DAK ignoriert Urteil Alexander Müller, 24.07.2018 14:56 Uhr
Nicht jede Retaxation ist berechtigt. Lehnt die Kasse in Streitfällen auch den Widerspruch der betroffenen Apotheke ab, bleibt nur der Gang vor Gericht. Eine Apothekerin hat sich im vergangenen Jahr gegen die DAK durchgesetzt. Die Kasse hat das Urteil akzeptiert – und retaxiert munter weiter.
Es ist der alte Streit um den Vorrang von Rabattvertrag oder Aut-idem-Kreuz im Verhältnis Original/Import. Im Streitfall hatte die Apothekerin im Herbst 2013 eine Packung Copaxone (Glatirameracetat) abgegeben. Der Arzt hatte einen Reimport verordnet und das Aut-idem-Kreuz gesetzt. Die Software zeigte zwar einen Rabattvertrag für das Originalpräparat von Teva an, doch die Apothekerin hielt sich an den Substitutionsausschluss. Die DAK retaxierte 1264,76 Euro, die Apothekerin widersprach zunächst und klagte dann.
Das Sozialgericht Bremen gab der Pharmazeutin recht. Die Voraussetzungen für eine Substitution waren demnach nicht erfüllt, da der Arzt diese explizit ausgeschlossen habe. „Damit hat er im Rahmen seiner Therapiehoheit als Arzt der abgebenden Apotheke Vorgaben gemacht, die von dieser nicht hinterfragt werden durften“, heißt es im Urteil aus dem März 2013.
Von einem Apotheker könne nicht abverlangt werden, die ärztliche Verordnung infrage zu stellen und anstelle des ausdrücklich verordneten Reimportes das Originalpräparat abzugeben, selbst wenn für dieses ein Rabattvertrag bestand, so die Richter, die auf „Therapiehoheit des Arztes“ abstellten.
Die DAK hat also ihren Prozess verloren und musste die Retaxation zurücknehmen. Damit war der Fall für die Kasse erledigt. Sie verzichtete darauf, beim niedersächsischen Landessozialgericht in Berufung zu gehen, das Urteil ist rechtskräftig geworden. Das verwundert, da Kassen in anderen Grundsatzfragen betreffend Retaxationen eine höchstrichterliche Klärung angestrebt haben. Und mehr noch: Vor dem Bundessozialgericht (BSG) haben sie sich in den großen Fällen immer durchgesetzt – sei es zur Beachtung der Rabattverträge allgemein, der Rückabwicklung des Kassenabschlags oder der harten Durchsetzung der zwischenzeitlich abgeschafften exklusiven Zyto-Verträge.
Im Streit um das Aut-idem-Kreuz scheuen die Kassen offenbar den Gang vor das BSG. Drei Apotheker haben ihre Klagen vor den Sozialgerichten jeweils gewonnen, dreimal ließen es die Kassen dabei bewenden. Und retaxieren weiter. Nach dem Motto: Den Einzelfall abschenken und an der Retaxpraxis festhalten. Die einfache Begründung der DAK: „Dafür haben wir doch unsere Rabattverträge.“
Die Kassen berufen sich auf die neuen Regeln im Rahmenvertrag, die im Mai 2016 im Schiedsverfahren vereinbart wurden. Demnach dürfen Apotheken trotz Aut-idem-Kreuz substituieren, wenn es um den Wechsel zwischen Original und Import geht. Dasselbe gilt für namentlich verordnete Arzneimittel, solange das abgegebene nicht teurer ist. Fraglich ist allerdings, ob daraus im Umkehrschluss hervorgeht, dass die Apotheken substituieren müssen, um eine Retaxation zu vermeiden.
Die Vertragspartner haben sich jedenfalls darauf verständigt, ein – ebenfalls zugunsten des Apothekers ausgegangenes – Urteil des SG Koblenz zu Importen nicht anzuwenden. Das Urteil des SG Bremen betraf ebenfalls einen Fall vor der Einigung. Der Deutsche Apothekerverband (DAV) hat sich bislang nicht zu der Frage geäußert, ob man dazu eine Musterklage anstrebe. Auch eine Empfehlung für die Mitglieder gibt es nicht.
Das erstaunt angesichts der klaren Worte der Richter am Sozialgericht Bremen: „Die von der Beklagten vorgenommene Retaxierung erfolgte rechtswidrig“, heißt es in der Begründung, da die Apothekerin beziehungsweise ihre Angestellten „im Einklang mit den einschlägigen gesetzlichen Vorschriften gehandelt haben“.