Pfizer, Trump, Wissenschaftler, andere EU-Mitglieder

Impfstoff-Mangel: Woran es laut Spahn hakt

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Berlin -

Bundesregierung und EU waren vergangenen Sommer in Zugzwang: Corona-Impfstoff musste her, möglichst viel und möglichst schnell. Kandidaten gab es einige – doch wer würde es am schnellsten schaffen und dann auch lieferfähig sein? Offenbar hat Europa dabei den falschen Favoriten gehabt und dann auch noch Ärger mit den Produzenten und schließlich Donald Trump persönlich. So zumindest erklärt Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) im Schreiben an seinen Koalitionspartner, woran es bei der Impfstoffversorgung hakt.

Spahn hat sich ausführlich für die Schwierigkeiten bei der Beschaffung und Verteilung von Covid-19-Impfstoffen rechtfertigt: Auf 30 Seiten hat sein Haus den Fragenkatalog erwidert, den ihm SPD-Finanzminister Olaf Scholz am 2. Januar zukommen ließ. Darin geht das Bundesgesundheitsministerium auf die Schwierigkeiten bei Einkauf und Planung ein, schiebt den Schwarzen Peter den USA zu und verteidigt die Entscheidung, die Beschaffung zentral über die EU zu organisieren – insinuiert aber gleichzeitig, dass andere EU-Staaten kein Interesse an einer ausreichenden Bestellung gezeigt hätten.

Die SPD wollte vom Gesundheitsminister eine Erklärung, warum die Impfkampagne so schleppend anläuft, ob die Bundesregierung zu wenig Impfstoff geordert hat, ob sie womöglich verfügbare Nachbestellungen ausgeschlagen hat und wann denn nun mit genug Impfstoff zu rechnen ist. Spahns Ministerium antwortet ausführlich, aber wenig überraschend: „Die derzeit begrenzte Verfügbarkeit von Covid-19-Impfstoffen ist nicht auf eine zu niedrige Gesamtmenge bestellter Impfdosen zurückzuführen“, so das Schreiben, das APOTHEKE AHDOC vorliegt. „Sie liegt zum einen in der weltweit begrenzten Menge an Produktionskapazitäten begründet, die bei innovativen Produktionsprozessen nicht ungewöhnlich sind, und zum anderen an einem unterschiedlich schnellen Voranschreiten weiterer erfolgversprechender Impfstoffentwicklungen anderer Unternehmen.“ Deutschland gehöre vielmehr „zu den Ländern in der Welt, die nach dem aktuellen Stand der Dinge bereits jetzt darauf bauen können, im Verlauf dieses Jahres genug Corona-Impfstoff für die gesamte Bevölkerung bereitstellen zu können“.

Komplizierter wird es schon, wenn es um die konkreten Zahlen geht und die Art und Weise, auf die bestellt wurde: 1,34 Millionen Dosen haben demnach Biontech/Pfizer bis Jahresende ausgeliefert, zusätzliche Dosen kämen kontinuierlich herein. Bis Ende März sollen 1,8 Millionen Dosen des Impfstoffs von Moderna kommen. Allein von diesen beiden Impfstoffen würden demnach bis Ende März 12 Millionen Dosen zur Verfügung stehen. Was sonst noch kommt, hänge natürlich wesentlich davon ab, wann welcher Impfstoff von der EU-Kommission zugelassen wird. Neben Biontech/Pfizer und Moderna hat die EU-Kommission noch Verträge mit AstraZeneca, Johnson & Johnson, CureVac und Sanofi/GSK geschlossen.

Dabei gebe es zwei Vertragsformen: solche mit einer verbindlichen Abnahmeverpflichtung und solche mit einer Kaufoption. Einige Verträge würden zusätzlich zu verbindlichen Abnahmeverpflichtungen auch ergänzende Kaufoptionen vorsehen. Von dieser wurde bereits bei den am 17. Dezember bei Moderna und am 29. Dezember bei Biontech/Pfizer Gebrauch gemacht. Darüber hinaus habe die EU-Kommission nach einer Grundsatzeinigung mit Biontech/Pfizer am 8. Januar einen zusätzlichen Vertrag über weitere 200 Millionen Impfstoffdosen mit einer zusätzlichen Kaufoption von 100 Millionen Impfstoffdosen angekündigt.

Fazit: „Die EU steht mit ihrer Auswahl der Impfstoffhersteller und den getroffenen Vereinbarungen sehr gut da. Sollten alle Präparate zentral zugelassen und die getroffenen Vereinbarungen erfüllt werden, würden in Europa für alle rund 450 Millionen Europäerinnen und Europäer und seine Nachbarschaft mehr als zwei Milliarden Impfstoffdosen zur Verfügung stehen.“

Wenn es also nicht an der EU lag, woran dann? Laut BMG zumindest teilweise an ihren Mitgliedern. So fanden im Juli 2020 auf EU-Ebene Sondierungsgespräche mit Biontech und Pfizer statt. Zu diesem Zeitpunkt sei allerdings noch gar nicht absehbar gewesen. ob und welcher Impfstoff die klinische Entwicklung erfolgreich und zügig durchlaufen und zugelassen würde. Damals habe es eher so ausgesehen, als ob AstraZeneca das Rennen macht. Was man allerdings schon wusste: dass der Biontech-Impfstoff ultra-tiefgekühlt und vor der Verabreichung verdünnt werden muss. „Deshalb war das Interesse vieler anderer Mitgliedstaaten an dem Impfstoff der Firma BioNTech/Pfizer anfangs eher gering ausgeprägt. Um vor diesem Hintergrund überhaupt einen Vertrag für die EU in ausreichender Höhe zu erreichen, hat Deutschland garantiert, bis zu 100 Millionen Impfdosen abzunehmen für den Fall, dass andere Mitgliedstaaten auf ihren Anteil verzichten würden.“ Nach dieser Lesart lagen also die anderen Staaten falsch und Deutschland hat eine halbwegs ausreichende Versorgung mit der Biontech-Vakzine sichergestellt.

Im Oktober seien die Sondierungsgespräche mit Biontech/Pfizer erfolgreich abgeschlossen worden. Was das BMG in seinem Schreiben allerdings nicht erwähnt: Bereits im Juli und später noch einmal im September hatte AstraZeneca seine klinische Studie unterbrechen müssen. Dass es bei der Zulassung zu Verzögerungen kommt, dürfte also auch nach damaligem Wissensstand kein unrealistisches Szenario gewesen sein. Außerdem bestand noch im November die Möglichkeit, die Biontech-Bestellmenge zu erhöhen – Geschäftsführer Uğur Şahin hatte wenige Wochen später erzählt, er habe sich damals gewundert, dass diese Option nicht genutzt wurde. Hier verweist Spahn darauf, dass man ihn schlecht informiert habe: „Konkrete Hinweise von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern zur Aufstockung der Impfstoffmengen sind zu diesem Zeitpunkt nicht an die Bundesregierung beziehungsweise an das BMG herangetragen worden.“

Die Gesamtbestellmenge sei aber ohnehin „nur ein Baustein eines komplexen Vertragswerkes“, in dem auch zahlreiche andere wichtige Aspekte geregelt sind, insbesondere Lieferfristen und -konditionen, Preis, Höhe der notwendigen Anzahlung und Haftungsfragen. Hier setzt das BMG auch bei der Erklärung dafür an, warum beispielsweise Großbritannien schneller war als Deutschland: „Vergleichsweise schnelle Vertragsabschlüsse (…) sind wohl vor allem auf den weitgehenden Verzicht auf Haftungsansprüche gegenüber den Unternehmen zurückzuführen“, heißt es da. Einfach gesagt: Das Vereinigte Königreich war unter anderem Biontech/Pfizer und AstraZeneca weiter entgegengekommen als die EU bereit gewesen war. Hoch politisch wird es im Vergleich zu den USA. Die hatten Ende Dezember die Lieferung von 100 Millionen zusätzlichen Dosen vereinbart, von denen 70 Millionen bis Ende Juni und weitere 30 Millionen bis Ende Juli kommen sollen. Für Europa wurde die gleiche Menge hingegen nur bis Ende 2021 zugesagt – bis zu einem halben Jahr später also. Hierfür findet Spahn einen konkreten Schuldigen: US-Präsident Donald Trump habe am 8. Dezember eine executive order erlassen, wonach die US-Administration dafür sorgen muss, dass amerikanische Bürger bevorzugt mit Impfstoffen versorgt werden. „Die Produktionsstätten in den USA sind entsprechend angehalten, Impfstoff zunächst für die Versorgung in den USA zur Verfügung zu stellen“, so das Schreiben. „Diese Situation führt dazu, dass die europäischen Produktionsstätten unter anderem von Biontech/Pfizer sowie Moderna neben Europa die Versorgung für die gesamte restliche Welt sicherstellen.“ Die Unternehmen und die Bundesregierung würden deshalb Gespräche mit der neuen US-Regierung, die am Mittwoch ins Amt kommt, führen wollen, „um Anpassungen zu erreichen“.

Zusammengefasst: Die EU hat erst mit AstraZeneca aufs falsche Pferd gesetzt und als dann klar war, dass Biontech/Pfizer das Rennen macht, hat Donald Trump die Schotten dicht gemacht. Nun muss es bis zur Zulassung weiterer Impfstoffe die Biontech-Produktion in Deutschland richten. In Marburg soll die mRNA-Produktion für den Impfstoff anlaufen, am 15. Januar habe das zuständige Regierungspräsidium Gießen den Betrieb der Anlage bereits genehmigt. Jetzt liege es an Biontech. Darauf beruft sich Spahn auch bei der schleppenden Auslieferung des Biontech-Impfstoffs. Denn da sei es zu einem Missverständnis gekommen. „Der konkrete Lieferplan von Biontech/Pfizer bis zur Kalenderwoche 7/2021 mit Datum und Anzahl der Dosen, der vom BMG am 30. Dezember 2020 unmittelbar an die Länder übermittelt wurde, sah entgegen der gemeinsamen Annahme Lieferungen erst ab Kalenderwoche 2/2021 vor“, heißt es da. Das BMG sei von einer Lieferung in der Vorwoche ausgegangen. „Dieses Missverständnis konnte zum Bedauern aller Akteure nicht vollumfänglich behoben werden.“ Und am 14. Januar habe dann auch noch die EU-Kommission bekanntgegeben, dass Pfizer wegen Umbauten im Werk Puurs in Belgien die bereits zugesagte Menge an Impfstoff für die folgenden Wochen nicht vollständig liefern kann.

Hier kam Spahn persönlich ins Spiel: Er habe die Gesundheitsministerkonferenz um eine kurzfristige Telefonschaltkonferenz gebeten, an der auf Bitten des BMG auch Biontech-Chef Şahin teilgenommen habe. “Mit Bedauern und Unverständnis wurde die sehr kurzfristige und unerwartete Mitteilung zur Kenntnis genommen. Zugesichert wurde eine vollständige Lieferung der für das 1. Quartal 2021 angekündigten rund 10 Millionen Dosen im ersten Quartal. Weitere detaillierte Auskünfte konnten zu diesem Zeitpunkt seitens Biontech nicht erteilt werden.“

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