz nur der Anfang war und es 2023 weitere Einsparungen geben wird. Tatsächlich plant die Ampel eine Strukturreform, bei der sie die Ausgabenseite in den Blick nehmen will. Die Abda hofft, davon verschont zu bleiben, aber Minister Lauterbach hat sich nicht als besonders vorhersehbar erwiesen.
Insgesamt sind die Apothekenteams enttäuscht von der Performance der neuen Regierung. Dass es den Apotheken unter der Ampelkoalition aus SPD, FDP und Grünen besser gehe als noch zu Zeiten der Großen Koalition, finden nur 12 Prozent der Befragten, 72 Prozent widersprechen, weitere 16 Prozent sind unentschlossen. Wer noch Entscheidungshilfe benötigt, kann unseren Podcast „Gewinner, Verlierer und Aufreger des Jahres“ hören.
Und wie blicken die Apothekenteams auf das Jahr 2022 zurück? Für die eigene Apotheke fällt das Urteil noch einigermaßen versöhnlich aus: „durchschnittlich“ bis „gut“ war 2022 für eine Mehrheit, doch knapp jede/r Fünfte zieht eine negative Bilanz:
- ein exzellentes Jahr: 3,3 Prozent
- ein gutes Jahr: 33 Prozent
- ein durchschnittliches Jahr: 42 Prozent
- ein verlorenes Jahr: 7,9 Prozent
- ein katastrophales Jahr: 9,6 Prozent
Mit Blick auf das große Ganze fällt die Einschätzung düsterer aus. Demnach war 2022 aus Sicht von rund einem Drittel der Befragten für die gesamte Branche ein „verlorenes“ oder sogar „katastrophales“ Jahr.
- ein exzellentes Jahr: 0,7 Prozent
- ein gutes Jahr: 21 Prozent
- ein durchschnittliches Jahr: 40 Prozent
- ein verlorenes Jahr: 19 Prozent
- ein katastrophales Jahr: 13 Prozent
Entsprechend glauben 77 Prozent, dass es der Apothekenbranche im kommenden Jahr noch schlechter gehen wird. Auch für den eigenen Betrieb erwarten nur 5,6 Prozent eine Verbesserung. Die meisten (45 Prozent) rechnen mit einer unveränderten Lage, 38 Prozent befürchten eine Verschlechterung. Auch mit Blick auf die Personalsituation, Lieferengpässe und die Großhandelskonditionen sind die Aussichten durch die Bank pessimistisch.
Nur 2 Prozent hoffen dagegen auf eine bessere Honorierung im neuen Jahr, dagegen befürchten 62 weitere Kürzungen. Dabei ging das Apothekensterben schon 2022 ungebremst weiter – und die Branche erwartet keine Besserung: Volle 96 Prozent gehen davon aus, dass immer mehr Inhaber:innen keine Nachfolge finden werden. Gerade bei kleinen Apotheken dürfte das der häufigste Grund für die endgültige Schließung der Apotheke sein. Drei von vier Befragten sind überzeugt, dass der Personalmangel „eine Existenzbedrohung für unsere Apotheke“ ist.
„Apotheke light“ als Kompromiss
Da immer mehr Landapotheken schließen, wird immer auch über Erleichterungen diskutiert. Gespalten sind die Teams. Sollte es eine „Apotheke light“ geben, in der beispielsweise auf Labor oder Rezeptur verzichtet wird, um die Versorgung auf dem Land zu sichern? Die Branche ist gespalten: 52 Prozent halten das für sinnvoll, 48 Prozent sind dagegen.
Wenig überraschend stimmen 99 Prozent der Aussage zu, dass die Lieferengpässe 2022 so schlimm wie nie zuvor waren, das gilt natürlich insbesondere für die kritische Situation zum Jahresende. Und die Lieferengpässe landen auch auf Platz 1 der Antworten, was 2023 die größte berufliche Herausforderung wird. Es folgt knapp der Personalmangel und mit Abstand das E-Rezept, Bürokratie/Dokumentation und die Inflation/Steigende Kosten.
Ebenfalls im neuen Jahr steht möglicherweise die Cannabis-Legalisierung an. Und die Apotheken sind als potenzielle Verkaufsstellen im Gespräch. Doch eine Mehrheit von 63 Prozent findet, dass Genusscannabis nicht in die Apotheke gehört.
Lauterbachs Kiosk-Pläne
Gesundheitsminister Lauterbach will langfristig in ganz Deutschland rund 1000 Gesundheitskioske für Patient:innen in sozial benachteiligten Regionen einrichten. Diese Kioske sollen unter anderem medizinische Behandlungen vermitteln, beraten und bei der Klärung gesundheitlicher und sozialer Angelegenheiten unterstützen. Nicht nur von der Abda gab es harsche Kritik an diesen Plänen. Und die Teams in den Apotheken befürchten, dass dies das Apothekensterben beschleunigen würde. 70 Prozent stimmten dieser Aussage zu.
Was die Standesvertretung betrifft, fordern übrigens 80 Prozent einen Umbruch bei der Abda. Und 91 Prozent wünschen sich, dass die Apotheken mehr an einem Strang ziehen, zum Beispiel mit Streiks, um ihre politischen Ziele zu erreichen. Ein Anfang dazu ist immerhin in diesem Jahr gemacht worden: Zahlreiche Apotheken streikten gegen die Erhöhung des Kassenabschlags.
Fazit: So geht es nicht weiter
Fazit: Klappern gehört zum Handwerk und das Klagen ist auch dem pharmazeutischen Berufsstand nicht fremd – über die Niveauhöhe lässt sich streiten. Aber Fakt ist, dass die Zahl der Apotheken sinkt und sinkt und die Belastung für alle anderen immer größer wird. Vor allem ein Ergebnis der aposcope-Befragung sollte allen politisch Verantwortlichen aber zu denken geben – sofern sie auch für die Zukunft eine flächendeckende Arzneimittelversorgung wünschen: Fast zwei Drittel der Befragten würden ihrem jüngeren Ich nicht empfehlen, noch einmal diesen Beruf zu lernen. Unter den Apotheker:innen sind es 60 Prozent, unter den PTA sogar 71 Prozent. Hoffentlich tun Lauterbach & Co. 2023 alles dafür, daran etwas zu ändern. Denn so wie aktuell geht es nicht mehr lange gut.