Prozessauftakt im „Glukose-Prozess“

Das falsche Gefäß

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Köln -

Nein, zur Sache einlassen wollte sich die beklagte Apothekerin heute noch nicht. Doch von ihrem Anwalt ließ sie eine Stellungnahme verlesen, in der sie der Familie der mutmaßlich durch ihren Fehler zu Tode gekommenen jungen Frau ihr aufrichtiges Beileid aussprach. Inhaltlich ist zum Prozessauftakt im Fall „Glukose-Mischung“ vor dem Landgericht Köln noch nicht viel passiert. Doch an zunächst 21 angesetzten Verhandlungstagen sollen noch zahlreiche Zeugen und Sachverständige gehört werden, um herauszufinden, wie es zu der tragischen Verwechslung kommen konnte und ob man das Unglück noch hätte verhindern können.

Die Staatsanwaltschaft wirft der Apothekerin nicht nur fahrlässige Tötung, sondern auch versuchten Mord vor, weil sie aus Sicht der Anklage bewusst mit Informationen zurückgehalten hat, um sich selbst zu schützen. Das Verhalten der Apothekerin nach Bekanntwerden der tragischen Verwechslung wertet die Staatsanwaltschaft als Verdeckungsabsicht.

Das Unglück ereignete sich im September 2019. Weil die Glukoselösung als Fertigprodukt nicht lieferbar war, wurde die Mischung für einen Standardtest auf Schwangerschaftsdiabetes aus Pulver hergestellt. Das Abpacken des Pulvers in Päckchen für die Praxis fiel normalerweise in die Zuständigkeit einer PTA im Team. Sie hatte seinerzeit zwei Einzelabfüllungen vorgenommen und für mehrere weitere die Etiketten für die Plastiktütchen vorbereitet und als Erinnerungsstütze in der Rezeptur liegen gelassen.

Die leitende Apothekerin arbeitet eigentlich so gut wie nicht mehr selbst in der Rezeptur. Doch laut Anklage hat sie in diesem Fall selbst abgefüllt – und damit mutmaßlich einen schrecklichen Fehler begangen. Ebenfalls in der Rezeptur stand ein Gefäß mit Lidocainhydrochlorid. Weil in dem 1kg-Gefäß nicht mehr viel enthalten war, sollte eine Nachbestellung ausgelöst werden.

Zur verhängnisvollen Verwechslung kam es womöglich deshalb, weil die Apothekerin von früher noch die kleineren Lidocain-Flaschen à 250g kannte. Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass sie den Warnhinweis übersehen und die beiden praktisch gleich aussehenden weißen Pulver in der Folge vermischt hat – was schon bei gleichen Produkten eine unzulässige Vermengung verschiedener Chargen bedeutet hätte. So aber füllte sie Tütchen mit jeweils 50g der Mischung in unterschiedlicher Konzentration ab und beklebte sie mit den vorbereiteten Etiketten.

Am 17. September 2019 nahm eine Kundin der Apotheke die mit dem Pulver hergestellte Glukosemischung in der Praxis ihres Gynäkologen ein und wunderte sich über den bitteren Geschmack – sie kannte den Test schon aus einer früheren Schwangerschaft und wusste, dass er unangenehm süß schmeckt. Obwohl sie nur einen Schluck trank, ging es ihr nach wenigen Minuten so schlecht, dass sie mit Diazepam behandelt werden musste, kurz das Bewusstsein verlor und stationär aufgenommen wurde. Sie erholte sich dann aber schnell von der leichten Lidocainvergiftung und konnte das Krankenhaus am nächsten Tag verlassen.

Eine Mitarbeiterin der Praxis ging anschließend mit der Glukosemischung in die Apotheke. Die beschuldigte Apothekerin fand nach einer Geschmacksprobe aber, dass diese süß schmecke.

Am Morgen des 19. September 2019 führte eine weitere junge Frau in der Praxis den Test durch und trank dazu die gesamte Lösung. Weniger Minuten später kollabierte sie. Als das Reanimationsteam aus der benachbarten Klinik eintraf, fand es die junge Frau zuckend, mit Schaum vor dem Mund und grauem Gesicht vor. Weil die behandelnden Ärzte eine unspezifische Vergiftung oder eine allergische Reaktion vermuteten, wurde die Patientin nicht spezifisch auf eine Lidocainvergiftung behandelt. Ihr ungeborenes Kind wurde per Notkaiserschnitt geholt, starb an der Vergiftung oder an der Frühgeburtlichkeit aber am Folgetag. Die junge Frau verstarb noch am Tag ihrer Einlieferung an multiplem Organversagen.

Staatsanwalt sieht Mordmerkmal

Die Staatsanwaltschaft wirft der Apothekerin vor, das behandelnde Krankenhaus nicht früher über ihren Verdacht einer Lidocainvergiftung unterrichtet zu haben. Möglicherweise hätte dann eine spezifische Behandlung die Frau und ihr Kind noch retten können. Denn zwischenzeitlich hätten Mitarbeiter der Arztpraxis und des Krankenhauses in der Apotheke den Verdacht geäußert, dass möglicherweise mit der Glukose etwas nicht stimme. Um den Verdacht einer Verwechslung mit Lidocainhydrochlorid* zu prüfen, führte die Apothekerin laut Staatsanwaltschaft einen Geschmackstest mit dieser Substanz durch und stellte einen bitteren Geschmack fest. Spätestens zu diesem Zeitpunkt habe sie die naheliegende Möglichkeit einer Verwechslung erkannt, so die Staatsanwaltschaft.

Das Verhalten der Apothekerin wertet die Anklage daher als versuchten Mord durch Unterlassen in zwei Fällen. „Versuchter Mord“, weil laut einem Gerichtssprecher nicht sicher war, dass die beiden Opfer tatsächlich noch hätten gerettet werden können. Die Kammer hatte in einer Vormerkung allerdings laut dem Gerichtssprecher schon erklärt, dass sie in diesem Punkt nicht unbedingt folgen werde.

Auch der Anwalt der Apothekerin findet den Vorwurf der Verdeckungsabsicht nicht schlüssig. Der Tod der Frau hätte ja aufgrund zwangsläufig folgender Ermittlungen gerade nicht zur Verdeckung einer anderen Straftat – hier der fahrlässigen Körperverletzung – führen können. Zudem habe seine Mandantin das Gefäß mit der Glukose – und damit das allein maßgebliche Beweismittel – sofort ausgehändigt und damit einen „vorbehaltlosen Aufklärungswillen“ gezeigt.

Die Staatsanwaltschaft geht dagegen davon aus, dass die Apothekerin schon aufgrund der ersten Nachfrage der Praxis einen Verdacht gehabt haben muss. Gestützt auf die Ermittlungsergebnisse geht sie zudem davon aus, dass sich die Pharmazeutin mit zwei anderen Apothekerinnen ihres Teams über diesen Verdacht ausgetauscht hat – und dabei die Sorge über einen womöglich drohenden Approbationsentzug zur Sprache kam. Vermutlich werden die folgenden Zeugenbefragungen mehr Aufschluss hierüber geben.

Die Verteidigung hatte zum Prozessauftakt noch ein anderes Anliegen. Aus ihrer Sicht dürfen die Vernehmungen ihrer Mandantin durch die Polizei nicht verwendet werden. Denn bei den ersten beiden Gesprächen sei sie als Zeugin befragt worden – obwohl die Polizei sie zu diesem Zeitpunkt objektiv schon als mögliche Beschuldigte gesehen hatte. In der ersten tatsächlichen Vernehmung als Beschuldigte, sei die Apothekerin dann nicht spezifisch darüber belehrt worden, dass ihre bei den beiden Zeugenvernehmungen getätigten Aussagen nicht gegen sie verwendet werden dürfen. Alle drei Aussagen seien daher zu streichen. Der Staatsanwalt widersprach dieser Forderung.

PTA-Telefon überwacht

Auch aus Sicht der vernommenen Polizeibeamten bestand zunächst kein Verdacht gegen die Apothekerin. Man habe in alle Richtungen ermittelt. Tatsächlich war erst eine PTA ins Fadenkreuz der Ermittler geraten, hier wurde zwischenzeitlich sogar eine Telefonüberwachung angeordnet.

Die später beschuldigte Apothekerin habe er in der ersten Befragung unemotional und professionell erlebt, sie habe uneingeschränkt kooperiert und sich selbst die Verunreinigung auch nicht erklären können, sagte der Polizeibeamte aus. Erst als er sie später über die neuen Ermittlungsergebnisse informiert habe, dass es sich aufgrund der Konzentration um eine „Beimengung“ handeln müsse, habe die Apothekerin eine „deutlich emotionale Reaktion“ gezeigt.

Als Nebenkläger im Prozess tritt der ehemalige Lebenspartner der verstorbenen Frau auf. Er sprach zum Prozessauftakt kein Wort, lies die Angeklagte aber während der Verhandlung fast nie aus den Augen.

 

*In einer früheren Version des Textes hatte es geheißen, die Apothekerin habe eine Geschmacksprobe aus dem Glukosegefäß entnommen. Korrekt ist, dass es sich bei dem Gefäß mit Lidocainhydrochlorid gehandelt hat.

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