Nach der finalen Analyse der Herald-Studienergebnisse steht fest: Der Impfstoff von Curevac schützt nur zu 48 Prozent vor Covid-19 – und ist damit gefloppt. Dennoch verteidigt das Management die bisherige Arbeit und hält auch an der Technologie fest, unveränderte mRNA zu nutzen.
Die Wirksamkeit des Curevac-Impfstoffkandidaten CVnCoV steht nach der abschließenden Analyse fest – 48 Prozent Schutz vor Covid-19 jeglichen Schweregrades in allen Altersgruppen. Die Wirksamkeit ist weitaus geringer als die der anderen bereits zugelassenen mRNA-Vakzine von Biontech und Moderna. Bei Probanden unter 60 Jahren lag sie zwar bei 53 Prozent, bei älteren Menschen konnten dazu keine statistisch belastbaren Angaben gemacht werden, da diese nur 9 Prozent der untersuchten Fälle darstellten.
Was die Ursache für diese geringe Wirksamkeit ist, wollte das Management um CEO Franz-Werner Haas in der heutigen Pressekonferenz nicht beantworten. Ob die Dosierung das Problem sei und warum dies nicht früher aufgefallen war? „Wir haben uns die Dosierung in der vorherigen Studie genau angeschaut, und wir haben eine gute Bildung von Antikörpern und T-Zellen gesehen“, so Mariola Fotin-Mleczek, Chief Technology Officer (CTO). Die Antikörpertiter seien vergleichbar gewesen mit denen nach einer natürlichen Infektion; sie seien auch in der Lage gewesen, das Virus zu neutralisieren: „Das waren die richtigen Antikörper, das steht außer Frage.“
Haas legt die Ergebnisse sogar so aus, dass zumindest in der jüngeren Altersgruppe die Mehrheit der Probanden – gemeint war wohl die Quote von 53 Prozent – von der Impfung „massiv profitiert“ hat. Er verwies erneut auf das herausfordernde Studienumfeld unter Real-Life-Bedingungen mit einer Vielzahl an Virus-Varianten. Dies sei auch der Unterschied zu den Wirksamkeitsdaten anderer Hersteller.
Auch Fotin-Mleczek warnte davor, die Zahlen aus unterschiedlichen Studien zu unterschiedlichen Impfstoffen zu vergleichen. Es sei ein erheblicher Unterschied, ob man nur eine spezifische Variante untersuche oder eine Studie in zehn Ländern und mit 15 unterschiedlichen Varianten durchführe. Hinzu komme, dass die Berechnungen nicht identisch seien: Bei Curevac habe man bereits milde Symptome wie Kopfschmerzen als Covid-Fall eingestuft. Das würde zwar Verum- und Placebogruppe gleichermaßen betreffen, doch laut Fotin-Mleczek ist es gerade bei solchen leichten Symptomen deutlich schwieriger, eine Wirksamkeit zu zeigen. „Man muss da ganz genau hingucken.“ Berücksichtige man, dass auch milde Fällen einbezogen seien, habe man eigentlich ein „gutes Ergebnis“.
Laut Haas war der Impfstoff auf die ursprüngliche Wuhan-Variante optimiert – diese sei aber gerade in Südamerika mit Beginn der Studie innerhalb kürzester Zeit verschwunden. Auf die Frage, wie gut die Wirksamkeit auf die einzelnen Stämme gewesen sei, gibt es eine ähnliche Antwort wie auf die Frage nach der Wirksamkeit bei Älteren: Es können keine aussagekräftigen Antworten gegeben werden, da es schlichtweg zu wenig Fälle in den einzelnen Gruppen gab.
„Eine statistische Signifikanz ist bei der Wirksamkeit gegen die einzelnen Varianten kaum vorhanden“, räumte Haas ein. Fotin-Mleczek fügte hinzu, dass es bei der Verteilung auf mehrere Stämme auch schwieriger werde, die Wirksamkeiten gegen die einzelnen Schweregrade der Infektionen zu analysieren. Am Ende bleibt die Frage offen.
Aber warum dann eigentlich alle anderen Impfstoffe, die täglich millionenfach verabreicht werden, ganz offensichtlich vor den neuen Varianten schützen? Das sei nicht korrekt, so Ulrike Gnad-Vogt, interimsweise Chief Development Officer. Es gebe sehr wohl Berichte über Infektionen nach zweifacher Impfung und trotz hoher Antikörpertiter, da dürfe man sich auch nicht selbst belügen. Außerdem habe man hier in der placebokontrollierten Studie ein ganz anderes Level an Evidenz. Die sogenannten Durchbruchsinfektionen beobachte man nämlich häufig im Zusammenhang mit milden Infektionen.
Blende man einmal aus, dass es bereits andere Impfstoffe gebe, seien die Ergebnisse nach nur einem Jahr Entwicklung „gar nicht so schlecht“, so Haas. Er verwies auf die mitunter auch geringe Wirksamkeit bei Grippeimpfstoffen und betonte, dass man nun einmal habe ins Risiko gehen müssen. „Wenn man Angst davor hat, dass man es nicht schafft – und ich sage nicht, dass wir es nicht geschafft haben! – dann gibt es keine Innovationen.“
Der Blick, das zeigt das Gespräch, geht bei Curevac nur noch nach vorn – weit nach vorn, nämlich zur nächsten Generation des Impfstoffs, den man gemeinsam mit GlaxoSmithKline (GSK) entwickle. Hier habe man eine zehnfach höhere Immunantwort gezeigt, die Ergebnisse seien „absolut ermutigend“, so Fotin-Mieczek. „Die erste Generation zeigt nicht alles, was man mit dieser Technologie erreichen kann.“ Man habe den Impfstoff deutlich verbessert und wolle ihn nun so schnell wie möglich in die Klinik bringen. Noch im dritten Quartal soll die Studie starten.
Auch CV2Cov soll auf Basis nicht-modifizierter RNA getestet werden. Insider hatten dies vor kurzem neben der niedrigen Dosis als möglichen Schwachpunkt ausgemacht, da die ansonsten ähnlichen Vakzine von Biontech und Moderna modifizierte Nukleoside nutzen. Noch sei offen, welche Immunantwort die beste sei, argumentierte Fotin-Mieczek. Mit der natürlichen Variante habe man gute Erfahrungen in den ersten Studien gemacht. „Die Daten sind bislang nicht so, dass wir umsteigen müssten.“ Natürlich seien die bisherigen Ergebnisse nicht das Beste, was man mit dieser Technologie erreichen könne, räume sie ein. „Aber wir haben die Optimierung nie gestoppt. Alle technischen Daten, die wir gesammelt haben, wurden zur Optimierung gesammelt.“ Was verändert wurde, konnte nicht mehr gefragt werden.
Dennoch will man in Tübingen versuchen, auch CvnCoV zur Zulassung zu bringen. Man werde alle benötigten Daten bei der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA) einreichen, so Haas. Hierzu zählen auch noch ausstehende Daten aus der Studie, die mit der Universität Mainz durchgeführt wurde. Die Ergebnisse der Impfung von Angestellten des Gesundheitswesens liegen aktuell nur teilweise vor.
Es geht auch um Geld: Im Falle einer Zulassung wird Curevac an seinem Liefervertrag für die EU über 225 Millionen Dosen festhalten. Die EU sei dann auch zur Abnahme verpflichtet. „Wo der Impfstoff dann tatsächlich landet, das liegt dann nicht mehr im Verantwortungsbereich von Curevac“, so Haas.
Ethische Bedenken, dass Patient:innen einen unwirksamen Impfstoff erhalten, hat er nicht: Immerhin habe CVnCoV im aktuellen Umfeld Menschen unter 60 Jahren zu 77 Prozent vor moderaten und schweren Verläufen geschützt. Einen vollständigen Schutz gab es in dieser Altersgruppe demnach vor einem Krankenhausaufenthalt oder dem Tod. Andere Hersteller hätten solche Daten nicht, damit seien auch Vergleiche nicht möglich. Wie viele Dosen mittlerweile produziert und eingelagert wurden, wollte Haas aber erneut nicht verraten.
Stattdessen rückte er den Blick am Ende des Gesprächs noch einmal nach vorn, wies auf den gemeinsam mit Tesla entwickelten 3D-Drucker oder Kombinationsimpfstoffe etwa gegen Corona und Influenza hin. Doch auch hier ist die Konkurrenz den Forschern aus Tübingen schon wieder mehr als einen Schritt voraus. Was er aus heutiger Sicht anders gemacht hätte im vergangenen Jahr, wurde Haas ganz zum Schluss noch gefragt: Er hätte früher Geld eingesammelt – und sich früher einen starken Partner aus der Pharmaindustrie gesucht.
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