Der Streit um die Ansprüche des Finanzamts bei Betriebsprüfungen von Apotheken steht vor einer höchstrichterlichen Klärung: Der Bundesfinanzhof (BFH) wird sich bald mit der Frage befassen, welche Daten aus der Warenwirtschaft Apotheken preisgeben müssen. Zwei Fälle sind jetzt bei den Münchener Richtern gelandet – in der Vorinstanz hatte einmal der Fiskus, einmal der Apotheker gewonnen.
In beiden Fällen verlangte der Betriebsprüfer die Herausgabe der Kasseneinzeldaten aus dem Warenwirtschaftssystem. Der Steuerberater der betroffenen Apotheker, Dr. Bernhard Bellinger, verweigerte jeweils die Herausgabe. Aus seiner Sicht hat der Fiskus keinen Anspruch darauf, weil für diese Daten keine Aufzeichnungspflicht bestehe.
In einem Fall hatte das Finanzgericht Sachsen-Anhalt dem Finanzamt recht gegeben. Grundsätzlich seien alle steuerrelevanten Informationen der Warenwirtschaft aufzubewahren, entschieden die Richter am 23. Mai.
Bellinger hat Revision eingelegt und diese nun schriftlich begründet. Aus seiner Sicht verstößt das Finanzgericht gegen die ständige BFH-Rechtsprechung: Die obersten Finanzrichter hätten in früheren Verfahren festgelegt, „dass nicht alles, was zum Verständnis betrieblicher Daten nützlich ist, aufzubewahren ist, sondern nur dass, was zum Verständnis und zur Überprüfung aufzeichnungspflichter Daten erforderlich ist“, so Bellinger. Der Fiskus könne sich „seine Speisekarte nicht selbst schreiben“.
Da Apotheker die geforderten Daten nicht aufzeichnen müssten, könne der Fiskus diese Daten auch nicht verlangen, so die Argumentation des Steuerberaters. „Andernfalls gäbe es zwangsläufig ein allumfassendes Zugriffsrecht auf digitale Daten des Steuerpflichtigen“, so Bellinger.
Dies würde aber zu einer „unkontrollierbaren Ausweitung des Prüfungsumfangs“ führen, die vom Gesetzgeber nicht gewollt sei. Bellinger spricht vom „Gesetzesvorbehalt im Bereich der Eingriffsverwaltung“.
Der Fachanwalt für Steuerrecht will die Apotheker von einem Generalverdacht befreien: Es sei nicht „unanständig“, nur solche Daten zu liefern, die man gesetzlich schuldet. Es sei jedoch unanständig, wenn sich die Verwaltung außerhalb ihrer Rechte bewege und einen Apotheker sanktioniere, wenn dieser nicht „spurt“, so Bellinger. Den „hemdsärmeligen Zugriff“ auf Daten der Apotheken-EDV vergleicht der Steuerberater mit einer Hausdurchsuchung ohne Durchsuchungsbeschluss.
Im zweiten Fall muss der BFH erst noch entscheiden, ob verhandelt wird. Hier hatte Bellinger vor dem Hessischen Finanzgericht gegen das Finanzamt Bensheim gewonnen. Die Richter hatten keine Revision zugelassen. Dagegen hatte das Finanzamt Beschwerde beim BFH eingelegt. Der BFH müsse sich im Sinne einer einheitlichen Rechtsprechung mit dem Fall befassen, heißt es zur Begründung.
Das Hauptargument des Fiskus ist, dass eine Aufzeichnung der Daten für den Apotheker aufgrund der modernen Technik keinen besonderen Aufwand mehr darstelle. Der BFH habe Einzelhändler mit einer Entscheidung von 1966 von dieser Pflicht zwar befreit, jedoch lediglich aus „Zumutbarkeitsgründen“. Diese Grenze sei im „Computerzeitalter“ völlig anders zu setzen.
Auch Größe und Art des Betriebs sind aus Sicht des Finanzamtes zu berücksichtigen: „Es können an einen Einzelhandelsbetrieb der Kleingastronomie unmöglich die gleichen Maßstäbe wie zum Beispiel an einen Einzelhandelsbetrieb Apotheke angelegt werden“, hießt es in der Begründung.
Das Finanzamt beschreibt auch, warum die Kassenzeile für die Betriebsprüfer von so großem Interesse ist: Die Praxis habe gezeigt, wie wichtig diese Unterlagen seien, um Manipulationen von Tagesendsummenbons (Z-Bons) aufzudecken. Denn die Einzeldaten könnten schon auf der ersten Ebene verändert werden, heißt es.
Bellinger zufolge zeigt diese Begründung, dass dem Fiskus „das Riskante seines derzeitigen Verhaltens“ bewusst sei. Denn die Verwaltung räume offen ein, dass die aktuell praktizierten Hinzuschätzungen bei Verweigerung des Datenzugriffs auf die Kassenauftragszeile rechtswidrig wären, wenn der BFH zugunsten der Apotheker entscheide. „Für den Fiskus steht also bei den beiden Rechtsstreiten viel auf dem Spiel. Man darf gespannt sein, wie der BFH zwischen den Kontrahenten entscheidet“, so Bellinger.
Wann sich die Münchener Richter mit den Fällen befassen, steht noch nicht fest. Erfahrungsgemäß könnte der BFH Anfang 2014 über die Nichtzulassungsbeschwerde entscheiden. Daraus dürfte die Tendenz der Richter schon abzuleiten sein.
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