Die Kunden fragen: „Wo ist der Chef?“ Sabine Frank-Fischer antwortet: „Der steht vor Ihnen!“ Wir schreiben das Jahr 1973, mit 26 Jahren hat die Apothekerin gerade die Dorotheen-Apotheke im rheinland-pfälzischen Dierdorf eröffnet. Morgen feiert das Unternehmen 45. Geburtstag.
„Ich hab mir das zugetraut“, erinnert sich Frank lächelnd. Weil sie ihre eigene Apotheke haben wollte. In einer Gemeinde, in der sie niemanden kannte. Ein schwieriges Unterfangen. Kunde für Kunde überzeugte sie mit ihrem Wissen, die Umsätze stiegen. Jahr für Jahr. In einer Zeit, in der Apothekeninhaber fast immer Männer waren. „Ich habe mit einer Helferin angefangen, meine Mutter hat mir im Büro geholfen. Unser erster Azubi kam 1974, sie hat sich später zur PTA weitergebildet und 40 Jahre bei uns gearbeitet.“ Junge Mitarbeiterinnen wurden damals noch „Fräulein“ genannt.
Eigentlich wollte Frank eine andere Apotheke in der Gegend übernehmen, aber die damalige Apothekerin winkte ab: „Sie fand, dass ich zu jung war.“ Wieder jemand mit Vorurteilen. Von einer Apothekenmitarbeiterin bekam sie den Tipp einer leerstehenden Immobilie, in die gut eine Apotheke passen würde. Im Ort gab es ein Krankenhaus, eine Arztpraxis und nur eine Apotheke. „Ich dachte mir, das könnte klappen.“
Sie griff zu. Die Offizin wurde ein Schmuckstück des 70er-Jahre-Designs, mit Resopal-Tischen, viel Orange und Lampen, die man sich heute wieder gern ins Haus hängen würde. Wenn man sie damals nicht entsorgt hätte. „Erst 1983 haben wir dann auf Kirschbaum umgestellt“, erzählt Frank. Einen Plan B hatte die junge Apothekerin nicht in der Schublade. Es musste klappen. „Andernfalls hätte ich meine Füße wieder unter den Tisch meines Vaters gestellt.“ Aber das wollte sie natürlich vermeiden und es war nie Thema. „Ich habe mich immer gefragt, was ich machen kann, damit der Ertrag wächst. Und es hat immer funktioniert. Ich wollte nie aufgeben.“ Erschwerend zu ihrem relativ jungen Alter kam hinzu, dass sie nicht aus der Gegend stammte. Konnte man ihr als Pharmazeutin trauen? Man konnte, stellten immer mehr Dierdorfer zufrieden fest. Beraten konnte sie auch. „Ich konnte gut erklären, was der Arzt gemeint hatte. Ich habe mir mit Wissen und Kompetenz Respekt verschafft.“
Aufgewachsen ist sie in Südafrika. „Dort hat mein Vater als Chemiker gearbeitet. Ich bin gern mit ihm auf seine Versuchsfelder gegangen, das waren zum Beispiel Eisen- oder Holzgitter, die im Hafen lagen und deren Anstrich getestet wurde. Man konnte die Witterung sehen, den Einfluss von Wellen, Wind und Sonne, die Untersuchungen unter dem Mikroskop, das fand ich immer spannend.“ Das wollte sie auch lernen. Ihr Vater jedoch warnte sie: „Er sagte, Chemie sei brotlose Kunst. Und da es in der Familie meiner Mutter viele Ärzte gab, habe ich mich für den Mittelweg entschieden und Pharmazie studiert.“ Zuerst in Pretoria, später in Bonn, wohin der Vater beruflich zog.
„Ich musste immer rödeln“, zieht die Apothekerin Bilanz. Aus wenigen Kunden wurden immer mehr, nach einigen Jahren zog die Apotheke innerhalb Dierdorfs um, weil zwei neue Arztpraxen eröffnet wurden. „Ich habe als Mieterin eine alte Scheune übernommen, wir haben sie ausgebaut und sind eingezogen.“
Jetzt ist ihre Lage neben einer Sparkasse, gleich nebenan gibt es eine weitere Apotheke. Kein Grund zur Beunruhigung. Man kennt sich, grüßt sich. Langweilig war der Apothekerin nie: Jede zweite Woche musste sie durchgehend 24-Stunden-Notdienste absolvieren, abends lieferte sie noch oft Medikamente aus. Sohn Alexander bekam das arbeitsreiche Leben der Mutter mit – und entschied sich trotzdem für den Apothekerberuf. Er studierte in England Pharmazie und arbeitete drei Jahre als Stationsapotheker am Royal Hampshire County Hospital in Winchester. „Er war begeistert von der Arbeit dort, denn in England arbeiten Apotheker und Arzt gleichrangig. Der Arzt erstellt die Diagnose und der Apotheker sagt, welche Medikamente er empfehlen würde.“
Den Wandel, den der Beruf in den vergangenen 45 Jahren vollzogen hat, beschreibt sie so: „Früher hatte man mehr Kontakt zum Kunden. Man konnte reden, erzählen, Tipps geben. Heutzutage wird man von den Krankenkassen gezwungen, das abzugeben, was sie gerne hätten. Man hat nicht viel Handlungsspielraum. Ob der Patient das Medikament verträgt oder nicht, ist zweitrangig.“ Auch die viele Bürokratie ärgert sie. „Man sitzt mehr am Schreibtisch als mit Kunden zu sprechen. Und wenn man gern Patientenkontakt pflegt, sitzt man dann eben bis Mitternacht am Schreibtisch.“
Trotz aller Widrigkeiten sagt sie: „Es ist nach wie vor ein sehr schöner Beruf.“ Jungen Menschen würde sie sofort raten, ihn zu ergreifen. „Man muss Freude an den Menschen haben, auf sie zugehen können, ihre Ängste verstehen.“
Vor vier Jahren hat sie die Apotheke an ihren Sohn übergeben, er führt sie als Diabetes-Schwerpunktapotheke. Die Gründerin ist noch oft in der Offizin anzutreffen. „Man kann sich nicht so gut trennen“, sagt sie. Wenngleich jetzt mehr Zeit für ihren Ehemann und den weißen Königspudel Torres bleiben. Der ist mehrfach seiner Schönheit wegen prämiert und zeichnet sich durch ein ungewöhnliches Hobby aus: „Er fährt gern Ski. Ich halte ihn in den Armen, fahre dann ohne Skistöcke.“ Über kurze Strecken mache das, so versichert sie, Spaß.
Gerade hatte sie drei Wochen nonstop Dienst. Ihr Sohn ist derzeit auf Hochzeitsreise, pünktlich zur 45-Jahr-Feier will er wieder zurück sein. Fachkräftemangel kennt der junge Apotheker nicht: Wenn er verreisen möchte, fragt er einfach seine Mutter, ob sie Zeit hat. Die kommt gerne in die Offizin und man muss ihr auch nicht erklären, wo was steht und welche Kunden vielleicht ein bisschen schwierig sind.
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