Heime sitzen gegenüber den versorgenden Apotheken oft am längeren Hebel. Sie fordern gratis Zusatzleistungen und schließen notfalls einen Versorgungsvertrag mit einem anderen Anbieter. Apothekerin Margit Kleinhans wollte die beinahe fristlose Kündigung ihres langjährigen Partners nicht hinnehmen und klagte. In letzter Instanz hat der Bundesgerichtshof (BGH) entschieden, dass auch Apotheken Rechte haben. Die Apothekerin bekommt 13.700 Euro Schadenersatz – ist aber vor allem stolz auf das Erreichte.
Kleinhans führt die Ihmer Tor Apotheke im niedersächsischen Ronnenberg. Sie beliefert das Alten- und Pflegeheim „Haus am Hirtenbach“ seit 1995 mit Arzneimitteln und apothekenpflichtigen Medizinprodukten. Im März 2003 schloss sie einen Mustervertrag zur Heimversorgung, der 2008 nach einer Umfirmierung des Betreibers verlängert wurde.
2013 forderte das Heim dann ein neues Angebot inklusive kostenloser Verblisterung. Während die Berufsordnung der Apotheker dies beispielsweise in Baden-Württemberg und dem Saarland verbietet, hat die Apothekerkammer Niedersachsen keine grundsätzlichen Bedenken. Kleinhans rechnete und lehnte im September ab. Sie habe damit gerechnet, dass sie den Heimversorgungsvertrag verlieren würde, sagt sie gegenüber APOTHEKE ADHOC. „Aber mit einer fristlosen Kündigung habe ich nicht gerechnet“. Am 3. Dezember 2013 kündigte das Heim den Belieferungsvertrag zum Monatsende und ließ sich ab Januar 2014 von einer anderen Apotheke beliefern.
Da im Vertrag eine Kündigungsfrist von sechs Monaten zum Quartalsende vereinbart war, forderte Kleinhans Schadenersatz in Höhe von mehr als 17.200 Euro. Dies entspreche dem entgangenen Gewinn für die Dauer von sechs Monaten, den sie aus den Umsätzen aus der Belieferung der Heimbewohner erzielt hätte. „Mit ging es nicht so sehr um das Geld, sondern um mein Rechtsempfinden. Ich habe das Heim viele Jahre lang versorgt und Herzblut in die Arbeit gesteckt. Da wollte ich mich nicht einfach so ausbooten lassen“, so die Apothekerin.
Das Landgericht Hannover hatte der Apothekerin nach eigener Berechnung 13.700 Euro zugesprochen. Doch das Heim war in Berufung gegangen und hatte vor dem Oberlandesgericht Celle (OLG) Recht bekommen. Kleinhans habe keinen Anspruch auf Schadenersatz. Die Versorgungsverträge – einschließlich der Kündigungsfrist – soll die Heimbewohner davor schützen, dass die Versorgung von einem Tag auf den anderen wegfalle. Die Apotheke sei nicht „Schutzsubjekt“ der Verträge und könne im übrigen auch bei Vertragsschluss nicht davon ausgehen, dass der Lieferumfang während der gesamten Laufzeit gleich bleibe.
Der BGH hat diese Entscheidung am 14. Juli aufgehoben. Die Kündigungsfrist gelte für beide Seiten, schütze somit auch die Apotheke. Das Heim könne den Vertrag nicht einseitig auflösen und einfach eine andere Apotheke betrauen. Auch eine Aufteilung der Versorgung auf zwei oder mehrere Apotheke kommt laut den Karlsruher Richtern einer Teilkündigung gleich, für die wiederum vertraglichen Fristen gelten. Die Apothekerin durfte laut den jetzt vorliegenden Urteilsgründen erwarten, dass das Heim „die vereinbarte Kündigungsfrist einhält und keinen Vertragsbruch begeht“.
Aus dem Vertrag sei nicht ersichtlich, warum die Frist nur für eine Seite gelten solle, so der BGH. Auch die Interessenlage spreche für eine beidseitige Bindung. Denn die Apotheke müsse sich innerhalb einer angemessenen Frist auf die neue Situation einstellen können und etwa die Personalplanung danach ausrichten. Schließlich müsse der Arbeitskraftbedarf der Apotheke gegebenenfalls angepasst werden – unter Einhaltung arbeitsvertraglicher Kündigungsfristen.
Die gesetzliche Regelung in § 12a Apothekengesetz (ApoG) verfolgt laut BGH eine doppelte Zielrichtung: „Einerseits will der Gesetzgeber den Heimen […] einen sachkundigen Apotheker zur Seite stellen, der die 'Heimapotheke' kostenlos führt und die Mitarbeiter des Heims berät. Andererseits soll der Apotheker für den zusätzlichen und nicht abgegoltenen Aufwand einen (potentiellen) finanziellen Ausgleich dergestalt erhalten, dass er die Heimbewohner im Rahmen eines auf längere Dauer angelegten Vertragsverhältnisses mit Arzneimitteln beliefert und ihnen gegenüber ein (absatzsteigerndes) Vertrauensverhältnis aufbaut, das sich aus dem engen und häufigen Kontakt ergibt“, heißt es im Urteil.
Die Vereinbarung im Vertrag gelte mithin nicht nur der „Gewährleistung der Arzneimittelsicherheit“ zugunsten der Heimbewohner, „sondern auch dem legitimen Erwerbsinteresse des Apothekers“, so der BGH. Die Kündigungsfrist trage der Schutzbedürftigkeit der wirtschaftlichen Interesse der Apotheke angemessen Rechnung.
Wegen der Pflichtverletzung schulde das Heim der Apotheke auch Schadenersatz, so der BGH. Das Landgericht hatte auf Grundlage der Zahlen von 2011 bis 2013 einen entgangenen Rohgewinn von 15.000 Euro geschätzt. Davon wurden 1300 Euro für ersparte Bürokosten abgezogen. Dem BGH schien diese Rechnung plausibel: „Nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge hätte die Klägerin das Heim damit bis zum Ablauf der vereinbarten Kündigungsfrist – wie in der Vergangenheit – allein beliefert.“
Der BGH hat die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts daher zurückgewiesen. Das Heim muss der Apotheke den entgangenen Gewinn 13.700 Euro zahlen und trägt die Kosten des Verfahrens.
Kleinhans hatte zwischendurch Zweifel, ob sie das Verfahren weiter betreiben soll. Doch da sich das Heim zu keinem Zeitpunkt auf einen Kompromiss einlassen wollte, kämpfte sie weiter. „Wir sind schon ein bisschen stolz, dass wir das bis zum Ende durchgezogen haben“, sagt die Apothekerin. Dass sie damit eine grundsätzliche Rechtsfrage klären würde, sei ihr erst im Laufe des Verfahrens bewusst geworden.
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