BSG bestätigt Rezeptur-Nullretax Patrick Hollstein, 23.02.2024 11:27 Uhr
Apotheken, die bei Rezepturen nicht transparent abrechnen, können von den Kassen auf Null retaxiert werden. Dies hat das Bundessozialgericht (BSG) in einem Fall entschieden, in dem bei Parenteralia-Lösungen nicht die abgerechneten Fertigarzneimittel, sondern Importe verarbeitet wurden.
Eine ehemalige Inhaberin aus Bayern hatte zwischen 2003 und 2007 in mindestens 381 Fällen Wirkstoffe ohne deutsche Kennzeichnung in Sterilrezepturen verarbeitet. Rund 40 verschiedene Wirkstoffe waren betroffen, die über ein Netzwerk verschiedene Zwischenhändler importiert wurden, obwohl sie eigentlich für Griechenland, Portugal, Polen und andere europäische Länder bestimmt waren, teilweise auch für Bangladesch, Indien, Iran oder Oman. Wirkstoffgleiche Fertigarzneimittel mit deutscher Kennzeichnung hätten zwar zur Verfügung gestanden – aber zu höheren Preisen.
Gegenüber den Krankenkassen rechnete die Apothekerin jeweils nach den Preisen der Hilfstaxe mit der Pharmazentralnummer 9999092 für Rezepturarzneimittel ab. Dabei verwendete sie PZN und Preise der deutschen Fertigarzneimittel. Für die Kassen war damit seinerzeit nicht ersichtlich, dass die ausgewiesenen deutschen Präparate gar nicht verwendet worden waren; die Abrechnungen wurden zunächst beglichen. Laut Gerichtsakte soll es um mehr als 1,1 Millionen Euro gegangen sein.
Ein seit 2007 laufendes Strafverfahren gegen die Apothekerin wurde zwar eingestellt. Dennoch retaxierte die AOK Bayern auf Null, insgesamt ging es alleine in diesem Fall um 374.275,96 Euro.
Getäuschter Vertragspartner
Das BSG erklärte die Beanstandung für rechtmäßig: Denn während die Kasse nicht wissen konnte, dass die abgerechneten Fertigarzneimittel gar nicht verarbeitet wurden, hätte der Apothekerin klar sein müssen, dass diese Information für die AOK „von wesentlichem Interesse im Rahmen der Vertragsdurchführung“ gewesen wäre. „Nur durch diese Information konnten ein Ausgleich eines sonst bestehenden eindeutig dem Vertragsgedanken widersprechenden Ungleichgewichts zwischen den beteiligten Vertragspartnern bewirkt und die Vertragsgrundlagen bei Verwendung von nicht vom vertraglich zugrunde gelegten Abgabe- und Preisregime erfasster Fertigarzneimittel vor ihrer einseitigen Aushöhlung bewahrt werden. Diese Pflicht hat die Beklagte verletzt und dies auch zu vertreten.“
Auch die Nullretaxation sei rechtens: „Der aus der Pflichtverletzung entstandene, von der Beklagten nach § 249 Absatz 1 BGB zu ersetzende Schaden besteht in Höhe der ihr von der Klägerin für die streitigen Zytostatikazubereitungen geleisteten Vergütung und nicht nur in Höhe der Differenz“, so das BSG. „Bei Kenntnis der Klägerin vom Beschaffungsweg und den Einkaufspreisen der Beklagten hätte sie deren Zytostatikazubereitungen nicht abnehmen und nicht vergüten dürfen, weil die Abgabe und Abrechnung dieser Zubereitungen außerhalb der für beide Beteiligte geltenden Vertragsgrundlagen erfolgten.“
Nullretax ist rechtens
Denn diese Vertragsgrundlagen seien offenkundig von den Apothekeneinkaufspreisen für die Beschaffung von Fertigarzneimitteln auf dem deutschen Markt ausgegangen. „An dieser Wertung ist der Senat nicht durch die im anderen Kontext einer Betrugsstrafbarkeit von Apothekern ergangene Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs in Strafsachen gehindert“, so die Richter mit Verweis auf den Freispruch mehrerer Apotheker.
Der von der AOK geltend gemachte Schadensersatzanspruch sei auch nicht verjährt. „Auf diesen Anspruch findet die vierjährige sozialrechtliche Verjährung Anwendung. Die Verjährungsfrist begann vorliegend [...] mit dem Schluss des Jahres 2007, in dem die Klägerin von den ihren Anspruch begründenden Umständen erstmals Kenntnis erlangte, und war bei ihrer Klageerhebung in 2010 noch nicht abgelaufen. Würde für den Beginn der Verjährungsfrist nicht erst auf den Kenntniszeitpunkt abgestellt, drohte der Schadensersatzanspruch bei einer wie hier zunächst nicht erkennbaren Verletzung einer ungeschriebenen vertraglichen Nebenpflicht zur Information (teilweise) leerzulaufen.“
Auch die verfassungsrechtlich garantierte Berufsfreiheit stehe der Schadensersatzpflicht der Beklagten nicht entgegen. „Artikel 12 Absatz 1 Grundgesetz (GG) schützt nicht eine Gewinnerzielung durch Apotheken um jeden Preis, vielmehr ist das Rechtsverhältnis zwischen Krankenkassen und Apotheken auch in diesem grundrechtlichen Rahmen geprägt von dem Ziel der Wirtschaftlichkeit der Arzneimittelversorgung.“