Apotheken-Pick-up: Gratis mit Beratung Alexander Müller, 10.06.2015 14:46 Uhr
Apotheken dürfen sich zu Pick-up-Stellen anderer Apotheken machen, solange ihre wirtschaftliche Unabhängigkeit bewahrt bleibt. Das hatte das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) Ende Februar entschieden. In der jetzt vorliegenden Urteilsbegründung führen die Leipziger Richter aus, was aus ihrer Sicht noch zu apothekenüblichen Dienstleistungen zählt und warum die klagende Apothekerin aus Bayern durch das Pick-up-Modell in ihrer persönlichen Leitung nicht eingeschränkt war.
Ab 2008 konnten Kunden der Alpen-Apotheke in Freilassing Rx-Medikamente günstiger bei der Europa Apotheke (Európa Gyógyszertár) in Budapest bestellen, die der Familie der deutschen Apothekeninhaberin zuzurechnen ist. Die deutsche Originalware wurde nach Budapest gebracht und anschließend wieder importiert. Die Alpen-Apotheke verantwortete die Abgabe, kontrollierte das Verfallsdatum und die Verpackung und beriet zu etwaigen Wechselwirkungen. Nach eigener Auffassung war die bayerische Apotheke nur Dienstleister der ungarischen Apotheke.
Das Landratsamt verbot der Inhaberin der Alpen-Apotheke im Juli 2009, die Preisvorschriften auf diese Weise zu umgehen und einen abweichenden Betrag auf das Rezept zu drucken. Aus Sicht der Behörde verstieß sie zudem gegen ihre Pflicht zur persönlichen Leitung der Apotheke, das Angebot sei zudem keine apothekenübliche Dienstleistung. Das Landratsamt kritisierte „mehrpolige Rechtsverhältnisse“, da der Kaufvertrag mit der ungarischen Apotheke bestehe, die Kontrolle bei der Abgabe aber der bayerischen Apotheke obliege.
Die Apothekerin klagte gegen den Bescheid der Behörde. Das Verwaltungsgericht München hatte die Klage weitestgehend abgewiesen. Doch im Berufungsverfahren erklärte der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (VGH), die Abgabe im Namen der ungarischen Apotheke verstoße nicht gegen Arzneimittel- oder Apothekenrecht.
Gegen die Entscheidung war das Landratsamt in Revision gegangen. Doch auch das BVerwG erklärte das Modell für zulässig, sofern es um die Abgabe ging. Die Frage der Preisbindung war in einem Parallelverfahren schon vom Bundesgerichtshof (BGH) geklärt worden: Die Karlsruher Richter verboten die Rx-Boni, hatten mit dem Modell aber ansonsten ebenfalls keine Probleme.
Aus Sicht des BVerwG verantwortet die Apothekerin die Abgabe der Arzneimittel selbstständig. Eine vertragliche Bindung, die eine wirtschaftliche Abhängigkeit der Apothekerin von der Europa Apotheke begründen würde, sei nicht zu erkennen. Es unterliege allein ihrer unternehmerischen Entscheidung, ob sie den Bestell- und Abholservice anbiete, so die Richter.
Allerdings trägt die Apothekerin laut Urteil damit nicht nur „öffentlich-rechtlich die Verantwortung“, sondern muss im Rahmen des Dienstleistungsvertrages „auch zivilrechtlich für eine ordnungsgemäße Arzneimittelversorgung einstehen“. Sie haftet also vollständig für die Abgabe.
Für die Kunden sei das Modell ausreichend transparent, so die Leipziger Richter. Laut Auftrags- und Bestellschein sei eindeutig, dass ein Kaufvertrag mit der Europa Apotheke zustande komme, für die Abwicklung aber die Alpen-Apotheke zuständig sei. Diese sei leicht als erster und umfassender Ansprechpartner auszumachen.
Das Landratsamt hatte zu bedenken gegeben, dass es zu Verzögerungen bei der Versorgung kommen könnte, wenn die Arzneimittel erst aus Ungarn beschafft würden. Auch das Bundesgesundheitsministerium (BMG) hatte Probleme mit dem Apotheken-Pick-up. Laut dem Vertreter des Bundesinteresses sei das Modell zwar noch mit dem Grundsatz der persönlichen Leitung zu vereinbaren, offen bleibe aber, wie die Apothekerin mit eventuellen Interessenkollisionen umgehe. Insgesamt gehe das Geschäftsmodell über den normalen Apothekenbetrieb hinaus, weil der Bezug von Arzneimitteln über eine ausländische Apotheke und die Abgabe „auf fremde Rechnung“ derzeit in Deutschland nicht üblich sei.
Für die befürchteten Konfliktsituationen und Interessenkollisionen bestünden jedoch keine Anhaltspunkte, so das BVerwG. Denn anders als beim Pick-up-Modell „Vorteil24“ mit Provisionen für die teilnehmenden Apotheken, habe die bayerische Apotheke keinen finanziellen Vorteil. Zumindest hatte der VGH dies nicht festgestellt. Laut Vorinstanz bestünden keine Vertragsverhältnisse zwischen den beiden Apotheken.
Das Modell verstößt laut BVerwG auch nicht gegen das Verbringungsverbot, da die entsprechenden Voraussetzungen des Arzneimittelgesetzes (AMG) erfüllt seien. Es handele sich um in Deutschland zugelassene Arzneimittel und die Apotheke zähle zum Kreise der zulässigen Empfangspersonen. Sie fungiere als „pharmazeutische Abgabestelle“. Da es sich jeweils um einzelne Bestellungen der Kunden handele, sei auch der Umfang der Geschäftstätigkeit begrenzt. Bedenken mit Blick auf die Arzneimittelsicherheit gebe es wegen der Aus- und Wiedereinfuhr nicht.
Die Behörde wollte den Service zudem mit Verweis auf die Apothekenbetriebsordnung (ApBetrO) verbieten, da es sich um eine anderweitig gewerbliche Nutzung der Apotheke handele. Das sah das BVerwG anders. Die Arzneimittelabgabe gehöre zum „Kernbereich der Tätigkeit des Apothekers“, der Bestell- und Abholservice könne als apothekenüblich angesehen werden, da er der Arzneimittelversorgung der Bevölkerung diene. Überdies hätte die Behörde laut Gericht unter diesem Gesichtspunkt höchstens eine räumliche Trennung der Tätigkeiten anordnen dürfen, nicht aber ein Totalverbot aussprechen dürfen.