Fachkräftemangel

Das Apotheken-Waterloo von Hochdorf

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Berlin -

Highnoon in Hochdorf: Seit zwei Jahren steht die Apotheke in dem baden-württembergischen Ort leer. Über die Gründe herrschen unterschiedliche Ansichten. Eine Apothekerin wollte eine Filiale eröffnen, scheiterte aber am Fachkräftemangel. Der Bürgermeister hat die Angelegenheit jetzt zur „Chefsache“ erklärt.

Nur in einem sind sich Politiker und Pharmazeutin einig: Es gibt zu wenig Fachpersonal in der Region. Dabei war das Projekt ehrgeizig und stand anfangs unter einem durchaus guten Stern. Nach dem Neubau des Rathauses der Gemeinde war die Immobilie auf dem Markt. Kurzerhand beschloss man, ein Stockwerk aufzusetzen und ein kleines Ärztezentrum zu eröffnen. Apotheke inklusive. Zwei Ärzte aus dem Nachbardorf zogen mit ein, insgesamt ist es ein medizinisches 4er-Team geworden. Die Gemeinde investierte in das Projekt 1,6 Millionen Euro.

„Ich wollte in Hochdorf eine Filiale eröffnen“, sagt Apothekerin Martina Bokermann aus dem Nachbarort Ummendorf. Dort betreibt sie die Apotheke Waniek. Alle waren zuversichtlich. Doch dann geschah das Unerwartete: Trotz intensiver Bemühungen fand die Pharmazeutin kein Personal. Ein wichtiger Faktor dabei ist neben dem bundesweiten Fachkräftemangel der Umstand, dass es in der Region einen sehr attraktiven Arbeitgeber für Apotheker gibt, die den Sprung in die Selbstständigkeit scheuen: Boehringer Ingelheim bietet Pharmazeuten interessante, gute bezahlte Arbeitsplätze ohne Notdienste und geschäftliche Verantwortung.

Im Ort wuchs die Ungeduld. Und parallel mit den Monaten auch die Unzufriedenheit. Die Apothekerin wollte die Gemeindemitglieder optimal versorgt wissen und richtete eine Rezeptsammelstelle ein. „Ich habe nach einem Filialleiter gesucht und hätte zudem einen Springer haben müssen“, erklärt die Apothekerin. „Das Projekt scheiterte leider am Personal. Ich komme ursprünglich aus Heidelberg, wusste nicht, dass es so schwierig ist, auf dem Land Mitarbeiter zu finden.“

Klaus Bonelli, parteiloser Bürgermeister von Hochdorf, sagt: „Wir haben die Apotheke an Frau Bokermann vermietet, weil wir davon ausgegangen sind, dass etwas passieren würde. Die Apothekerin hat schließlich eine Rezeptsammelstelle eingerichtet, das ist aus meiner Sicht zu wenig Engagement. Deshalb haben wir den Vertrag gekündigt. Wir gehen jetzt selbst auf die Suche, ich überlege gerade eine Strategie. Mir ist bewusst, dass es keine leichte Aufgabe ist.“ Aber sie sei, so Bonelli, alternativlos, denn die Bürger erwarteten eine Lösung. Im Klartext: Eine Apotheke vor Ort.

Auch er kennt mittlerweile die Probleme der Apothekenbranche. „Wir stehen mit Frau Bokermann im ständigen Dialog. Ich habe mehrmals gefragt, wie wir sie unterstützen können. Die Margen, die notwendig sind, um eine Apotheke erfolgreich zu betreiben, kann ich nicht abschätzen. Aber ich bin fest davon überzeugt, dass eine Apotheke hier in Hochdorf läuft. Das Ärztezentrum haben wir gebaut, um eine nachhaltige Grundversorgung für alle Hochdorfer zu sichern.“ Dass der Markt „leergefegt“ ist, hat er mittlerweile erkannt. „Frau Bokermann wusste genau, welche Rahmenbedingungen hier herrschen, bevor sie sich für das Projekt beworben hat. Die Apotheke wurde damals ausgeschrieben, sie war die einzige Bewerberin.“ Aus heutiger Sicht vielleicht schon ein Indiz dafür, dass der Standort möglicherweise keine Goldgrube ist. Die Gemeinde kündigte der Apothekerin schließlich zum 30. November vergangenen Jahres – aus ihrer Sicht aus heiterem Himmel – den Mietvertrag.

Bokermann sah sie die wirtschaftliche Seite ein wenig zu euphorisch. Aus heutiger Sicht ist sie nämlich nicht mehr davon überzeugt, dass sich die Apotheke tragen würde, von Gewinn ganz abgesehen. „2,2 Millionen Jahresumsatz schaffe ich in diesem Dorf nicht. Es hat einfach zu wenig Einwohner, insgesamt sind es mit den Gemeindefleckchen rundherum rund 3900.“ Nach offiziellen Angaben hat der Ort in Baden-Württemberg rund 5000 Einwohner. Je nachdem, wie man die umliegenden Gemeindeflecken mit berechnet.

In ihrer Apotheke in Ummendorf bekommt sie den Fachkräftemangel am eigenen Leib zu spüren: „Seit fünf Jahren mache ich jeden Notdienst. 16 Jahre habe ich keinen Urlaub gemacht, den ersten dann im vergangen Jahr für zwei Wochen. Ich merke langsam, wie es auf die Gesundheit geht.“ Während Bürgermeister Bonelli davon spricht, dass man sich auch derzeit noch im Dialog befinde, scheint für die Apothekerin längst alles gesagt zu sein. „Die Gemeinde verrechnet mir für den Briefkasten 200 Euro im Monat. Ich finde, das ist ein stolzer Preis.“

Erschwerend kam hinzu, dass aus ihrer Sicht die Öffnungszeiten der Arztpraxen nicht dem entsprachen, was bei der Planung mündlich zugesichert worden war. „Die Ärzte sind an diesem Standort die 100-prozentigen Frequenzbringer. Leider arbeiten zwei der Ärzte Teilzeit, im Mai wurde das Ärztezentrum zwei Wochen komplett wegen Urlaub geschlossen.“ Ein Umstand, der jedem Apotheker Schweißperlen auf die Stirn zaubert. „Auch im August ist eine Woche geschlossen. Die Ärzte gehen alle gleichzeitig in Urlaub. Die Patienten laufen Sturm dagegen, sie beschweren sich bei mir in der Apotheke darüber. Dabei wurde versprochen, dass die Ärzte immer für die Patienten da sein würden.“

Auch sei die Apotheke mit 110 Quadratmetern bei genauer Betrachtung zu klein. „Man bekommt eine Apotheke gerade mal so hinein, aber auch die Anordnung der Räume ist ungünstig“, sagt Bokermann. Von ihrer anfänglichen Euphorie ist nichts geblieben. „Das Projekt war von Anfang an auf Kante genäht. Im vergangenen Jahr habe ich es noch einmal mit einem Experten durchgerechnet. Heraus kam, dass ich mindestens 140.000 Euro plus Warenlager investieren müsste. Mittlerweile, da ich weiß, wie das Ärztehaus geöffnet hat, hätte es meinen wirtschaftlichen Untergang bedeuten können, wenn ich die Apotheke tatsächlich eröffnet hätte. Die Rezeptsammelstelle ist die kostengünstigste Variante.“ So gesehen scheint es das Schicksal mitsamt Fachkräftemangel gut mit ihr gemeint zu haben.

Der Bürgermeister von Hochdorf sieht das naturgemäß anders. Bonellis Strategie sieht jetzt vor, sämtliche Apotheken im Umkreis von bis zu 25 Kilometern persönlich anzusprechen. Auf diese Weise hofft der Bürgermeister, doch noch eine Apotheke für seine Bürger schaffen zu können. „Ich werde Klinken putzen, direkt auf die Apotheker zugehen“, sagt der Bürgermeister. Und: „Der Weg wird hart, ich möchte nichts unversucht lassen.“

Die Apothekerin beschreibt die aus ihrer Sicht trübe Situation: „In Hochdorf ist nichts los. Es gibt eine Volksbank, eine Gemeindebibliothek und einen Bäcker, der nur vormittags geöffnet hat.“ Die Lage wäre im sechs Kilometer von Hochdorf entfernten Ummendorf, wo sie ihre Apotheke betreibt, besser: „Wir haben einen Lebensmittelladen mit Poststelle, einen Friseur, einen Blumenladen und auf den Straßen laufen Menschen herum.“ Das sei in Hochdorf, so die Pharmazeutin, nicht der Fall. Ihr Urteil aus heutiger Sicht: „Es war ein sehr ehrgeiziges Projekt des Bürgermeisters.“

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