Hauslieferung der Apotheken

Botendienst-Überraschung: Nur bis zu 2,7 Millionen Rx-Touren

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Berlin -

Beim Botendienst zeichnet sich eine Überraschung ab: Statt der von der Abda geschätzten 450.000 täglichen Botendienste in der Corona-Krise wurden nach ersten Daten von Krankenkassen und Apothekenrechenzentren im Monat Mai nur circa 135.000 pro Tag abgerechnet. Damit müssen die Kassen im ersten Monat nach Einführung der Pauschale für die insgesamt bis zu 2,7 Millionen Botendienste nur 14 Millionen Euro bezahlen. Seit dem 23. April erhalten die Apotheken pro geleistetem Botendienst fünf Euro.

Noch liegen keine vollständigen Zahlen für die bundesweite Entwicklung der Zahl der Botendienste im Mai vor. Allerdings erlauben erste vorliegende Daten die Hochrechnung, dass die Zahl der Botendienste weit unter dem von der Abda geschätzten Ausmaß liegt: So rechneten die Apotheken alleine bei der zweitgrößten Krankenkasse Barmer nach Informationen von APOTHEKE ADHOC insgesamt 334.321 Botendienste ab. Die Barmer hat circa neun Millionen Versicherte; pro einer Million Versicherte wurden demnach gut 37.000 Botendienste geleistet und abgerechnet. Bei 73 Millionen GKV-Versicherten in Deutschland müssten hochgerechnet rund 2,7 Millionen Botendienste im Mai abgerechnet worden sein. Pro Apotheke wären das im statistischen Mittel 142 Botendienste pro Monat. Das entspricht einem Honorar von gut 700 Euro.

Noch etwas geringere Zahlen meldet eine regionale AOK, die namentlich nicht genannt werden will – dort kommt man auf 15.000 bis 20.000 Botendienste pro eine Million Versicherte. Allerdings beruhen diese Angaben auf den Auswertungen der Abrechnungen vom April – nur in der letzten Woche wurde das neue Botendiensthonorar von fünf Euro gezahlt. Man kann davon ausgehen, dass die Aprilzahlen noch nicht das tatsächliche Ausmaß der Botendienste widerspiegelt, da viele Apotheken erst im Mai ihren Lieferservice entsprechend hochgefahren haben. Auch auf Basis der AOK-Daten ergäbe sich aber mit 1,4 Millionen Botendiensten eine noch deutliche niedrigere Anzahl als von der Abda geschätzt.

Die Angaben der Barmer werden zudem gestützt durch eine Sonderauswertung des Apothekenrechenzentrums ARZ Haan für Mai und Juni. Von circa 3500 Apotheken wurden im Mai rund 433.000 Botendienste auf Rezept abgerechnet, im Juni sogar knapp 440.000. Die abgerechneten Summen betrugen im Mai 2,54 Millionen Euro und im Juni 2,6 Millionen Euro. Hochgerechnet auf 19.000 Apotheken bundesweit ergibt sich daraus eine gesamte Botendienstzahl von 2,4 Millionen Botendiensten. Laut ARZ Haan wurden im Botendienst pro Monat über 720.000 Rx-Arzneimittelpackungen abgegeben.

Angesichts dieser Größenordnung müssten die Kassen für den Botendienst nicht so tief in die Tasche greifen wie befürchtet: Für die Zeit bis Ende September würde bei unveränderter Botendienstzahl ein Betrag von 70 Millionen Euro fällig. Auf ein Jahr gerechnet müssten die Kassen für den Botendienst knapp 170 Millionen bezahlen.

Die Abda hatte im Juni noch ganz andere Zahlen auf den Tisch gelegt: Laut Präsident Friedemann Schmidt haben die Apotheken in der Corona-Krise ihre Botendienste im März um 50 Prozent gesteigert. „Jeden Tag werden 450.000 Botendienste geleistet“, so Schmidt. Gerade während der verschärften Kontaktsperren hätten sich die Botendienste „als Mittel der Wahl“ erwiesen und seien von den Apotheken „viel aktiver“ angeboten worden. Allerdings habe sich auch gezeigt, dass die Apotheken trotz der neuen Honorierung das Instrument Botendienst „angemessen“ nutzten. Die Angaben der Abda beruhen bisher auf einer Befragung von gut 220 Apotheken. In normalen Zeiten gibt die Abda 300.000 tägliche Botendienste an.

Die Differenz der abgerechneten Botendienste zu den Abda-Angaben überrascht – könnte sich allerdings daraus erklären, dass in den Abda-Daten reine OTC-Botendienste ebenso enthalten sind wie Lieferungen an PKV-Patienten. Abgerechnet wird das neue Botendiensthonorar nur für Rx-Lieferungen.

Sollte sich die Anzahl der Botendienst bestätigen, könnte das die Lobbyarbeit der Abda für eine Entfristung des Botendiensthonorars über den September hinaus erleichtern. Auch im Zusammenhang mit dem Start der parlamentarischen Beratungen des Apothekenstärkungsgesetzes (VOASG) könnte das Thema Botendienst noch einmal Bedeutung gewinnen: In Verbindung mit einer medizinischen Indikation könnte der Botendienst in den Katalog der neuen pharmazeutischen Dienstleistungen aufgenommen werden. Mehr noch: In den Hinterköpfen gibt es bereits Gedankenspiele für einen politischen Botendienst/Rx-Boni-Deal: Sollte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn das vorgesehene Rx-Boniverbot gegenüber der EU-Kommission nicht durchsetzen können, könnte im Laufe der Beratungen der alte SPD-Vorschlag wieder aufleben, einen geringfügigen Rx-Bonus für alle Apotheken zuzulassen. In Verbindung mit einem entfristeten Botendiensthonorar wären die Vor-Ort-Apotheken damit in einer besseren Wettbewerbslage als noch vor einem Jahr. Mit einem honorierten Botendienst könnten die Vor-Ort-Apotheken der Hauslieferung der Versender nicht nur Paroli bieten, sondern auch auf mitgelieferte OTC-Produkte Boni anbieten.

Die politischen Implikationen des Botendienstes sind daher vielfältig. Daher interessiert sich jetzt auch die Abda intensiver als je zuvor für das Thema und startete über ihre Mitgliedsorganisationen bei den Apotheken eine Sondererhebung: Wie viele Botendienste werden erbracht und in welchem Umkreis? Damit sollen Argumente gesammelt werden, um mit der Politik über eine Entfristung des Botendiensthonorars über den 30. September hinaus zu diskutieren. Die Sonderbefragung läuft bis zum 14. August.

Wegen der befristet eingeführten Vergütung des Botendienstes in der Corona-Krise führe die Abda eine „einmalige Sonderbefragung zum Thema Botendienst in Pandemiezeiten durch“, heißt es in einem Schreiben der Bayerischen Landesapothekerkammer (BLAK) an ihre Mitglieder. Ziel der Umfrage sei, „Argumente gegenüber der Politik für eine Vergütung des Botendienstes über die Befristung in der Verordnung hinaus zu gewinnen“. Die Abda bittet um Unterstützung durch die Apotheken und weist darauf hin, dass die Sonderbefragung zum Botendienst zusätzlich zum bekannten Abda-Datenpanel durchgeführt wird.

18 Fragen sollen die Apotheken beantworten. Zunächst geht es um den Kammerbezirk, dann um die Lage der Apotheke in einer Stadt oder auf dem Land. Dann möchte die Abda wissen, mit welchem Verkehrsmittel der Botendienst durchgeführt wird und wie viele Botendienste durchschnittlich in der Woche geleistet werden. Auch die maximale Entfernung interessiert die Abda.

 

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