Streit um Werbeaussagen

BGH: Sinupret wirkt bei Entzündungen – aber nicht gegen

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Berlin -

Hersteller dürfen nicht mit Aussagen zur Wirkung ihrer Produkte werben, die nicht durch klinische Studien, sondern nur durch Tierversuche gedeckt sind. Das gilt auch dann, wenn die entsprechenden Daten in die Fachinformation aufgenommen wurden. Das hat der Bundesgerichtshof (BGH) im Fall von Sinupret extract entschieden.

Der Hersteller Bionorica hatte mit einer entzündungshemmenden und antiviralen Wirkung des Arzneimittels geworben. Der enthaltene Extrakt löse den festsitzenden Schleim und lasse durch seine entzündungshemmende Wirkung die Schleimhaut abschwellen, hieß es. Ein Wettbewerbsverein war gegen diese Behauptung vorgegangen.

Laut BGH fehlen für diese Behauptung jegliche wissenschaftlich gesicherte Erkenntnisse – Goldstandard seien im Regelfall Daten aus einer randomisierten, placebokontrollierten Doppelblindstudie mit einer adäquaten statistischen Auswertung, die „durch Veröffentlichung in den Diskussionsprozess der Fachwelt einbezogen worden ist“.

Zwar ist Sinupret laut Fachinformation zur Anwendung bei akuten, unkomplizierten Entzündungen der Nasennebenhöhlen bei Erwachsenen zugelassen. Klinische Daten gebe es jedoch lediglich zur Wirksamkeit hinsichtlich der nasalen Sekretion und des Gesichtsschmerzes, wie schon das Oberlandesgericht Nürnberg (OLG) zuvor festgestellt hatte. Einen kausalen Zusammenhang zur behaupteten entzündungshemmenden und antiviralen Wirkung gebe es nicht, so die Richter. Damit lägen der Zulassung allein Erkenntnisse zur symptomatischen Behandlung von Entzündungen der Nasennebenhöhlen zugrunde.

Laut BGH kann damit nicht behauptet werden, dass mit Sinupret die Ursachen einer Entzündung bekämpft werden können. „Der Wortlaut der Zulassung, die das Anwendungsgebiet [‚bei ... Entzündungen‘] beschreibt, enthält keine Aussage dahingehend, dass das zugelassene Arzneimittel auch ‚gegen‘ Entzündungen der Nasennebenhöhlen wirkt.“

Vielmehr werde auch in der Fachinformation zu den in In-vivo-Untersuchungen und Tiermodellen beobachteten entzündungshemmenden beziehungsweise antiviralen Wirkungen ausdrücklich betont, dass zur klinischen Relevanz dieser Ergebnisse „bisher keine human-pharmakologischen Untersuchungen“ vorlägen.

Vor dem Hintergrund, dass „bei gesundheitsbezogener Werbung besonders strenge Anforderungen an die Richtigkeit, Eindeutigkeit und Klarheit einer Werbeaussage zu stellen sind“, ist die Behauptung einer Wirkung, die sich alleine aus Tiermodellen ableitet, irreführend und damit unzulässig. Eine Differenzierung nach „therapeutischer Wirksamkeit“ und „Wirkungen“ sei im Rahmen des Irreführungstatbestands des § 3 Heilmittelwerbegesetz (HWG) nicht erforderlich.

Bionorica erklärt auf Nachfrage, diese juristische Auseinandersetzung als forschendes pharmazeutisches Unternehmen bewusst bis in die höchste Instanz geführt zu haben. Immerhin sei mit dem Aspekt der „gesicherten wissenschaftlichen Evidenz“ in Bezug auf die Wirkweise eines Medikamentes einen Bereich betroffen, dem insbesondere bei OTC-Medikamenten eine große Bedeutung zukomme.

Während Daten zur Pharmakokinetik – etwa zum Anfluten oder zur Bioverfügbarkeit – zwingend humanpharmakologisch erhoben werden müssten, bildeten bei Arzneimitteln aus der Selbstmedikation in der Regel valide pharmakologische Daten aus In-vitro- und In-vivo-Modellen die Basis für eine Aufklärung der Wirkweise. „Die dabei gewählten Testsysteme sind heute vielfach ausgesprochen indikationsnah gestaltet. Dosierungen sind in der Regel humanäquivalent“, so ein Sprecher.

Die pharmakologische Datenlage zu Sinupret extract sei umfassend, die klinische Datenlage hervorragend. In etablierten Modellen wie dem Rattenpfotenödemtest sei die Wirkung auf eine entzündliche Schwellung vergleichbar stark gewesen wie bei Ibuprofen. Außerdem sei im In-vivo-Modell der Carrageen-induzierten Pleuritis gezeigt worden, dass die Freisetzung des pro-inflammatorischen Botenstoffes Prostaglandin E2 dosisabhängig gehemmt werde. „Das sind deutliche Hinweise auf eine entzündungshemmende Wirkung durch einen Eingriff in die Entzündungskaskade.“

Im In-vitro-Plaque-Reduktionstest mit humanen Zellkulturen habe Sinupret extract außerdem das Wachstum typischer Erkältungsviren, darunter sowohl unbehüllte als auch behüllte DNA- und RNA-Viren, deutlich gehemmt. Besonders ausgeprägt sei diese ebenfalls dosisabhängig vermittelte Wirkung gegen Respiratory Syncytial-, Adeno- sowie gegen humane Rhinoviren gewesen.

„Wir sind von den Ergebnissen unserer Untersuchungen zur Wirkweise von Sinupret extract überzeugt und werden zukünftig noch deutlicher als bisher klarstellen, auf welcher wissenschaftlichen Basis die Daten beruhen“, so der Bionorica-Sprecher. Der BGH stelle dies auch nicht in Frage, sondern vertrete lediglich die Auffassung, dass in einer Werbung hierauf in geeigneter Weise hingewiesen werden müsse. „Ferner ist bekannt, dass die meisten OTC-Anbieter keine human-pharmakologischen Nachweise für die Wirkung ihrer Präparate haben.“

Erst im vergangenen Jahr hatte Bionorica in einem anderen Verfahren um seine Aussagen zur Wirkung für Sinupret extract kämpfen müssen. Das Bundersverwaltungsgericht (BVerwG) entschied, dass zwar auch Erkenntnisse aus präklinischen Studien in die Fachinformation aufgenommen werden können – aber nur dann, wenn aus ihnen abgeleitet werden kann, dass die beobachteten Effekte auch bei einem therapeutischen Einsatz beim Menschen erwartet werden dürfen. „Andernfalls fehlt es am hinreichenden Bezug der Information zur Anwendung des Arzneimittels am Menschen.“

Im Fall von Sinupret seien die Angaben zu den pharmakodynamischen Eigenschaften durch die vorliegenden präklinischen Studien nicht hinreichend belegt. Den vorgelegten Studien fehle vielmehr eine Aussagekraft für die Wirkung am Menschen. Eine Übertragung der in Tiermodellen gewonnenen Erkenntnisse – etwa zur Sekretolyse, zur Entzündungshemmung oder zu antiviralen und antibakteriellen Effekten – scheitere schon daran, dass die meisten der beobachteten Effekte mit Konzentrationen erzielt worden seien, die in der klinischen Anwendung nicht erreicht werden könnten. Zum anderen seien In-vitro-Studien ohne geeignete In-vivo-Korrelate nicht geeignet, einen entsprechenden Effekt bei einer klinischen Anwendung beim Menschen zu belegen.

 

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