Apotheker hoffen auf T bis Z Alexander Müller, 22.01.2015 10:01 Uhr
In München haben die Apotheker am 16. Dezember vor dem Bundesfinanzhof (BFH) verloren: Aus Sicht der Richter müssen sie bei einer Steuerprüfung alle Einzeldaten aus ihrer Warenwirtschaft auf den Tisch packen. Auf die Urteilsgründe des BFH wartet vor allem Steuerberater und Fachanwalt für Steuerrecht Dr. Bernhard Bellinger gespannt, der die Verfahren für die Apotheker geführt hat. Weil er schon vom Tenor der Entscheidung nicht überzeugt war, will er erneut vor den BFH – diesmal zu einem anderen Senat. Seine Hoffnung stützt er auf den Geschäftsverteilungsplan des Gerichts.
In der mündlichen Verhandlung am 10. Dezember wurde Bellinger vom BFH kalt erwischt: Die Richter begründeten die aus ihrer Sicht bestehende Einzelaufzeichnungspflicht der Apotheker mit dem Handelsgesetzbuch (HGB). Die speziellere Norm aus der Abgabenordnung (AO) wurde in dem Fall nicht angewandt. Ansonsten hätte der BFH laut Bellinger in allen drei Verfahren zu seinen Gunsten entscheiden müssen: Der BFH habe mehrfach selbst entschieden, dass sich daraus keine Einzelaufzeichnungspflicht ableiten lasse.
Weil laut Bellinger sämtliche Großkommentare seine Auffassung teilen, war er von der Argumentation des BFH überrascht. Am Tag nach der mündlichen Verhandlung reichte Bellinger beim Gericht einen schriftlichen Hinweis auf die einhellige Kommentarliteratur sowie die bisherige Rechtsprechung zu dem Thema ein – ohne Erfolg: Die Richter urteilten in allen drei Verfahren zugunsten des Fiskus.
Bellinger will sich aber noch nicht geschlagen geben. Bei seinen Recherchen ist er auf ein interessantes Detail gestoßen: Einer der Kommentatoren zur AO ist Roger Görke – und der ist seit 2005 Richter am BFH. Im renommierten AO-Kommentar Hübschmann/Hepp/Spitaler hat Görke 2011 zu § 144 AO geschrieben, dass Einzelhändler keine Einzelaufzeichnungen vornehmen müssen, wenn sie nicht überwiegend oder regelmäßig Ware an andere Gewerbetreibende verkaufen.
Diese Befreiung gelte selbst für Lebensmitteldiscounter oder Baumärkte, die auch von gewerblichen Kunden für betriebliche Zwecke genutzt würden, heißt es in dem Kommentar. Demnach müssten Bellinger zufolge auch Apotheken ihre Kassenauftragszeile nicht preisgeben, denn sie seien unstreitig Einzelhändler.
Görke ist beim BFH stellvertretender Vorsitzender des III. Senats. Und der ist zuständig für den Einzelhandel, wenn der Name des Steuerpflichtigen mit T bis Z anfängt. Mit seinen ersten drei Verfahren war Bellinger beim X. Senat des BFH gelandet, zuständig für A bis S. Das liegt am Geschäftsverteilungsplan des Gerichts: Über die jeweilige Zuständigkeit entscheidet der Anfangsbuchstabe des Nachnamens des Steuerpflichtigen.
Wie es der Zufall will, hat Bellinger beim Finanzgericht Münster noch ein weiteres Verfahren für einen Mandanten, dessen Nachname mit „W“ beginnt. Sobald die Urteilsgründe des BFH vorliegen, will Bellinger das aktuell ruhende Verfahren in Münster wieder aufgreifen.
Wenn dort das FG wie im Parallelfall wieder zugunsten Bellingers entscheidet, landet er in der Revision automatisch beim III. Senat des BFH und damit bei Görke. Dieser dürfte – so Bellingers Erwartung – wohl kaum gegen seine eigene Kommentierung entscheiden.
Da zwei Senate eines obersten Bundesgerichts aber zu einer Rechtsfrage nicht unterschiedlich urteilen dürfen, müsste der III. Senat laut Bellinger die Sache dann zwingend dem Großen Senat des BFH zur Entscheidung vorlegen. Gewinnt der Steuerberater dort, wären die drei vom Fiskus im Dezember errungenen Erfolge für alle Folgefälle faktisch wertlos.
Weil unter den anderen Kommentatoren zur AO weitere Finanzrichter sind, hofft Bellinger, sich beim BFH letztlich durchzusetzen. Für den Steuerberater und Rechtsanwalt hängt vom Ausgang des Verfahrens Einiges ab. Er hat in der Branche am lautesten gegen den Fiskus getrommelt. Während er dafür von seinen Mitstreitern gefeiert wird, kritisieren Kollegen ihn auch schon mal als Brand- und Unruhestifter.