Wenn man bei der Buchhaltung alles richtig macht, hat auch das Finanzamt nichts zu meckern. Richtig? Falsch. Denn Apotheken müssen auch noch aufschreiben, dass sie alles richtig machen. Verfahrensdokumentation heißt das Zauberwort. Der Inhaber muss schriftlich festhalten, wie welcher Prozess in der Apotheke abläuft. Das ist eigentlich ein alter Hut, aber in Nordrhein-Westfalen (NRW) wird das Thema bei Betriebsprüfungen aktuell sehr heiß gekocht. Apotheken zwischen Rhein und Ruhr könnten Steuerberatern zufolge demnächst verstärkt mit Hinzuschätzungen wegen formaler Fehler konfrontiert werden.
Die Pflicht zur Verfahrensdokumentation, dem „Finanz-QMS für Apotheken“ ist nicht neu. Sie wurde erstmals 1995 in den „Grundsätzen ordnungsmäßiger DV-gestützter Buchführungssysteme“ (GoBS) erwähnt und in den seit 2015 geltenden „Grundsätzen zur ordnungsmäßigen Führung und Aufbewahrung von Büchern, Aufzeichnungen und Unterlagen in elektronischer Form sowie zum Datenzugriff“ (GoBD) präzisiert. Zu einer korrekten Finanzbuchhaltung zählen demnach auch die vorgelagerten Systeme, also etwa das Warenwirtschaftssystem. Dieses muss – wie die Buchhaltung insgesamt – von der Verfahrensdokumentation erfasst sein.
„Die Finanzverwaltung hat erkannt, dass die wesentlichen Daten zur Finanzbuchführung aus dem Warenwirtschaftssystem heraus generiert werden. Dementsprechend soll die Verfahrensdokumentation die Schlüssigkeit und Nachvollziehbarkeit des gesamten Buchführungsprozesses im weitesten Sinne in der Apotheke dokumentieren“, erklärt Steuerberater Nelson Cremers.
Bisher hätten die Finanzämter im Rahmen von Betriebsprüfungen lediglich auf die Notwendigkeit einer Verfahrensdokumentation hingewiesen. Das sei jetzt vollkommen anders. Bei allen Betriebsprüfungen im vergangenen Jahr sei in Apotheken das Warenwirtschaftssystem mitgeprüft worden. „In sämtlichen Betriebsprüfungen wurde bereits die Frage aufgeworfen, ob eine Verfahrensdokumentation mit integriertem internen Kontrollsystem existiert“, berichtet Cremers.
Ein solches System existiert nach seiner Erfahrung in kaum einer Apotheke. Den wenigsten sei klar, dass mit den GoBD die Verfahrensdokumentation für das Warenwirtschaftssystem faktisch verpflichtend erklärt wurde. Cremers verweist auf Urteile des Bundesfinanzhofes (BFH), wonach das Fehlen sogenannter Programmierprotokolle zum Warenwirtschaftssystem und Ersteinrichtungsprotokolle bereits zu einem wesentlichen Mangel erklärt werden – mit Folgen in der Betriebsprüfung. „Die Hinzuschätzungen bewegen sich in der Praxis zwischen einem und fünf Prozent der Barumsätze. In einer durchschnittlichen Apotheke kann dies sehr schnell zu Steuernachzahlungen in mittlerer bis hoher fünfstelliger Größenordnung führen“, warnt Cremers.
Dr. Bernhard Bellinger, Steuerberater und Fachanwalt für Steuerrecht, hat ähnliche Befürchtungen. Eine sofortige Hinzuschätzung ist zwar aus seiner Sicht bei einer unvollständigen Verfahrensdokumentation auch nach der BFH-Rechtsprechung nicht möglich. Doch wenn es mehrere formale Fehler in der Buchhaltung gibt, könne sich der Prüfer durchaus auf den Standpunkt stellen, die Buchführung sei nicht nachvollziehbar. „Und dabei spielt die Verfahrensdokumentation fraglos eine Rolle“, so Bellinger. Er rechnet damit, dass zeitnah Apotheker mit dem Fiskus vor Gericht darüber streiten, welche Anforderungen zwingend erfüllt sein müssen.
Bellinger rechnet vor: „Selbst wenn man den Prüfer im Gespräch dann auf 1 Prozent des Barumsatzes herunterhandeln kann, entspricht das bei einem Jahresumsatz von zwei Millionen Euro bei durchschnittlicher GKV-Quote von 75 Prozent einem Betrag von 5000 Euro, der für jedes Jahr der Prüfung hinzugeschätzt wird nur für das Fehlen oder Mängel der Verfahrensdokumentation“, so Bellinger. Er findet die Bezifferung und Begründung der Hinzuschätzungen teilweise hanebüchen.
Nach Bellingers Beobachtung ist vor allem die Finanzverwaltung in NRW derzeit massiv hinter dem Thema her. Ein Trend, den man auch bei der Steuerberatungsgesellschaft Treuhand Hannover schon beobachtet hat. Relativ typisch bei Apotheken von normaler Größe seien derzeit Hinzuschätzungen von etwa 30.000 Euro pro Prüfungsjahr, so Bellinger.
In der Gastronomie wird zwar vermutlich weit mehr Umsatz am Fiskus vorbei geschleust als beispielsweise in Apotheken, aber die Betriebsprüfer wissen eben auch, was am Ende herauskommt. Apotheker sind aus Sicht der Finanzbehörden meist „dankbare Opfer“, aus dem einfachen Grund, dass sie die geforderten Nachzahlungen regelmäßig auch stemmen können.
Die Finanzverwaltung von NRW hat, anders als die GoBD, zumindest artikuliert, was sie sich von den Apotheken wünscht: Eine allgemeine Beschreibung mit der Organisation des Unternehmens, eine Anwenderdokumentation, eine Betriebsdokumentation und eine technische Systemdokumentation.
Der allgemeine Teil ist noch relativ einfach, weil hier etwa das Warenwirtschaftssystem mit seinen Hardware- und Softwarekomponenten beschrieben wird, sowie die Zugangsberechtigungen der Mitarbeiter. Auch die Anwenderdokumentation ist kein Problem, da damit im weitesten Sinne das Bedienerhandbuch der Software gemeint ist. „Dass eine Apotheke gar keine Verfahrensdokumentation hat, gibt es also gar nicht. Die Frage ist meist, wie groß die Lücken sind“, heißt es aus der Steuerabteilung der Treuhand Hannover.
Der für die Apotheke schwierigste Teil ist die Betriebsdokumentation. Der Anwender muss hier die tatsächliche Handhabung des Warenwirtschaftssystems beschreiben. Das umfasst auch Regeln für das Stornieren von Rechnungen, manuelle Bestandskontrollen oder Retouren. Es müssen Protokolle erstellt werden, wann jedem Mitarbeiter welche Rechte eingeräumt oder gegebenenfalls wieder entzogen wurden. Die Anwenderdokumentation enthält auch ein klares Datensicherungskonzept der kompletten steuerrelevanten Daten.
Die technische Systemdokumentation schließlich meint die Netzinfrastruktur mit den internen Verarbeitungsregeln an den Schnittstellen. Das ist eigentlich Sache der Softwarehersteller, die sich auch den Kopf zerbrechen, was der Fiskus genau von ihnen will. Gefordert wird allgemein eine Dokumentation der Funktionsweise des Systems, der Datenbankstruktur und der Logik und Zusammenhänge einzelner Datenbankfelder.
Wie ernst das Thema für die Apotheken wird, lässt sich noch nicht abschätzen. In NRW fragen die Betriebsprüfer erst seit einigen Monaten sehr genau nach der Verfahrensdokumentation. Und die Finanzverwaltung von NRW wird von den Steuerberatern der Apotheker wohlwollend noch als „progressiv“ beschrieben. Hinter vorgehaltener Hand aber auch anders.
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