Celestamine: MSD traut Rezepten nicht Lothar Klein, 08.03.2018 15:01 Uhr
Seit Jahresbeginn ist das Antiallergikum Celestamine des Herstellers MSD defekt gemeldet. Es gibt Produktionsprobleme. Jetzt schränkt MSD die Auslieferung ein. Ein Rezept alleine reicht MSD zur Lieferung nicht mehr aus. Der Hersteller verlangt von Apothekern zusätzlich eine Erklärung des verordnenden Arztes, dass das Arzneimittel ausschließlich zur Akutbehandlung nach Bienen- und Wespenstichen eingesetzt wird. Rheuma-Patienten werden aussortiert – eine rechtliche Grauzone.
Apotheker Mohammed Radmann von der Humanitas-Apoptheke in Leipzig wunderte sich nicht schlecht, als er zuletzt Celestamine bei MSD orderte. Statt des Arzneimittels erhielt er ein Fax zurück mit der Aufforderung, vom verordnenden Arzt eine Art „Ehrenerklärung“ einzufordern, Celestamine nur für Patienten zur Akutversorgung zu verordnen: „So etwas habe ich auch noch nicht erlebt. Das ist doch ein Notfall-Arzneimittel.“
„Hiermit bestätige ich mit meiner Unterschrift, dass das benötigte Celestamine N 0,5 liquidum ausschließlich für die Indikation: Akutbehandlung nach Bienen- und Wespenstichen bei Insektengiftallergie oder als Bestandteil des Notfallsets zur Soforthilfe bei anaphylaktischen Reaktionen verwendet wird“, heißt es auf dem MSD-Fax, das der Arzt unterschreiben soll. „Ich vertraue dem Arzt und dem Rezept“, so Radmann. Neben Celestamine wurden vom Arzt auf demselben Rezept noch Fenistil Tropfen verordnet. Für Radmann war die Lage damit klar.
Der Apotheker faxte das MSD-Schreiben vergangenen Freitag an den Arzt und erhielt es mit der geforderten Unterschrift zurück. Daraufhin faxte er es wie gefordert an MSD. Am Mittwoch, nach fünf Tagen, wurde das Arzneimittel endlich geliefert. „Diese ganze zusätzliche Bürokratie verzögert doch die Patientenversorgung“, so Radmann.
Auf Anfrage begründet MSD sein Vorgehen wie folgt: „Wegen der derzeit begrenzten Bestandssituation und um die Versorgung von Notfallpatienten sicherzustellen, die Celestamine mit sich führen müssen, hat sich MSD entschlossen, das Medikament derzeit ausschließlich für die Indikation ‚Akutbehandlung nach Bienen- beziehungsweise Wespenstichen bei Insektengiftallergie‘ als Bestandteil des Notfallsets zur Soforthilfe bei anaphylaktischen Reaktionen an die Apotheken abzugeben“, so eine MSD-Sprecherin. Alle Apotheken verfügten daher über die Möglichkeit durch eine kurze schriftliche Faxbestätigung des behandelnden Arztes Celestamine direkt bei MSD zu bestellen. „Dieses Vorgehen soll gewährleisten, dass Patienten mit der Notwendigkeit einer Notfalltherapie dieses Medikament auch erhalten“, so die Sprecherin weiter.
Neben der Akutbehandlung nach Bienen- bzw. Wespenstichen bei Insektengiftallergie ist das Arzneimittel laut MSD zur Behandlung von Autoimmunerkrankungen/Rheumatologie zugelassen: nämlich für orale Anfangsbehandlung von Autoimmunerkrankungen wie systemischer Lupus erythematodes – insbesondere viszerale Formen, für aktive Phasen von Systemvaskulitiden wie Panarteriitis nodosa bei gleichzeitig bestehender positiver Hepatitis-B-Serologie, für aktive rheumatoide Arthritis mit schwerer progredienter Verlaufsform, für juvenile idiopathische Arthritis mit schwerer systemischer Verlaufsform oder mit lokal nicht beeinflussbarer Iridozyklitis und für rheumatisches Fieber mit Karditis. Für diese Indikationen will MSD das Arzneimittel wegen der Lieferprobleme vorerst nicht mehr bereitstellen.
„Wir möchten an dieser Stelle auch etwaige Alternativen in Rahmen einer Notfalltherapie aufführen“, so die MSD-Sprecherin: „Infectodexakrupp 2mg/5ml Saft (Dexamethason), zugelassen für schweren akuten Asthmaanfall und Infectocortikrupp Zäpfchen (Prednisolon), zugelassen zur Behandlung von allergischen Reaktionen vom Soforttyp.“
Im Arzneimittelrecht ist diese Vorgehensweise nach Angaben des Bundesgesundheitsministeriums (BMG) nicht eindeutig geregelt. Man habe aber in dieser Situation Verständnis für das Vorgehen von MSD, heißt es im Ministerium, weil es sich nur um einen vorübergehenden Lieferengpass handele. Einbringen will das BMG den Fall aber in den nächsten Jour fixe noch in diesem März beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) über Lieferengpässe.
MSD selbst beruft sich auf das Solidarprinzip: „Die derzeitig beschränkte Verteilung von Celestamine beruht auf dem in der GKV vorherrschenden Solidarprinzip. Dies besagt, dass die Versichertengemeinschaft nach den Grundrechten und dem Sozialstaatsprinzip eine Versorgung nach der Schwere der Erkrankung sicherstellen muss“, so die MSD-Sprecherin. Es bestehe „für eine Erkältung kein Leistungsanspruch, wohl aber für eine schwerwiegende Krebserkrankung“. Dieses Prinzip entspreche der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts seit dem sogenannten Nikolaus-Beschluss vom 6. Dezember 2005.
Darin urteilten die Roten Roben, dass es mit den Grundrechten in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip nicht vereinbar sei, einen gesetzlich Krankenversicherten, für dessen lebensbedrohliche oder regelmäßig tödliche Erkrankung eine allgemein anerkannte, medizinischem Standard entsprechende Behandlung nicht zur Verfügung steht, von der Leistung einer von ihm gewählten, ärztlich angewandten Behandlungsmethode auszuschließen, wenn eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf bestehe.
In dem zugrundeliegenden Rechtsstreit begehrte ein gesetzlich krankenversicherter Patient, der an Duchenn´scher Muskeldystrophie litt, die Kostenerstattung für die Behandlung im Wege der Bioresonanztherapie. Dieses lehnte seine Krankenkasse mit dem Verweis auf gesetzlich vorgeschriebene Leistungsbeschränkungen ab. In dem daraus resultierenden Rechtsstreit wurde die Position der Krankenkasse von den Sozialgerichten aller Instanzen bestätigt. Schließlich erkannte jedoch das angerufene Bundesverfassungsgericht in der Haltung der Krankenkasse und den Urteilen der Sozialgerichte einen Verstoß gegen Grundrechte und das Sozialstaatsprinzip.