Apotheker und Ärzte müssen sich nicht jede Schmähkritik von Kunden im Internet gefallen lassen. Das entschied der Bundesgerichtshof (BGH) Anfang März in einem Verfahren um das Bewertungsportal Jameda. In den jetzt vorliegenden Urteilsgründen stellen die Karlsruher Richter fest, dass Betreiber solcher Portale auf Nachfrage des Angeprangerten einigen Aufwand betreiben müssen, um die öffentliche Kritik zu begründen. Ohne Belege muss der Eintrag gelöscht werden.
Grundsätzlich stehen sich das Persönlichkeitsrecht des bewerteten Arztes oder Apothekers und das Recht auf freie Meinungsäußerung des Patienten gegenüber. Wer sich schlecht beraten fühlt, darf das auch im Internet kundtun, sogar anonym. Falsche Tatsachenbehauptungen sind dagegen unzulässig. Gegen die Behauptung etwa, eine Apotheke halte ihre Öffnungszeiten nicht ein oder der Arzt sei immer betrunken, kann sich der Angegriffene wehren. Eine Aussage wie „Mir kam die Wartezeit lange vor“ ist dagegen schon eine Meinungsäußerung.
Entscheidend an dem BGH-Urteil ist aber, dass der Apotheker hinterfragen kann, ob der Patient überhaupt wirklich in der Apotheke war. Denn bei einer schlechten Bewertung kann es sich schließlich auch um einen Scherz oder üble Nachrede handeln, etwa durch einen Konkurrenten. „Der Bewertete kann schon mit einer einfachen ‚Mutmaßung‘ bestreiten, dass es den Kontakt zum Bewertenden überhaupt gegeben hat“, erklärt Rechtsanwalt Dominik Höch, der vor dem BGH einen Zahnarzt vertreten hatte. Anhaltspunkte seiner Zweifel müsse der Betroffene nicht liefern.
Wenn dies geschieht, muss der Portalbetreiber laut BGH-Urteil aktiv werden. Die Karlsruher Richter verlangen, dass der Anbieter den gesamten Sachverhalt ermittelt. Vom Nutzer muss eine Stellungnahme eingeholt werden, gegebenenfalls müssen weitere Belege vorgelegt werden. Wie viel Aufwand betrieben werden muss, hängt laut BGH vom Einzelfall ab. Entscheidend sind demnach etwa, wie schwer der Vorwurf ist und welche Erkenntnismöglichkeiten der Betreiber überhaupt hat. Auch die Bedeutung und Funktion des Portals und die Eigenverantwortung des Nutzers fallen ins Gewicht.
Die Beweispflicht gilt unabhängig davon, ob es sich bei dem Eintrag um eine Meinungsäußerung oder eine Tatsachenbehauptung handelt. Denn der Vorfall an sich ist aus Sicht des BGH schon eine Tatsachenbehauptung. Rechtsanwalt Höch sieht darin eine gravierende Änderung für den Alltag: „Auch eine bisher schier unangreifbare Bewertung, bei der einfach nur miese Noten verteilt wurden, kann zur Löschung gebracht werden, wenn das Portal nicht darlegen kann, dass überhaupt Kontakt mit dem bewerteten Unternehmen bestand.“
Ein Portalbetreiber muss aber nicht jeden Eintrag vor Veröffentlichung auf seine Korrektheit prüfen. Dass Durchschnittsnoten aller Bewertungen gebildet werden, heißt aus Sicht des BGH nicht, dass sich der Betreiber die einzelnen Benotungen zu eigen macht. Im juristischen Sinne ist er nur „mittelbarer Störer“. Der Betreiber muss allerdings unzulässige Einträge entfernen, wenn er darauf aufmerksam gemacht wird.
Jameda hatte nach dem Urteil klargestellt, dass Informationen auch künftig niemals ohne Einverständnis des Patienten und ausschließlich in anonymisierter Form weitergegeben werden. Rückschlüsse auf den Verfasser einer Bewertung könnten so nie gezogen werden. Unberührt bleibe das Recht von Patienten, Bewertungen immer anonym abgeben zu können. Die Hinweise des BGH werde man nun unmittelbar in die Ausgestaltung der Prüfprozesse einfließen lassen, kündigte Jameda-Chef Dr. Florian Weiß an.
Im BGH-Verfahren hatte ein Zahnarzt gegen Jameda geklagt. Dort hatte ihm ein mutmaßlicher Patient jeweils die Note „6“ in den Kategorien „Behandlung“, „Aufklärung“ und Vertrauensverhältnis“ gegeben. Der Zahnarzt hatte von Jameda die Löschung des Eintrags gefordert, weil er an der Echtheit der Angaben zweifelte.
Der Portalbetreiber hatte gegenüber dem Zahnarzt zwar versichert, der Nutzer habe seine Bewertung „sehr ausführlich bestätigt“ und es gebe keine Zweifel an der Authentizität. Tatsächlich war der Nutzer aber zuvor nur schriftlich gebeten worden, „die Behandlung in mindestens zwei Sätzen [zu] umschreiben und den Behandlungszeitraum [zu] nennen“. Dieser Bitte war der Nutzer nachgekommen. Jameda verweigerte anschließend die Löschung des Eintrags sowie die Herausgabe der Nutzerdaten. Auch wurde dem Zahnarzt die Stellungnahme des Verfassers nicht zur Verfügung gestellt.
In diesem Fall ist der Betreiber aus Sicht des BGH seiner Prüfpflicht nicht ausreichend nachgekommen. An diese seien „strenge Anforderungen zu stellen“. Denn ein Portal mit anonymen Bewertungen bringe von vornherein ein „gesteigertes Risiko für Persönlichkeitsrechtsverletzungen“ mit sich. Eine gewissenhafte Prüfung sei daher eine entscheidende Voraussetzung, dass die Persönlichkeitsrechte der Betroffenen geschützt seien. Schließlich könne eine schlechte Benotung den Arzt im Wettbewerb mit anderen Ärzten nachhaltig beeinträchtigen.
Jameda hätte laut BGH die Beanstandung des Zahnarztes an den Nutzer übermitteln müssen und diesen zur Stellungnahme anhalten müssen. Dabei sind die Ansprüche des Gerichts hoch: Jameda hätte nicht nur eine möglichst genau Beschreibung des angeblichen Behandlungskontakts anfordern müssen, sondern auch die Übermittlung von Belegen. Dazu zählt der BGH „vorhandene Rechnungen, Terminkarten und –zettel, Eintragungen in Bonushefte, Rezepte oder sonstige Indizien“.
Mehr noch: Jameda hätte die Unterlagen – entsprechend geschwärzt – dem Arzt weiterleiten müssen, so der BGH. Dabei ist es laut Urteil Sache des Betreibers, für die Einhaltung des Datenschutzes zu sorgen. „Hier werden den Instanzengerichten nun spannende Rechtsstreitigkeiten anfallen, welche Belege ausreichend sind. Klar dürfte nur sein: eine bloße Erklärung, bei dem Arzt, Frisör oder Autohaus gewesen zu sein, reicht nicht mehr“, kommentiert Höch.
Der BGH hat nur eine Grenze gezogen: Der Prüfungsaufwand für den Betreiber darf nicht so groß werden, dass der Betrieb des Portals wirtschaftlich gefährdet wird. Davon sei aber generell bei einer „reaktiven Prüfpflicht“ nicht anzusehen, bei der der Portalbetreiber nur auf Beanstandungen reagieren müsse.
Höch zufolge gelten die Pflichten für alle Portale zu allen Branchen. „Denn an keiner Stelle des Urteils gibt es Hinweise darauf, dass bei Ärztebewertungen Spezifika zu beachten sind.“ Damit habe das Urteil grundsätzliche Bedeutung: Unternehmer wie Einzelpersonen könnten sich nun deutlich leichter gegen schlechte Noten im Netz wehren.
Der Anwalt geht davon aus, dass künftig mehr Einträge gelöscht werden müssen. Denn viele Nutzer würden vermutlich gar nicht reagieren, wenn sie vom Portal angeschrieben werden – selbst wenn sie tatsächlich die Dienstleistung in Anspruch genommen hätten.
Abgeschlossen ist der Fall aber noch nicht: Der BGH hat den Rechtsstreit zur weiteren Entscheidung unter Berücksichtigung seiner Rechtsauffassung an das Oberlandesgericht Köln (OLG) zurück verwiesen.
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