Einen Arzt im Freundeskreis zu haben, ist für Apotheker sicher von Vorteil. Ein Mittel gegen die Rezeptpflicht ist dies aber nicht. Die telefonische Erlaubnis, dass ein Rx-Arzneimittel zunächst ohne Rezept abgegeben werden darf, kann laut einem Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) nur der behandelnde Arzt ausnahmsweise erteilen. Eine Apothekerin aus Baden-Württemberg muss gegenüber ihrem Kollegen nun erklären, wie oft sie Medikamente ohne Vorlage einer Verordnung abgegeben hat.
Eine Stammkundin des Apothekers hatte im Februar 2011 zunächst bei ihm in der Apotheke vorgesprochen. Sie hatte es versäumt, sich ein neues Rezept für ihren Blutdrucksenker Tri Normin 25 zu besorgen. Eine Mitarbeiterin der Apotheke verweigerte die Abgabe und verwies die Kundin an den ärztlichen Notdienst im 15 Kilometer entfernten Nachbarort.
In der Apotheke seiner Konkurrentin erhielt die Kundin dagegen wie gewünscht eine 100er-Packung des Blutdrucksenkers. Die Apothekerin hatte zunächst versucht, den behandelnden Arzt anzurufen. Da dieser nicht zu erreichen war, kontaktierte die Apothekerin eine befreundete Ärztin, die die Abgabe für unbedenklich erklärte.
Aus Sicht des BGH reicht dies aber nicht aus. Die Ausnahme in der Arzneimittelverschreibungsverordnung (AMVV) gelte nur für den behandelnden Arzt. Ein Apotheker könne nicht irgendeinen Arzt um die Zustimmung zur Abgabe eines Rx-Medikamentes bitten, der den Patienten nicht einmal kenne, geschweige denn behandelt habe. Selbst wenn diese Ärztin ein Rezept nachgereicht hätte, wäre dies laut BGH unzulässig gewesen.
Der Apotheker hatte seine Kollegin zunächst abgemahnt, weil er sie im Verdacht hatte, es öfter mit der Rezeptpflicht nicht so genau zu nehmen. Schließlich ging die Sache vor Gericht. Das Landgericht Ravensburg hatte seiner Klage stattgegeben und die Apothekerin zudem zu Auskunft und Schadenersatz verpflichtet.
In zweiter Instanz hatte das Oberlandesgericht Stuttgart (OLG) die Klage zurückgewiesen. Zwar handele es sich um einen Verstoß gegen die AMVV, dieser bedeute aber aufgrund der besonderen Umstände des Einzelfalls keine spürbare Beeinträchtigung der Interessen ihres Kollegen. Die Richter sahen in der Sache eine Bagatelle. Als juristischer Laie konnte die Apothekerin die Erklärung ihrer befreundeten Ärztin als Verschreibung erkennen.
Genau das sah der BGH anders: „Maßgeblich ist im Streitfall der Sorgfaltsmaßstab eines Angehörigen der Fachkreise der Apotheker und nicht – wovon das Berufungsgericht rechtsfehlerhaft ausgegangen ist – derjenige eines juristischen Laien“, heißt es in der jetzt vorliegenden Begründung des Urteils vom 8. Januar.
Die Vorinstanz habe zu Unrecht entschieden, dass der Wettbewerbsverstoß nicht spürbar sei. Verstöße gegen die im Arzneimittelgesetz (AMG) geregelte Verschreibungspflicht seien stets spürbar, so die Karlsruher Richter. Das hohe Schutzgut der Gesundheit und die großen Gefahren einer Fehlmedikation bei Rx-Arzneimitteln erforderten eine unbedingte Beachtung der Rezeptpflicht.
Aus Sicht des BGH lag auch kein sogenannter „rechtfertigender Notstand“ gemäß Strafgesetzbuch (StGB) vor. Der Patientin wäre es durchaus zuzumuten gewesen, den ärztlichen Notdienst aufzusuchen, um sich ein Rezept zu besorgen. Eine unmittelbar bevorstehende gesundheitliche Gefährdung habe die Apothekerin nicht dargelegt. Die Patientin habe auch keine Ausfallerscheinungen gezeigt.
Auch bei einer Dauermedikation kommt es laut BGH immer darauf an, wann eine Unterbrechung für den Patienten ernsthafte Konsequenzen haben kann. Doch selbst die Apothekerin habe eingeräumt, dass die Wirkung der letzten Einnahme des Blutdrucksenkers noch fortwirke.
Der Apotheker hatte noch einen weiteren Fall vorgetragen, bei dem seine Kollegin ohne Verordnung ein rezeptpflichtiges Arzneimittel abgegeben hatte. Doch darauf kam es laut dem BGH nicht mehr an, da jeder einzelne Verstoß bereits wettbewerbsrechtlich relevant sei.
Die Apothekerin muss zunächst 1079 Euro plus Zinsen an ihren Kollegen zahlen. Dabei geht es aber nur um die Abmahnkosten. Der BGH hat zudem entschieden, dass der Apotheker Anspruch auf Auskunft hat. Die Apothekerin muss ihm nun mitteilen, in wie vielen Fällen sie Rx-Arzneimittel ohne Rezept abgegeben hat. Daraus lassen sich wiederum Schadenersatzforderungen ableiten.
Die Forderung auf Herausgabe der Kundennamen hat der BGH allerdings mit Blick auf den Datenschutz zurückgewiesen. Diese seien aber auch nicht notwendig, um die Ansprüche durchzusetzen. Der Apotheker kann sich jetzt mit einem Auskuftsersuchen an seine Kollegin wenden, etwaige Ansprüche müssen dann in neuen Verfahren oder außergerichtlich geklärt werden.
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