Der Bundesfinanzhof (BFH) hat am Mittwoch in drei Verfahren zu Betriebsprüfungen in Apotheken verhandelt. Es geht jeweils um die Frage, welche Daten Apotheken dem Fiskus übermitteln müssen. Eine Entscheidung ist noch nicht gefallen, das Urteil soll in zwei Wochen verkündet werden. Doch nach der mündlichen Verhandlungen stehen die Chancen der Apotheker nicht allzu gut.
Gleich zu Beginn der Verhandlung verkündeten die Richter das Ergebnis ihrer Vorberatung: Der BFH sieht demnach bei den Apotheken eine Einzelaufzeichnungspflicht. Damit hätten sich der Fiskus durchgesetzt und könnte alle Einzeldaten aus der Warenwirtschaft einfordern. Steuerberater versuchen dies unter Hinweis auf die fehlende gesetzliche Ermächtigungsgrundlage zu verhindern, zumal die Daten aus ihrer Sicht nicht nur echte Ungereimtheiten preisgeben, sondern von den Finanzbeamten oft falsch interpretiert werden – zum Nachteil des Apothekers.
Rechtsanwalt und Steuerberater Dr. Bernhard Bellinger hat deshalb drei Verfahren bis vor den BFH gebracht. Von der Haltung der Münchener Richter wurde er überrascht: Der BFH habe sich auf die Buchführungspflicht in § 238 Abs. 1 Handelsgesetzbuch (HGB) gestützt, berichtet Bellinger. Danach müssen sich die Geschäftsvorfälle „in ihrer Entstehung und Abwicklung verfolgen lassen“.
Bellinger zufolge sieht das HGB keine „ausdrückliche“ Aufzeichnungspflicht vor. Zudem gebe es eine speziellere Norm in der Abgabenordnung, den § 144 AO. Seine Position werde auch in allen Großkommentaren vertreten.
Auf seinen Hinweis auf den größten AO-Kommentar habe er jedoch nur zur Antwort erhalten, das Gericht sei daran nicht gebunden und halte § 144 AO nicht für einschlägig. Dazu Bellinger: „Der Ausgang der BFH-Fälle hängt davon ab, wie man § 144 AO anwendet. Meine Überprüfung gestern in der Bücherei des Finanzgerichtes Düsseldorf ergab, dass wirklich alle AO-Kommentare meine Lesart bestätigen und damit der BFH bei seinem angedeuteten Urteil gleich alle AO-Kommentare für falsch erklären müsste.“
Punkten konnte Bellinger womöglich mit einem anderen Hinweis: In den oftmals von den Betriebsprüfern geforderten Dateien seien auch datenschutzrechtlich relevante Informationen gespeichert. „Der Apotheker darf deshalb die datengeschützten Informationen seines Warenwirtschaftssystems dem Prüfer nicht nur vorenthalten, er muss es sogar. Anderenfalls macht er sich strafbar“, argumentiert Bellinger. Der Vertreter der Finanzbehörden musste zugeben, dass nicht nur steuerrelevante Daten eingefordert würden. Die anderen Daten seien aber für den Fiskus gar nicht von Interesse.
Am Ende der fast vierstündigen Sitzung sagte die Vorsitzende Richterin, eine Entscheidung sei noch nicht gefallen. Das Gericht werde sein Urteil in 14 Tagen verkünden – das wäre Heilig Abend. Bellinger weiß, wie schwer es ist, Richter von einer vorab gefassten Position abzubringen.
Trotzdem will er bis zuletzt kämpfen: In seiner Kanzlei wurden alle Urteile und sonstige Fundstellen zusammengesucht, die gegen das BFH-Votum vom Mittwoch eine Einzelaufzeichnungspflicht verneinen – inklusive fünf früherer Entscheidungen des BFH und sieben Urteilen anderer Finanzgerichte.
Diese Sammlung hat er mit weiteren juristischen Ausführungen als letzten Schriftsatz gestern Abend nach München geschickt und hofft jetzt darauf, dass die Richter dies bei der Urteilsfindung noch berücksichtigen: „Würde sich das Gericht im Urteil anders entscheiden, müsste es die bisherige, zutreffende BFH-Rechtsprechung aufgeben und sich gegen die komplette Kommentarliteratur zum HGB und zur AO stellen, was zwar möglich, aber kaum vorstellbar wäre.“
Nach den Entscheidungen der Vorinstanzen sah es eigentlich gut aus für die Apotheker: Zweimal entschieden die Finanzgerichte zu Gunsten der Apotheker, einmal gewann der Fiskus. Aus Sicht des Hessischen Finanzgerichts war die Anforderung des Finanzamtes „in Ermangelung einer die Datenanforderung stützenden gesetzlichen Grundlage rechtswidrig“. Das beklagte Finanzamt Bensheim hatte durchgesetzt, dass sich der BFH mit der Sache befassen muss.
Auch das Finanzgericht Münster hatte zugunsten des betroffenen Apothekers entschieden. Die Hinzuschätzung des Finanzamts Borken in Höhe von 40.000 Euro wurde zurückgewiesen. Der BFH kündigte in der mündlichen Verhandlung an, dass er die Hinzuschätzung ebenfalls für unrechtmäßig hält, beim Thema Datenanspruch aber anders entscheiden könnte.
Das Finanzgericht Sachsen-Anhalt hatte dagegen in erster Instanz dem Finanzamt Stendal recht gegeben. Grundsätzlich seien alle steuerrelevanten Informationen der Warenwirtschaft aufzubewahren, entschieden die Richter im Mai 2013.
Für die Apotheker hängt viel von der Entscheidung des BFH ab. Finanzämter im ganzen Land haben dem Vernehmen nach Prüfungen von Apotheken bis zu einer letztinstanzlichen Klärung zurückgestellt. Sollten die Münchener Richter zugunsten des Fiskus entscheiden, könnte eine Prüfungswelle anstehen. Die mündliche Verhandlung hat gestern rund ein Dutzend Vertreter von Finanzämtern verfolgt.
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